Rede zum zweiten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume

Herr Präsident! Frau Vizepräsidentin, die vielen Blumen sind landwirtschaftliche Produkte; es freut mich sehr, dass sie den Weg in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages gefunden haben. Als erster Redner des Hauses nach der Wahl habe ich die große Freude, auch von unserer Seite der neuen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages einen herzlichen Glückwunsch zu übermitteln, verbunden mit dem Bedauern, dass wir hiermit eine gute Parlamentarische Geschäftsführerin verlieren. Falls weiter gefeiert werden sollte, bietet sich eventuell die Grüne Woche, Halle 23 A, an. Ich lade hierzu sehr herzlich ein.

Es freut mich, dass wir uns am Eröffnungstag der Grünen Woche hier im Deutschen Bundestag zur Kernzeit mit der Zukunft der ländlichen Räume auseinandersetzen und den Bericht der Bundesregierung, den ich vorgelegt habe, diskutieren. Bei der Grünen Woche geht es natürlich nicht nur um die ländlichen Räume und ihre Entwicklung; sie ist thematisch weiter und breiter aufgestellt. Ich habe in diesem Jahr gemeinsam mit der Agrarministerkonferenz Gäste aus über 60 Ländern weltweit begrüßt. Diese Berliner Ernährungskonferenz hat sich damit zu einem der zentralen internationalen Medien-, Austausch- und Diskussionsforen entwickelt und bietet eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen. Ich begrüße herzlich auch von dieser Stelle die vielen internationalen Gäste, darunter übrigens auch viele Parlamentarier, die nach Berlin kommen, um über die globalen Fragen der Landwirtschaft und der ländlichen Räume zu diskutieren.

Wir werden auf der Berliner Welternährungskonferenz das so wichtige Thema „Landwirtschaft und Wasser“ beraten. Wasser ist die Voraussetzung für Nahrungsmittelproduktion. Die Handlungsempfehlungen der Berliner Welternährungskonferenz, die wir am Samstag formulieren werden, werden am nächsten Tag, nämlich beim Treffen der G-20-Agrarminister, konkretisiert. Es ist bemerkenswert, dass wir Agrarpolitiker die Ersten sind, die am kommenden Sonntag die Reihe der Ministerkonferenzen im Rahmen der deutschen G-20-Präsidentschaft eröffnen. Wir haben uns die Vernetzung zum Ziel unserer Diskussionen gesetzt. Daran orientieren wir uns. Ich denke, damit ist ein guter Anfang gemacht. Im Juli treffen sich dann die Staats- und Regierungschefs in Hamburg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Zeiten der Globalisierung begreifen immer mehr Menschen, dass die regional verwurzelte Landwirtschaft und die vielfältigen ländlichen Regionen identitätsbestimmend sind. Auch die ländlichen Regionen in Deutschland stiften Identität und geben Heimat. 90 Prozent der Fläche Deutschlands sind ländlich geprägt. Mehr als die Hälfte der Deutschen leben auf dem Land. Hier ist starker Mittelstand zu Hause – mit vielen Hidden Champions und dem regionalen Handwerk. Hier finden Familien bezahlbaren Wohnraum, und Städter finden Erholung. Durch die sozialen Strukturen in den dörflichen Gemeinschaften sind die Aufnahme und Integration von Neubürgern oft viel einfacher als in der Anonymität der Großstädte. Dazu kommt, dass Bauern, Forstleute, Jäger und Winzer die Kulturlandschaft pflegen und der Anteil der ehrenamtlich Tätigen außerordentlich hoch ist. So sei bei dieser Gelegenheit allen unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die ehrenamtlich Aufgaben übernehmen und sich so in die Gesellschaft einbringen, sehr herzlich gedankt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Wo wir stehen und wo wir gezielt die ländliche Entwicklung fördern müssen, das zeigt der Zweite Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume. Seit dem ersten Bericht, der 2011 erschienen ist, sind wir bei der Förderung der ländlichen Regionen einen großen Schritt vorangekommen. Wir haben Förderprogramme erweitert und neue geschaffen. Wir haben die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ in diesem Jahr mit insgesamt 765 Millionen Euro ausgestattet. Außerdem haben wir die Mittel für mein neues Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“, das es seit zwei Jahren gibt, von 10 auf satte 55 Millionen Euro aufgestockt, um Pilotprojekte, Tendenzen und Entwicklungen zu evaluieren.

Für den Rückenwind aus dem Bundeshaushalt danke ich insbesondere den Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss sehr herzlich. Das Geld ist gut angelegt und wird gut angelegt werden; denn wir müssen einen differenzierten Blick auf die Notwendigkeiten der Regionen haben. Mittel kann man wirkungsvoll und gezielt dann einsetzen, wenn man weiß, vor welchen Herausforderungen einzelne Regionen konkret stehen.

Man muss unterscheiden: In Regionen nördlich des Bodensees geht es eher um das Thema Siedlungsdruck und damit verbundene mögliche Infrastrukturmaßnahmen. Sie haben eine ganz andere Sicht als jene Regionen, die Schwierigkeiten aufgrund der demografischen Entwicklung haben, weil dort die Infrastruktur von immer weniger Menschen nachgefragt wird. Krankenhäuser werden geschlossen, obwohl die Menschen dort – auch wenn es nur Hundert sind und nicht Tausend – auch krank werden.

Auf diese Fragen müssen wir differenzierte Antworten finden. Als Grundlage dafür dient das neue Informationsportal meines Ministeriums, mit dem man sich einen Überblick verschaffen kann unter der Adresse www.zukunft.land . Das Internetportal gibt mit interaktiven Karten in einem Landatlas Auskunft über die Lage in den Gemeinden und Landkreisen. Ich habe mir erlaubt, jeder Kollegin und jedem Kollegen des Deutschen Bundestages eine entsprechende Hardcopy ins Büro zu schicken.

Hinsichtlich Demografie und Daseinsvorsorge gibt es ländliche Regionen mit gravierenden Problemen. Deswegen müssen die Aufgaben koordiniert werden. Das Querschnittsdenken darf nicht dazu führen, dass ländliche Entwicklung in vielen Bereichen ein politisches Randthema wird. Diese muss vielmehr in die Mitte gestellt werden. Ich baue mein Haus, mein Ressort deswegen entsprechend um, und zwar zu einem Ministerium, das für Ernährung und Landwirtschaft, aber auch für die ländlichen Regionen da ist. Sie wissen, dass ich unter der Überschrift „Aussaat 2017“ eine neue Struktur mit einer neuen, hierfür spezifizierten Abteilung geschaffen habe.

Ich will mit meinen europäischen Kollegen die Gemeinsame Agrarpolitik noch stärker auf die Steigerung der Attraktivität ländlicher Regionen ausrichten. Über die GAP werden wir bis zum Jahr 2020 sowieso eine ganze Reihe von intensiven Diskussionen führen müssen. Wir müssen nicht nur die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigen, sondern auch die Herausforderungen der Zukunft annehmen.

Wenn ich einen Satz zur ländlichen Entwicklung sagen darf: Wir stellen fest, dass viel Grund und Boden in die Hände von Wenigen, vor allem von solchen außerhalb der Landwirtschaft, kommt. Diese Feststellung berührt die Zielrichtung der Agrarstrukturpolitik. Wir dürfen an solchen Fragen nicht vorbeigehen. Hedgefonds, die Hunderttausende von Hektaren haben, sind eigentlich nicht die Ansprechpartner, mit denen wir über Agrarstrukturpolitik reden sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Politik für die ländlichen Regionen aus einem Guss erfordert deswegen auch, dass wir die Gemeinschaftsaufgabe strategisch weiterentwickeln. Eine Gemeinschaftsaufgabe „Ländliche Entwicklung und Demografie“ sollte eine Antwort auf die Fragen sein, übrigens, um das ganz klar zu sagen, nicht um die agrarstrukturelle Förderung zurückzuführen, sondern – ganz im Gegenteil – um sie zu ergänzen.

Ich freue mich, dass Phil Hogan, der EU-Kommissar, den Cork‑2.0-Prozess, das heißt die europäische Diskussion über ländliche Räume, eröffnet hat. Cork ist eine irische Stadt, die auch aus einer Regionalitätserfahrung heraus weiß, welche Herausforderungen bestehen. Wir müssen deswegen gemeinsam – europäisch, national und regional – mit Modellen und Anstößen für die wirtschaftliche Entwicklung arbeiten. Die Land- und Forstwirtschaft wird ihre große Bedeutung für die Wirtschaft in den ländlichen Räumen und ihre Motorfunktion in der gesamten Wertschöpfungskette behalten. Wir werden und müssen sie allerdings ergänzen.

Unverzichtbarer Bestandteil der ländlichen Regionen sind die Bauernfamilien. Sie versorgen uns mit Lebensmitteln, die so sicher, gesund und vielfältig sind wie nie zuvor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Dafür gebührt unseren Bäuerinnen und Bauern ein herzlicher Dank von dieser Stelle seitens des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass wir die deutsche Landwirtschaft langfristig nur dann erfolgreich in der Mitte der Gesellschaft verankern können, wenn wir einen gesellschaftspolitischen Ansatz wählen.

Deswegen habe ich zum Jahreswechsel das Grünbuch als den Fahrplan für die deutsche Ernährungs- und Agrarpolitik vorgestellt. Es beschreibt Wegmarken unserer Politik für eine zukunftsfeste Landwirtschaft und lebendige ländliche Regionen, ergänzt um den Blick auch auf den internationalen Bereich. Wir können in einer Zeit der Globalisierung den Blick nicht nur auf unsere nationalen Befindlichkeiten richten.

(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])

Ich mache mir, wie wir alle, um Europa und auch um die Zukunft der europäischen Agrarpolitik Sorgen, wenn die Diskussion sich allein um die Finanzen drehen sollte. Nein, es bleibt dabei, dass die europäische Agrarpolitik eines der Fundamente der europäischen Zusammenarbeit ist; denn sie sorgt mit dafür, dass die ländlichen Räume eine Zukunft haben.

Eine Wegmarke wird hierbei auch die Beantwortung der Frage sein, wie Landwirtschaft und Tierhaltung in der Zukunft aussehen. Die Düngeverordnung, über die wir heute nicht diskutieren, über die wir uns aber in einem breiten Konsens geeinigt haben, und das Düngegesetz werden in den nächsten Tagen und Wochen die parlamentarischen und die anderen Beratungen erreichen bzw. verlassen. Ich denke, das ist eine gute Basis für einen vernünftigen Ausgleich zwischen der Landwirtschaft und der Notwendigkeit des Nährstofftransfers einerseits und den Umwelt- und Klimafragen andererseits, an denen wir natürlich nicht vorbeigehen können und auch nicht vorbeigehen wollen.

Ich möchte noch einen Punkt herausgreifen. Die tierische Veredelung in Deutschland erfordert Geld. Die Ansprüche der Gesellschaft sind sehr hoch. Manchmal neigt die Gesellschaft dazu, Ansprüche zu erheben, aber keine Antwort auf die Frage zu geben, wie sie denn finanziert werden sollen. Da und dort mögen wir unterschiedlicher Auffassung sein – Herr Hofreiter, ich habe Ihr Buch gelesen, das Sie vor einiger Zeit geschrieben haben –: Ich will einen Zweiklang. Ich möchte nicht nur mit dem Siegel „Tierwohl“ für Qualität und Verlässlichkeit für den Verbraucher sorgen, sondern parallel mit einer Nutztierhaltungsstrategie auch die notwendigen Investitionsmittel generieren, damit die Bauern die Möglichkeit haben, das, was von Ihnen gefordert wird, ökonomisch und ökologisch verträglich umzusetzen. Ich denke, hierüber ist zu diskutieren.

Seitens der Länder gibt es den Vorschlag, gemeinsam eine Tierwohlstrategie zu entwickeln. Dem verschließe ich mich nicht. Kollege Gert Lindemann, der als Staatssekretär gedient hat – –

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Minister, darf ich Sie auf Ihre Redezeit aufmerksam machen? Sie ahnen, was jetzt kommt.

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft:

Ja, ich bedanke mich.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Spannungsbogen!)

Das ist aber ein solch spannendes Thema, Herr Präsident, dass ich noch einen Satz zum Abschluss sagen möchte.

Ich bin bereit dazu, dass wir uns auch über diese Fragen unterhalten, weil ich glaube, dass es nicht gut wäre, wenn wir uns über die Köpfe der Tierhalter und der Tiere hinweg streiten und dabei das Wohl derselben aus den Augen verlieren würden. Ich bedanke mich für die Unterstützung, die ich in diesen Fragen erhalten habe. Noch einmal, wenn ich das darf, eine herzliche Einladung zur Grünen Woche.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

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