Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, im Interview mit der Passauer Neuen Presse

Herr Dobrindt, Friedrich Merz nannte Olaf Scholz einen Klempner der Macht. Welchen Berufsstand hätten Sie gewählt, um die Arbeit des Kanzlers zu charakterisieren?

Ich glaube, es reicht nicht, Olaf Scholz handwerkliche Fehler vorzuwerfen. Olaf Scholz hat die Führung verloren und das hat er mit seiner vollkommen deplatzierten Nicht-Regierungserklärung am vergangenen Dienstag unter Beweis gestellt. Und das in der größten Krise der Ampelregierung. Es ist dem Kanzler nicht gelungen, auch nur einen Hauch von Orientierung oder Ausweg aufzuzeigen. Diese Rede war eine schwere Enttäuschung für das ganze Land.

Sie kennen Olaf Scholz ja besser als manch anderer. Sie haben gemeinsam in der Großen Koalition oft bei Koalitionsausschüssen die Entscheidungen vorbereitet. Überrascht Sie das Agieren von Olaf Scholz heute?

Ich habe Olaf Scholz früher anders erlebt. Er hat dieses Etikett des Scholzomaten, das prägt seine öffentliche Wahrnehmung. Aber in Verhandlungen, in Gesprächen, auch in kritischen Situationen habe ich ihn stets überlegt, in der Sache sortiert, kompromissbereit und strategisch denkend erlebt. Darum bin ich von seiner totalen Fehlleistung überrascht, die er als Bundeskanzler offenbart.

Die Angriffe der Union sind von der politischen Ebene weggerückt auf eine persönliche Ebene. Die Angriffe von Merz zeigen das. Vergreift sich eine bürgerlich-konservative Partei nicht da im Ton?

Friedrich Merz gibt doch nur wieder, was der Wahrnehmung in weiten Teilen der Gesellschaft in Deutschland entspricht. Diese Regierung kann es nicht und die Schuhe, die ihnen Amtsvorgänger hingestellt haben, sind ihnen deutlich zu groß. Dazu kommt, dass diese direkteren Angriffe auch eine Auswirkung der Zerrüttung zwischen den Fraktionen im Parlament sind. Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten noch nie so eine Situation der totalen Entfremdung erlebt. Die Ursache dafür liegt in der dreisten Manipulation des Wahlrechts durch die Ampel, was ausschließlich dem eigenen Machterhalt dienen soll. Die Ampel versucht, über eine Wahlrechtsmanipulation Parteien aus dem Bundestag zu entfernen. Das ist der Gipfel in einer Reihe von Respektlosigkeiten und Arroganz-Zurschaustellung. Nachdem das Verfassungsgericht in dieser Woche das Wahlrecht der großen Koalition aus der letzten Wahlperiode bestätigt hat, erwarte ich von der Ampel, dass sie sich mit uns an einen Tisch setzt, um ein faires Wahlrecht zu entwickeln, das den Wählerwillen abbildet und nicht missachtet. Das Ampel-Wahlrecht wird in Karlsruhe ebenso scheitern wie der Versuch, die Schuldenbremse zu betrügen.

 

 

Wäre die Union morgen regierungsfähig?

Wir wären heute regierungsfähig! Wir wären sofort in der Lage, einen verfassungskonformen Haushalt für 2024 zu verabschieden. Wir haben ein klares Programm zum Stopp der illegalen Migration. Und wir haben ein Konzept, wie man die Energiekrise in den Griff bekommt. Wir sind in der Lage, für die drängendsten Probleme schnell Lösungen zu präsentieren.

Wäre dann Merz als Kanzlerkandidat gesetzt?

Friedrich Merz ist der Vorsitzende der CDU Deutschlands und der CDU/CSU-Bundestagfraktion. Bei einer jetzt anstehenden Neuwahl wäre er der absolute Favorit der Union.

Würde die Union noch für eine Große Koalition zur Verfügung stehen, wenn Scholz Kanzler bleibt? Oder ist das Zeitfenster, in dem eine solche Option möglich gewesen wäre, schon geschlossen?

Wir haben dem Bundeskanzler mehrfach angeboten, zur Bewältigung der größten Krisen in eine Regierung mit ihm als Bundeskanzler einzutreten. Er wollte diese Option nicht nutzen. Das Zeitfenster ist deshalb aus meiner Sicht nicht mehr geöffnet. Ein Bruch der Ampelkoalition würde zu Neuwahlen führen.

Die AfD steht bei 22 Prozent. Ist es nicht fahrlässig, Neuwahlen zu fordern oder fürchten Sie, dass die Partei in zwei Jahren der Union mit 30 Prozent Konkurrenz macht?

Fahrlässig ist, wenn diese Ampel weiter regiert. Seit der Bundestagswahl haben sich die Umfragewerte der AfD verdoppelt. Und die Prognosen sagen, dass die AfD nicht ausmobilisiert ist und noch zulegen kann, wenn die Ampel die Menschen weiter polarisiert. Ohne einen Kurswechsel in der deutschen Politik, besteht die reale Gefahr, dass die AfD bei der Europawahl stärkste Partei wird. Das ist eine bedrohliche Entwicklung. Die Ampel muss endlich aufhören, die Menschen in Deutschland immer weiter zu emotionalisieren. Nur wenn die Politik in Deutschland besser wird, werden die Umfragen für die AfD sinken.

Fürchten Sie eine absolute Mehrheit der AfD in einem der drei Ostländer, wo nächstes Jahr gewählt wird?

Es gibt Prognosen, die das für denkbar halten, wenn sich in der Ampelpolitik nichts ändert. Ich glaube allerdings daran, dass Wahlentscheidungen durch politische Entscheidungen verändert werden können. Die Ampel hat es in der Hand. Sie kann durch vernünftige politische Entscheidungen solche Schreckensszenarien verhindern.

Welche Entscheidungen?

Dobrindt: Das Heizungsgesetz hat die Stimmungslage in Deutschland massiv belastet, es wird von vielen Menschen als Bedrohung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit empfunden. Aus meiner Sicht zu Recht. Das Heizungsgesetz muss deshalb weg. Eine unserer ersten Maßnahmen in Regierungsverantwortung wäre es, das Heizungsgesetz zu beseitigen. Das Gesetz bringt keinen erkennbaren Klimanutzen, kostet Bürger und Staat aber Milliarden. Das Heizungsgesetz ist neben der illegalen Migration die Grundlage für die schwer belastete gesellschaftliche Stimmung. Olaf Scholz sollte endlich einsehen: Die Klimapolitik der Grünen zerstört das gesellschaftliche Klima in Deutschland.

Aber auf Klimapolitik können wir doch nicht verzichten.

Wir brauchen Klimapolitik, die den CO2-Ausstoß reduziert, aber die Bürger nicht überfordert. Dazu braucht man mehr Vernunft und Technologie und weniger Starrsinn und Ideologie. Erstens: Kernenergie weiterlaufen lassen, um CO2-freie Energie zu erzeugen. Zweitens: Heizgesetz abschaffen und freiwillige Anreize setzen für diejenigen, die es sich leisten können, eine Heizung aus erneuerbaren Energien zu installieren. Es bleibt dabei: Klimapolitik kann nur mit den Menschen gelingen und nicht gegen sie. Diesen Grundsatz hat die Ampel sträflich vernachlässigt.

Die Union will beim Bürgergeld sparen. Treffen sie da nicht die kleinen Leute, für die ihre Partei eintritt? Etwa Alleinerziehende.

Das Bürgergeld soll diejenigen schützen, die nicht arbeiten können und Menschen in schwierigen Situationen unterstützen. Es ist nicht gemacht für die Bequemen oder diejenigen, die einfach rechnen können. Wenn das Bürgergeld Menschen aktiv in die Sozialhilfe treibt, anstatt sie in Arbeit zu integrieren, dann ist es kein Gesetz für kleine Leute, sondern es ist ein Gesetz gegen die kleinen Leute, die das alles auch mitbezahlen müssen. Das Bürgergeld ist zur Arbeitsbremse geworden, weil sich Arbeit nicht mehr lohnt. Das kann nicht sein. Wir brauchen deshalb ein Zurückdrehen des Bürgergelds und mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme. Das gilt im Übrigen auch für Flüchtlinge aus der Ukraine: In Deutschland arbeiten 17 Prozent der erwachsenen ukrainischen Flüchtlinge, in den Niederlanden sind es 70 Prozent, in Polen sogar noch mehr. Wir sollten diesen Menschen ein Arbeitsangebot machen und im Falle einer Ablehnung das Bürgergeld kürzen. Neuankömmlinge sollten generell nur noch über das Asylbewerberleistungsgesetz abgesichert werden.

Die Ampel reformiert das Staatsbürgerschaftsrecht. Wer darf den deutschen Pass aus ihrer Sicht nicht bekommen?

Das Ampel-Staatsbürgerschaftsrecht ermöglicht eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren. Das wird eine gigantische Magnetwirkung auf die ganze Welt ausüben. Die deutsche Staatsbürgerschaft ist weltweit eine der wertvollsten nach der amerikanischen. Dieses Verramschen der Staatsbürgerschaft wird Menschen zusätzlich dazu bewegen, über das Asylsystem nach Deutschland einzureisen. Das wird sich zum Turbo für die Einwanderung in das deutsche Sozialsystem entwickeln.

Eine Einbürgerung nach drei Jahren ist nur vorgesehen für jene, die sich besonders gut integriert haben, die Sprache richtig gut können. Das ist doch kein Verramschen?

Doch, natürlich! Das Staatsbürgerschafts-Ramsch-Gesetz der Ampel sagt, dass der eigene Lebensunterhalt nur überwiegend allein bestritten werden muss, und in bestimmten Fällen können sogar Straffällige den deutschen Pass bekommen. Mir wird von Personen, die im Asylsystem arbeiten, berichtet, dass sich Asylbewerber schon mit den Voraussetzungen für eine Einbürgerung nach drei Jahren beschäftigen. Das ist jetzt für alle das Ziel, und dass der Doppelpass zudem Standard werden soll, wird die Bereitschaft zur Integration noch mal zusätzlich absenken.

Ist Identität nicht auch teilbar? 30 Jahre in der Türkei, 30 Jahre in Deutschland, da empfindet man doch auch nachvollziehbar das Bedürfnis, beide Pässe zu behalten?

Identität innerhalb Europas ist sicher leichter teilbar, als wenn das über Kulturgrenzen hinweg geschehen soll. Respekt für diejenigen, die das schaffen. Aber auf deutschen Straßen konnte man in den vergangenen Monaten ganz offen beobachten, dass das in vielen Fällen nicht gelingt.

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