In der Berliner Morgenpost spricht Alexander Dobrindt über die Abschaffung des Soli, Wachstumsimpulse für die Konjunktur und die neue Arroganz der Grünen.
Deutschland steuert auf eine Wirtschaftsflaute zu. Wie reagiert die Koalition, Herr Dobrindt?
Das Wirtschaftswachstum verliert gerade an Dynamik. Es kann gut sein, dass wir uns in Kürze über ein Konjunkturpaket unterhalten müssen. Konjunkturpakete sollte man schnüren, um Krisen zu verhindern, nicht erst dann, wenn man bereits in einer Krise steckt. Ich halte den Zeitpunkt jetzt für richtig, um notwendige Impulse zu setzen, damit wir die Rekordbeschäftigung und einen stabilen Arbeitsmarkt weiter festigen. Ein solches Konjunkturpaket braucht zwei Säulen: Entlastung der Arbeitnehmer und kraftvolle Investitionen in Innovation und Infrastruktur.
Heißt konkret?
Wir müssen die Steuerzahler endlich beim Soli entlasten und brauchen deshalb zügig die Entscheidung zur Abschaffung. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gehört der Soli in die Geschichtsbücher unseres Landes und nicht auf die Gehaltszettel der Menschen. Der Bundesfinanzminister ist gefordert, jetzt das entsprechende Gesetz, wie wir es im Koalitionsvertrag vereinbart haben, vorzulegen. Ich kann Olaf Scholz nur davor warnen, mit der Abschaffung des Soli so lange warten zu wollen, bis die Steuereinnahmen des Bundes nachlassen. Die Argumentation der SPD gegen Entlastungen kann man sich ja dann leicht vorstellen. Diese Strategie wird nicht aufgehen. Wir rücken nicht von unseren Entlastungsversprechen ab und lehnen auch die von Teilen der SPD gewünschten Steuererhöhungen ab.
Der Koalitionsvertrag sieht eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der bisherigen Zahler vor. Geben Sie Ihre Forderung auf, die Sondersteuer für den Aufbau Ost komplett zu streichen?
Nein. Der Soli muss weg – und zwar komplett. Zusammen mit dem ersten vereinbarten Entlastungsschritt wollen wir den Fahrplan für die komplette Abschaffung des Soli beschreiben. Außerdem gilt es, bei Investitionen die Prioritäten im Haushalt richtig zu setzen. Wenn wir 40 Milliarden Euro in den Kohleausstieg in vier Bundesländern investieren, sollten wir in ähnlicher Größenordnung in den anderen Regionen und Branchen investieren, um keine Unwuchten zu schaffen. Ich denke dabei vor allem an die Digitalisierung und die Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Nur, wenn wir massiv in diese Bereiche investieren, können wir im Wettlauf um die Arbeitsplätze der Zukunft mit den großen Märkten in den USA und im asiatischen Raum bestehen.
In dieser Lage ist nicht nur der Finanzminister gefordert, sondern auch der Wirtschaftsminister. Wird Peter Altmaier seiner Verantwortung gerecht?
Wenn es um Wachstumspolitik geht, ist auch der Arbeitsminister gefordert, nämlich maßzuhalten bei neuen Sozialausgaben. Wir brauchen in Deutschland keine Sozialstaatsdebatte, sondern eine Wachstumsdebatte. Hubertus Heil will fünf bis acht Milliarden Euro für eine Grundrente ausgeben, die ohne Prüfung der Bedürftigkeit der Personen ausbezahlt werden soll. Das zeigt, wie man mit falschen Weichenstellungen notwendige Investitionen verhindern kann.
Die Wirtschaftsverbände haben sich nicht auf den Arbeitsminister, sondern auf den Wirtschaftsminister eingeschossen. Ganz zu Unrecht?
Kritik gehört zur Politik, das weiß Peter Altmaier so gut wie ich. Die Art und Weise der Kritik halte ich in Teilen allerdings für unfair und unangemessen. Peter Altmaier hat die Aufgabe, in einem schwierigen internationalen Umfeld einen Ausgleich zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialen Fragen zu finden. Dass es nicht jedem gefällt, wie er das macht, ist ganz normal und überrascht nicht. Aber die Massivität der Kritik aus einigen Wirtschaftsverbänden halte ich für unangebracht.
In der Union gibt es eine Debatte, ob Angela Merkel vorzeitig das Kanzleramt räumen sollte, um dem nächsten Kanzlerkandidaten einen Amtsbonus zu verschaffen. Was sagen Sie?
Ich will, dass diese Regierung bis zum Ende der Wahlperiode 2021 stabil weiterarbeitet. Diejenigen, die in der SPD mit einer No-GroKo-Kampagne die große Koalition infrage stellen, geben doch nur den Regierungsfantasien der Grünen Zucker. Und diejenigen, die romantische Gefühle für Schwarz-Grün in der Vergangenheit entwickelt haben, sollten in den letzten Tagen eines Besseren belehrt worden sein. Unter ihrem Parteivorsitzenden Robert Habeck entwickeln sich die Grünen eindeutig zu einer Verbots- und Enteignungspartei.
Sie übertreiben, um von der Debatte in der Union abzulenken.
Nein. Habecks Äußerungen zeigen doch, welche Grundhaltung bei den Grünen vertreten wird: Sie wollen den Verbrennungsmotor verbieten, Inlandsflüge abschaffen, Auslandsflüge kontingentieren. Und sie halten Eigentum offensichtlich nicht für ein schützenswertes Gut. Anders lässt sich ja kaum erklären, dass die Grünen sich massiv für Enteignungen von Wohnungen einsetzen.
Wollen Sie die Grünen disqualifizieren als Partner der Union?
Die Grünen stellen aktuell die Arroganz der hohen Umfragewerte zur Schau und meinen, ihre Anhängerschaft würde jede Unsinnsforderung aus der sozialistischen Mottenkiste mitgehen.
Schließen Sie ein Bündnis mit den Grünen – mit oder ohne Neuwahlen – aus?
Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie ich die grüne Partei einschätze. An die Schwierigkeiten der Jamaika-Gespräche kann ich mich noch gut erinnern. Ich schließe aber auch nicht aus, dass Verhandlungen mit FDP und Grünen heute zu einem anderen Ergebnis führen würden. Natürlich gibt es das Risiko, dass Union und Grüne irgendwann zusammen in einer Bundesregierung sitzen werden.
Die SPD will im Herbst zur Halbzeit der Wahlperiode überprüfen, ob die Koalition wie vereinbart liefert – und andernfalls aussteigen.
Ich rate dazu, die Revisionsklausel im Koalitionsvertrag nicht überzustrapazieren. Sie war nicht die Idee der CSU oder der CDU. Und auch in der SPD sind nicht alle glücklich darüber, dass sie von Martin Schulz hineinoperiert worden ist. Ich rate, die Revisionsklausel nicht zu einer Neuauflage der Koalitionsverhandlungen zu missbrauchen. Auch das birgt ein hohes Risiko.
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