Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Michael Frieser in der Bundestagsdebatte zum Mahnmal für NS-Verfolgte Zeugen Jehovas am 22.6.2023:

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! 

Ich bin dem Kollegen Hacker sehr dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, dass dieser Tag nicht besser gewählt sein könnte; denn übermorgen jährt sich das Verbot der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas in Preußen zum 90. Mal. Ein Gedenk-, ein Jahrestag. Historisch zeigt sich damit auch, dass die Zeugen Jehovas als Glaubensgemeinschaft zu den ersten Gruppen gehörten, die aus Glaubensgründen verfolgt wurden.

Wir haben hier viel gehört über das Aufrechtsein im Glauben und darüber, für Prinzipien einzustehen und damit vielleicht mit dem Leben zu bezahlen. Ein lila Winkel wurde den Zeugen Jehovas angeheftet. Es gibt viele Zitate von Inhaftierten, von Insassen von Konzentrationslagern, die gerade über die Hilfsbereitschaft der Träger der lila Winkel zu berichten wussten.

Heute sitzen viele junge Menschen – fast außergewöhnlich viele – auf der Tribüne. Man muss und darf die Frage stellen: Was hat uns ein solcher Tag, was hat uns ein solcher Kampf und Einsatz für ein Mahnmal zu sagen? Nein, man muss nicht die Prinzipien dieser Glaubensgemeinschaft teilen. Man muss kein Angehöriger und kein Anhänger sein. Aber eine Demokratie basiert in ihren Grundfesten gerade darauf, dass sie Religionsfreiheit, Glaubensfreiheit nicht nur dadurch beweist, tagtäglich dafür zu kämpfen, dass Menschen ihren Glauben nicht nur leben, sondern auch praktizieren dürfen, sondern auch dadurch, dass in der Rückschau die Verantwortung des Erinnerns ein wesentlicher Aspekt ist, um diesen Menschen in der Mitte der Stadt Berlin zu gedenken.

Es geht dabei eben nicht nur um passiven Widerstand. Den Wehrdienst zu verweigern, den Dienst an der Waffe zu verweigern – in jener Zeit –, ist mehr als aktiver Beitrag. Die Tatsache, dafür einzutreten, Flugblätter zu verteilen – in jener Zeit –, ist mehr als aktiver Widerstand.

Ja, wir müssen darüber nachdenken – Stichwort „Segregation von Opfergruppen“ –, an wie vielen Stellen Mahnmale errichtet werden müssen. Aber ich glaube, dass sich unsere Art des Gedenkens – unser Auftrag aus der Vergangenheit für die Zukunft – gerade darin Bahn bricht und wir sehr wohl wissen, welchen Gruppen wir welches Gedenken ihrer Opferbereitschaft und ihrer Geschichte schuldig sind.

Dazu gehört, dass wir in der Lage sind, deutlich zu machen: Auch Glaubensgemeinschaften, die heute nicht zur Mehrheit gehören – vielleicht auch nie gehören werden –, haben in ihrer Geschichte einen beeindruckenden Fußabdruck hinterlassen, indem sie uns verdeutlichen: Ein Leben im Glauben, in den Festen von Prinzipien, ist auch im Angesicht des Untergangs, der Verfemung und des Todes etwas, was uns Aufgabe sein sollte.

Es ist eine Verfolgung, die mit dem Nationalsozialismus nicht zu Ende war. Sie greift hinein in die zeitgenössische Geschichte. In beiden Diktaturen wurden Zeugen Jehovas verfolgt und ausgegrenzt. Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass im Herzen dieser Stadt – im Herzen unserer Demokratie – ein deutliches Signal für die Anerkennung, für das Gedenken und das Erinnern an die Zeugen Jehovas gesetzt wird.

Vielen Dank.
 

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