CSU-Landesgruppenchef im FOCUS-Online-Interview 25.08.2021
„Die Inzidenz hat ausgedient - wir brauchen eine Belastungsampel"
Alexander Dobrindt
© CDUCSU-Bundestagsfraktion/Michael Wittig

Ein Gespräch über Afghanistan, Corona und Umfragewerte mit dem Onlineportal
Focus.de
 

Herr Dobrindt, bleibt Armin Laschet Kanzlerkandidat oder wird auf den letzten Metern noch einmal getauscht?

Wir haben eine intensive Debatte hinter uns gebracht und die Entscheidungen sind gefallen: Armin Laschet ist der gemeinsame Kanzlerkandidat der Union. Punkt!

Warum macht Markus Söder dann das Fass um die Kandidatenfrage noch einmal auf?

Das tut er nicht. Aber die Situation ist gerade nicht komfortabel. In den Umfragen gibt es deutlich Luft nach oben, da muss man bereit sein, darauf hinzuweisen, was jetzt inhaltlich gefordert ist. Es braucht mehr Mut und mehr Mobilisierung. Mut zur Zuspitzung, Mut zur Unterscheidung, Mut zu klarer Kante.

Oder ist das ein Ablenkungsmanöver, weil es in Bayern auch schon besser lief? Die Bundestagswahl ist immerhin richtungsweisend für Ihre nächste Landtagswahl.

Auch in Bayern heißt das Ziel maximale Mobilisierung. Dafür müssen wir deutlich machen: Die CSU ist der einzige Garant dafür, dass bayerische Interessen im Bund klar vertreten werden. Es gibt keine andere bayerische Partei, die im Bund eine Relevanz hat. Die Freien Wähler sind weit, weit weg von der Fünf-Prozent-Hürde. Eine Stimme für die Freien Wähler ist eine Stimme für den Papierkorb.

Nochmal zurück zum Bund: Die Union ist in den Umfragen am Tiefpunkt. 23 Prozent, nur noch zwei Prozentpunkte vor der SPD. Sie machen immer so schöne Fußballvergleiche. Also: Woran hat’s gelegen?

Wir stehen gerade am Beginn der heißen Phase und nicht bereits in der Schlussphase. Klar ist doch: Es wird ein sehr knappes Rennen und es ist nichts entschieden. Es ist eher wie bei der Tour de France: In jeder Spitzengruppe setzt sich am Ende einer ab. Drei Kandidaten sind aktuell in der Spitzengruppe unterwegs und Armin Laschet muss die Geschwindigkeit vorgeben und das Rennen machen. 

Und glauben Sie Armin Laschet hat bisher 100 Prozent gegeben?

Am 26. September muss man sagen können, dass man 200 Prozent gegeben hat. Dazu gehört die Bereitschaft, mit klarer Kante die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu führen.

Olaf Scholz macht derzeit eine bessere Figur, findet die Mehrheit der Deutschen. Hätten Sie gedacht, dass die SPD sich so erholt?

Olaf Scholz hat gerade deutlich gemacht, dass Rot-Rot-Grün für ihn eine Option ist. Ich bin gespannt, wie sich das auf seine Zustimmungswerte auswirkt. Aktuell zeigen die Umfragen, dass die SPD auch bei der Union Stimmen holen kann. Das ist natürlich der Person Olaf Scholz geschuldet und nicht der SPD.  Ich kann mir nicht vorstellen, dass Unterstützer der Union Freude daran haben, zuzusehen, wie Scholz die Kommunisten in die Bundesregierung holen will. Es sind die Trielle, die dieses Mal den Ausschlag geben werden. Jeder wird den direkten Vergleich sehen. Ich gehe davon aus,  dass Armin Laschet seine Chance in den Triellen nutzt und deutlich macht, dass er der richtige Kanzler für Deutschland ist. 

Weil Journalisten so gerne nach Aufzählungen fragen: Geben Sie mir doch mal drei Gründe, warum man die SPD nicht wählen sollte.

Die SPD will Steuererhöhungen, sie ist in internationalen Bündnissen nicht verlässlich und sie hat keine Wachstumsagenda für Deutschland.

Und mit denen wollen Sie in eine Deutschlandkoalition?

Lieber als mit den Grünen. 

Scholz hat Esken immerhin ins Spiel um einen Ministerposten gebracht. Was denken Sie darüber?

Welchem Ministerium glaubt man eigentlich, das antun zu können?

FDP und Grüne sind bald gleichauf. Sind die Grünen eigentlich noch der Hauptgegner?

Die Grünen sind nach wie vor der Hauptgegner in diesem Wahlkampf, aber die SPD ist stärker als erwartet. Deswegen: Der Mut zum Unterschied und zur klaren Auseinandersetzung muss mit beiden Parteien bestehen.

Was unterscheidet ein Digitalministerium eigentlich von einem Klimaministerium?

Ich habe nichts dagegen, die Zusammensetzung von Ministerien neu zu denken. Es gibt schließlich neue Herausforderungen in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung. Die Grünen wollen aus dem Klimaministerium jedoch einen Oberaufseher machen oder eine Art Erziehungsberechtigten, der Schulnoten für die anderen Ministerien verteilt. Das finde ich falsch. 

Bisher galt die unausgesprochene Regel, dass die Partei mit den meisten Stimmen den Regierungsauftrag bekommt und den Kanzler stellt. Gilt das auch bei einem knappen Ergebnis – etwa 23 zu 21 Prozent?

Die meisten Stimmen zu bekommen, garantiert uns noch nicht das Kanzleramt. Es gibt keinen Automatismus, mit dem man dann auch den Kanzler stellt. Es gibt aber aktuell linke Mehrheiten gegen die Union.

Impfstoff, Hochwasser, jetzt Afghanistan – hat die Regierung in dem vergangenen Jahr zu häufig bei Krisen reagiert, anstatt zu agieren?

Krisen zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie nicht geplant kommen. Die Bundesregierung hat das Land gut durch die Corona-Krise geführt. Afghanistan ist hingegen eine Herausforderung, die uns alle deprimiert und eine negative Auswirkung auf die öffentliche Stimmung hat. Der weitere Umgang mit der Situation in Afghanistan wird darüber entscheiden, ob wir Vertrauen verlieren oder dazugewinnen.

Inwiefern?

Es kommen zwei große Herausforderungen auf uns zu. Das eine ist die neue Terrorgefahr durch die Taliban. Ich glaube nicht daran, dass sich die Taliban von 2021 sich von den Taliban 2001 unterscheiden. Darauf müssen wir uns einstellen und unsere Fähigkeiten international anpassen. Es ist schon verstörend, zu sehen, dass die Dienste des Westens nicht in der Lage waren den Vormarsch der Taliban zu prognostizieren.  Die zweite ist eine langanhaltende Fluchtbewegung durch die Machtübernahme der Taliban. Auf diese Herausforderungen müssen wir uns vorbereiten.

Welche Konsequenz muss daraus gezogen werden?

Wir müssen deutlich besser werden in der Beurteilung von internationalen Krisen. Ich kann nicht erklären, warum sämtliche Dienste des Westens nicht in der Lage waren, den Vormarsch der Taliban vorherzusehen. Wir müssen deutlich besser und souveräner werden in unseren Reaktionsmöglichkeiten. Wir sehen gerade überdeutlich, wie abhängig wir in Sicherheitsfragen von den USA sind. Wer die Abhängigkeit von Amerika in Sicherheitsfragen reduzieren will, braucht die Bereitschaft, in die eigene Sicherheit mehr zu investieren. Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland und Europa muss neu justiert werden. Wir müssen mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben und mittelfristig das Zwei-Prozent-Nato-Ziel bei den Verteidigungsausgaben erreichen.

Markus Söder findet, dass der Außenminister Heiko Maas nach der vergangenen Woche  nicht in die nächste Bundesregierung gehört. Muss das dann nicht auch für die CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp Karrenbauer gelten?

Natürlich ist Aufklärung notwendig. Der Großteil der Fehleinschätzungen scheint im Auswärtigen Amt entstanden zu sein, wo die Informationen zusammenlaufen. Annegret Kramp-Karrenbauer macht derzeit bei der Rettung deutscher Staatsangehöriger und der Ortskräfte mit ihrer Truppe einen hoch engagierten Job. Das hat jetzt absolute Priorität. Ich gehe aber davon aus, dass der neue Deutsche Bundestag sich in der kommenden Wahlperiode intensiv mit der Aufarbeitung und Bewertung des Afghanistan Einsatzes auseinandersetzen wird. 

Glauben Sie das Thema wird uns noch lange beschäftigen? 

Ich befürchte, dass die schlimmsten Bilder aus Afghanistan uns noch bevorstehen werden. Es ist bisher nicht absehbar, wie lange die Situation am Flughafen in Kabul aufrechterhalten werden kann. Die Amerikaner jedenfalls sind in der Lage, Kabul innerhalb weniger Stunden zu verlassen. Damit wäre der Einsatz dort beendet – mit vermutlich sehr schwierigen Bildern für uns.

Mit Blick in die Zukunft: Ist es zu früh, um über Flüchtlinge zu sprechen?

Nein. Wir müssen sofort die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um eine mögliche Fluchtbewegung in den Nachbarländern Afghanistans bewältigen zu können. Das heißt auch, das UNHCR mit Milliarden-Euro-Zusagen in die Lage zu versetzen, schnell und umfänglich in Einsatz zu gehen.

Nochmal ein anderes Thema – die gesetzliche Krankenversicherung rechnet bereits 2022 mit einem Defizit von rund 15 Milliarden Euro. Gleichzeitig verspricht ihr Wahlprogramm, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht steigen werden. Wie soll diese Rechnung aufgehen?

Ich glaube, dass die finanziellen Prognosen nicht zutreffend sind. Mein Eindruck ist, dass die wirtschaftliche Erholung in Deutschland schneller geht als es derzeit vorhergesagt wird. Das wird eine direkte Auswirkung auf die Sozialversicherungsbeiträge haben und sie stabilisieren. 

Das Geld-Problem gibt es auch anderswo: Experten aus dem Wirtschaftsministerium warnten kürzlich vor schockartig steigenden Finanzierungsproblemen für die Rente. Ist es dann ehrlich mit einer Mütterrente Wahlkampf zu machen?

Die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wir haben hier einen großen Schritt gemacht, jetzt geht es um die volle Gleichstellung aller Mütter in der Rente. Dieser Schritt wird in der nächsten Wahlperiode mit der Mütterrente III stattfinden.

Das ist ein nettes Versprechen. Aber nochmal: Wer zahlt das?

Die Stabilisierung der Rente steht in engem Zusammenhang mit wirtschaftlichem Wachstum. Wir hatten vor der Pandemie Rekordbeschäftigungszahlen, die das Rentensystem gestützt haben. Unsere Aufgabe muss es sein, Wachstum und Arbeit anzukurbeln, um genau diesen Effekt für die Zukunft wieder zu erzeugen.
 

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