Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, spricht im aktuellen Interview mit der Augsburger Allgemeinen über die Erfolge der GroKo, das Ergebnis der Bayernwahl und die Aufgabe der Unionsparteien, ihre Vielfalt an Positionen wieder mehr als Stärke zu begreifen. 

Herr Dobrindt. In Hessen deutet sich für die CDU am Sonntag ein ähnliches Debakel an wie für die CSU vor knapp zwei Wochen in Bayern. Was passiert dann am Montag in Berlin – fliegt die Große Koalition auseinander? 

Wir wünschen der CDU und Volker Bouffier viel Erfolg. Ein positives Abschneiden ist wichtig für die gesamte Union. Die Wahl wird natürlich mit besonderer Sensibilität auch in Berlin beobachtet – gerade auch, was das Abschneiden der SPD angeht. Darüber hinaus werde ich vor der Wahl nicht spekulieren, was nach der Wahl sein könnte.

Das heißt, es kann auch schnell zu Ende gehen mit der GroKo?

Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf – und wir haben Verantwortung für vier Jahre übernommen. Die SPD hat sich damals schwergetan, diese Verantwortung zu tragen, und ein Teil der Partei hat damit noch immer große Schwierigkeiten. Dabei hat die Koalition in den ersten sechs Monaten deutlich mehr erreicht, als viele Koalitionen zuvor: Rekordinvestitionen, Rekordentlastungen, Baukindergeld, Mütterrente II, Kindergelderhöhung, Senkung Arbeitslosenbeitrag, Brückenteilzeit und vieles mehr. Diese Erfolge müssen wir allerdings auch selbstbewusst verkaufen. Inhaltlich ist dieser Koalitionsvertrag besser als der letzte. In der Kommunikation dessen, was wir leisten, müssen wir allerdings besser werden. 

In der SPD sind die Fliehkräfte gewaltig. Wie wollen Sie die Koalition denn zusammenhalten? 

Ich erkenne natürlich die schwierige Lage, in der die SPD mit einem Wahlergebnis von unter zehn Prozent in Bayern und Umfragewerten von weniger als 15 Prozent im Bund steckt. Das kann nicht der Anspruch der SPD sein. Dass es da innerparteiliche Debatten gibt, ist nicht überraschend. Die Kritiker einer Regierungsbeteiligung, allen voran Parteivize Ralf Stegner und Juso-Chef Kevin Kühnert, sollten nur eines nicht vergessen: Die SPD hat Verantwortung für unser Land übernommen. Flucht aus der Verantwortung hat noch nie gegen mangelnde Zustimmung geholfen. Statt jeden Tag die Koalition infrage zu stellen, sollte Herr Stegner lieber die Erfolge der Koalition vertreten. Diese Koalition hat bereits eine Reihe konkreter Verbesserungen für das Leben der Menschen erreicht. In der Opposition kann die SPD nichts davon umsetzen.

Aber wie soll eine Koalition zusammenhalten, wenn alle drei Parteivorsitzenden angezählt sind: Angela Merkel, Horst Seehofer, Andrea Nahles?

Regierungsparteien müssen auch in schwierigen Phasen Handlungsfähigkeit zeigen. Es ist unsere Aufgabe, in einer Zeit der weltweiten Unsicherheit, der Umwälzungen durch Globalisierung und Digitalisierung den Menschen Vertrauen, Verlässlichkeit und Orientierung zu geben.

Müsste die Kanzlerin hier nicht viel entschiedener vorangehen?  

Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Dazu gehört neben den großen Zukunftsthemen übrigens auch die Entlastung der Menschen in unserem Land. Hier haben wir in den vergangenen Wochen bereits viel erreicht, etwa durch die Abschaffung der kalten Progression. Das müssen wir fortsetzen und die neuen finanziellen Spielräume nutzen, um den Menschen etwas zurückzugeben. Ganz oben steht dabei für mich die komplette Abschaffung des Soli. 

Wenn Sie schon von Vertrauen sprechen: Hat die CSU noch Vertrauen in Horst Seehofer – und könnte er Innenminister bleiben, falls er den Parteivorsitz abgibt? 

Wir haben uns auf einen klaren Zeitplan verständigt: Zuerst bilden wir für Bayern eine stabile Regierung. Das ist unsere Verantwortung aus der Wahl. Anschließend nehmen wir eine intensive Analyse des Wahlergebnisses vor. Dabei werden inhaltliche wie personelle Fragen diskutiert.

Als sie Edmund Stoiber gestürzt hat und später auch Günther Beckstein und Erwin Huber, war die CSU nicht so geduldig. Ist Seehofers Rückzug als Parteichef womöglich schon beschlossene Sache und nur noch die Frage offen, wer seine Nachfolge antritt? 

Wenn man vor einer Wahl von Stabilität redet, sollte man nach einer Wahl nicht selber Faktor für Instabilität sein. Wir haben uns deshalb einen klaren Fahrplan gegeben und daran sollten wir uns halten

Was lernt die CSU als Partei eigentlich aus dem Wahlergebnis? Muss sie grüner werden? 

Wir müssen wieder stärker die gesamte Breite der Volkspartei darstellen. Dazu gehört, dass wir unseren Gestaltungsanspruch für Bayern, Deutschland und Europa klar formulieren und ihn immer wieder inhaltlich begründen – zum Beispiel, indem wir uns wieder intensiver mit den ökologischen Themen auseinandersetzen oder die ethischen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem medizinischen Fortschritt und der Digitalisierung aufgreifen. Zur Breite einer Volkspartei gehört aber auch, dass wir die Vielfalt an Positionen in den Unionsparteien wieder mehr als Stärke begreifen und sie gemeinsam weiterentwickeln, anstatt zu versuchen, sie einzuschränken. Das ist eine zentrale Voraussetzung, um bei den wichtigen Themen unsere Zeit zu einem gesellschaftlichen Ausgleich zu finden.

Sind die Grünen womöglich die neue Volkspartei? Auch ich Hessen legen sie gerade stark zu.  

Die Grünen sind keine Volkspartei und wollen es auch gar nicht sein – dazu fehlt ihnen schon die thematische Breite. Gute Umfragewerte der Grünen sind ja auch im Nachholbedarf oder der Schwäche anderer Parteien begründet. Noch ist es offen, ob der aktuelle Lauf der Grünen von Dauer ist, oder die Werte sich wieder normalisieren. Die letzten beiden Bundestagswahlen haben die Grünen mit historisch schlechten Wahlergebnissen abgeschlossen. Und wenn Herr Habeck in seinem Buch schreibt, dass er Vaterlandsliebe zum Kotzen finde und mit dem Begriff Deutschland bis heute nichts anfangen könne - dann kann man sich schon fragen, ob das die richtige Grundhaltung für eine Partei ist, die angeblich in die politische Mitte strebt. 

In jedem Fall haben sich die politischen Gewichte stark verschoben, nicht nur durch das Erstarken der AfD. Werden Sie es noch erleben, dass die CSU die absolute Mehrheit in Bayern zurückerobert? 

Dazu müsste ich erst einmal wissen, wie viele Jahre Sie mir noch geben (lacht). Im Ernst: Wir hatten schon 2008 ein schwieriges Wahlergebnis und haben durch konsequente, gute inhaltliche Sacharbeit fünf Jahre später wieder einen großen Wahlerfolg mit einer absoluten Mehrheit errungen. Wir sind nach wie vor in der Lage, große Mehrheiten an uns zu binden. Auch heute hat das bürgerliche Lager mit der CSU, der FDP und den Freien Wählern ja eine klare Mehrheit der Bayern hinter sich – nur eben in drei Parteien. Unsere Aufgabe ist es, dieses Wählerspektrum wieder stärker bei der CSU zu binden. Was die linke Seite angeht: Die ist mitnichten gestärkt, sie ist kleiner geworden. SPD und Grüne zusammen haben in Bayern heute weniger Prozente als vor fünf Jahren.

Die AfD zählen Sie nicht zum bürgerlichen Lager? In einer Talkshow klang das vor kurzem noch ganz anders bei Ihnen. 

Einspruch. Die AfD ist eine Rechtsaußenpartei, die sich mit radikalen Kräften wie Hooligans und Rechtsradikalen gemein gemacht hat. Sie ist unser erklärter politischer Gegner. Ich gehöre zu denen, die die AfD mit am härtesten bekämpfen. Das betrifft die Partei und die Funktionäre. Aber wir beschimpfen nicht die Wähler. Wähler, die in der Vergangenheit SPD oder bürgerliche Parteien gewählt haben, wollen wir zurückholen, ihnen bei uns wieder eine Heimat geben. Schon deshalb rate ich zu einer harten Auseinandersetzung mit der AfD. Als besonders dreiste Provokation habe ich es empfunden, dass AfDler in Chemnitz mit der weißen Rose im Revers aufgetreten sind – dem Zeichen des Widerstandes gegen den Nazi-Terror. Ich habe an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert, und bin praktisch täglich an der Gedenktafel für die Geschwister Scholl vorbeigekommen. Das sich die AfD der weißen Rose bedient, ist widerlich.

Hubert Aiwanger will die Freien Wähler nach dem Erfolg in Bayern nun auch bundesweit stärker verankern. Droht der Union da neue Konkurrenz aus dem eigenen Milieu?

Nein. Die Freien Wähler haben keine bundespolitische Programmatik.
 

Druckversion