Redeauszug der Bundestagsabgeordneten Susanne Hierl in der Bundestagsdebatte zum Enquete-Bericht: Lehren aus Afghanistan-Engagement, 23.2.2024:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitglieder der Enquete-Kommission!

„Das ist recht einfach: Es gab ihn schlicht nicht. Also, es gab ihn auch nicht abgeschwächt oder ein bisschen, sondern er war nicht da.“

Das war die ernüchternde Antwort von Brigadegeneral Sembritzki auf die Frage, wie er den vernetzten Ansatz in Afghanistan wahrgenommen hat.

Mit dem Einsetzungsbeschluss wurde die Enquete-Kommission aufgefordert, den 20-jährigen Einsatz in Afghanistan unter dem Aspekt der vernetzten Zusammenarbeit aufzuarbeiten, um für die Zukunft Lösungen zu entwickeln, damit ein vernetztes Arbeiten zwischen den Ressorts bei zukünftigen Einsätzen gut möglich ist.

Vor Ort in Afghanistan gab es keine klaren Absprachen, nicht zwischen den Ressorts und nicht zwischen den internationalen Partnern. Gleichzeitig wurde aber immer wieder darauf hingewiesen, dass der vernetzte Ansatz im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft gelebt wurde. So zeichnete sich die Zusammenarbeit vor Ort durch einen gewissen Pragmatismus aus. Der Austausch war aber weder von Berlin gefordert noch gefördert, sondern resultierte aus den Notwendigkeiten vor Ort. Dabei hatte die militärische Seite oft das Gefühl, im zivilen Bereich nicht erwünscht zu sein. Gesprächspartner aus dem Militär stellten fest, dass die Idee des vernetzten Einsatzes, also ein gemeinsam eng abgestimmtes Vorgehen, meist nicht im Ansatz abgebildet werden konnte.

Neben dieser pragmatisch notwendigen Umsetzung eines vernetzten Ansatzes, die zwischen Militär und Zivil nicht immer einheitlich wahrgenommen wurde, gab es noch eine völlig andere Seite, nämlich das Vorgehen in Deutschland: in der Regierung, den Ministerien und dem Parlament.

Es wurde bereits in der Regierung nicht ausreichend ressortübergreifend diskutiert und entwickelt. Zwischen dem politischen Anspruch an den vernetzten Ansatz und der Realität im Einsatz klaffte eine große Lücke. Aufseiten der Regierung gab es eine Staatssekretärsrunde, die ein gutes Instrument war, um Entscheidungen zu treffen. Aber es war kein geeignetes Gremium für eine ressortübergreifende Zusammenarbeit.

Ein weiteres Manko war, dass die zivile Seite überwiegend in den Händen des Auswärtigen Amtes und des BMZ lag. Weitere Ministerien wie Umwelt, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft oder Verkehr wurden nicht mit einbezogen.

Auch das Interesse der einzelnen Ausschüsse am Einsatz in Afghanistan war unterschiedlich. Der Verteidigungsausschuss zum Beispiel lud Generalinspekteur Schneiderhan in fast jede Sitzung ein. Einladungen aus dem Auswärtigen Ausschuss waren selten, Einladungen aus anderen Ausschüssen an ihn gab es nicht. Noch bezeichnender finde ich jedoch: Der Generalinspekteur wurde niemals gemeinsam mit anderen Einsatzpartnern im Ausschuss angehört. Es gab also im Parlament keine Gelegenheit, gemeinsam über die Ressorts hinweg, gewissermaßen vernetzt, Rede und Antwort zu stehen.

Durch dieses Vorgehen hat man die Chance vergeben, voneinander zu lernen, Lagebilder kritisch übereinanderzulegen, die Barrieren zwischen den Ressorts aufzulösen und den vernetzten Ansatz so in Berlin mit Leben zu füllen.

Die mangelnde Abstimmung über die einzelnen Ressorts hinweg führte unter anderem dazu, dass es verschiedene Einschätzungen der Situation vor Ort gab, die in großen Teilen in Berlin nur zur Kenntnis genommen, aber nicht näher hinterfragt wurden und schon gar nicht zu Änderungen in den Abläufen führten.

Die Anhörungen haben eines gezeigt: Ressortegoismen sind im Auslandseinsatz fehl am Platz.

Es darf nicht sein, dass jeder in Berlin sein eigenes Süppchen kocht und unsere Soldaten, Polizisten und Mitarbeiter ziviler Institutionen dieses dann auslöffeln müssen. Generalleutnant a. D. Carl-Hubertus von Butler hat es wie folgt ausgedrückt – ich zitiere:

„Ich stelle mir vor, dass wir in einem vergleichbaren Einsatz von vornherein nicht von einem Einsatz der Bundeswehr oder der Soldaten, sondern von uns allen sprechen. Wir alle haben die Verantwortung.“

Wir als Parlament und auch die Regierung tragen die Verantwortung für die Einsätze. Wir sind dazu aufgerufen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass unsere Soldaten, die Polizei und auch zivile Institutionen sich gemeinsam auf ihre Arbeit konzentrieren können und nicht in einer Art Feldversuch – noch dazu im Einsatz – neue Wege beschreiten müssen. Es ist unsere Aufgabe in Berlin, die Grundlage zu legen, damit der vernetzte Ansatz in Zukunft über alle Ressorts hinweg gelingen kann und wir bei künftigen Einsätzen den Beteiligten vor Ort die Chance geben, den Auftrag zum Erfolg zu führen.

Mein Dank gilt allen zivilen und militärischen Einsatzkräften für ihre Tätigkeit in Afghanistan. Meine Gedanken sind bei den Einsatzkräften, die in Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben lassen mussten.

Herzlichen Dank.

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