
Rede zu Spätabtreibungen
5.a) Erste Beratung Abg Volker Kauder, Renate Schmidt, Johannes Singhammer und weitere Abg
Schwangerschaftskonfliktgesetz/Änderung
- Drs 16/11106 -
- Drs 16/11106 -
5.b) Beratung Antrag Abg Christel Humme, Irmingard Schewe-Gerigk, Elke Ferner, Caren Marks und weiterer Abg
Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen - Volle Teilhabe für Menschen mit Behinderung sicherstellen
- Drs 16/11342 -
- Drs 16/11342 -
5.c) Erste Beratung Abg Kerstin Griese, Katrin Göring-Eckardt und Andrea Nahles und weiteren Abg
Zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
- Drs 16/11347 -
- Drs 16/11347 -
5.d) Erste Beratung Abg Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Ulrike Flach und weiterer Abg
Schwangerschaftskonfliktgesetz/Änderung
- Drs 16/11330 -
- Drs 16/11330 -
5.e) Beratung Antrag Dr. Kirsten Tackmann, Diana Golze, Elke Reinke und weiterer Abg.
Späte Schwangerschaftsabbrüche - Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken
- Drs 16/11377 -
- Drs 16/11377 -
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1995 wurde die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft und bei der medizinischen Indikation aufgenommen. Vor allem die Behindertenverbände und die Kirchen haben uns gemahnt, mit der Diskriminierung von Behinderten durch die embryopathische Indikation endlich aufzuhören. Bei der Begründung zu der Neuformulierung der medizinischen Indikation haben wir deshalb klargestellt - ich zitiere -: „daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann.“
Entgegen der gesetzgeberischen Erwartung aus dem Jahr 1995 hat sich jedoch gezeigt, dass Schwangerschaftsabbrüche allein wegen einer möglichen Behinderung eines Kindes erfolgen. Wir, die wir 1995 die Gesetzesänderung formuliert haben, haben auf die Fachleute vertraut. Diese hatten uns versichert, dass sich Abtreibungen nach Pränataldiagnostik auf eng begrenzbare Fälle beschränken würden.
Die Entwicklung ist jedoch völlig anders gelaufen. Bereits in den 90er-Jahren hatten Eltern einen Arzt verklagt, weil sie ein behindertes Kind bekamen. Das Gericht verurteilte den Arzt zu Schadensersatz. Er hätte nicht nur die Pflicht gehabt, so das Gericht, die entsprechenden Untersuchungen zu veranlassen, sondern auch die Pflicht, auf die Möglichkeit einer Abtreibung hinzuweisen. Das hatte zur Folge, dass mittlerweile etwa zwei Drittel der Schwangeren nach der zwölften Woche Pränataldiagnostik durchführen lassen und dass bei möglicher Behinderung zur Abtreibung geraten wird.
Die heute mehrmals getroffene Aussage, dass 80 Prozent aller spätabgetriebenen Kinder nicht lebensfähig seien, ist nirgendwo belegt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD))
Aber es gibt immer wieder lebende Beispiele dafür, dass trotz prognostizierter Behinderung ein gesundes Kind zur Welt gebracht wird.
Viele Schwangere meinen im Vertrauen auf den Arzt, alle Untersuchungsangebote wahrnehmen zu müssen. Es gibt jedoch auch das Recht auf Nichtwissen; denn im Zweifelsfall kommt es tatsächlich - das kann man nicht wegreden - zu dem Automatismus: Pränataldiagnostik, Befund einer möglichen Behinderung des Kindes, Schwangerschaftsabbruch.
(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie ist es mit der Zweitdiagnose?)
Deswegen ist eine Beratung vor und nach der Pränataldiagnostik unerlässlich.
Aus Studien ist bekannt, dass viele Frauen das jetzt schon bestehende kostenlose Angebot einer psychosozialen Beratung im Rahmen einer medizinischen Indikation nicht kennen. Aber psychosoziale Beratung ist gerade in diesen Fällen dringend erforderlich und eine ganz große Hilfe für diese Schwangeren, für diese Eltern in großer Not, und deswegen muss sie besser verankert werden.
Studienbefunde zeigen, dass sich Frauen nach der Mitteilung über eine Erkrankung oder Behinderung eines ungeborenen Kindes häufig in einem Schockzustand befinden. Das ist klar. Wenn ich mit einem gesunden Kind rechne und eine solche Diagnose bekomme, dann weiß ich zunächst nicht, wie ich damit umgehen kann. Daher, Frau Lambrecht, ist genügend Zeit für psychosoziale Beratung und für einen Reflexionsprozess unbedingt erforderlich, und zwar für alle Beteiligten. Deswegen fordern die Ärzte schon seit längerem auch bei der medizinischen Indikation eine Bedenkzeit von drei Tagen. Ich denke, es ist richtig, dass wir das einführen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD))
Die Schwangere kann sich in dieser Zeit mit der Frage auseinandersetzen, ob für sie ein Leben mit dem Kind vorstellbar ist. Aber auch der Vater des Kindes - das möchte ich betonen - muss in diese Entscheidung mit einbezogen werden. Mutter und Vater müssen gemeinsam eine verantwortbare Entscheidung treffen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bereits 2001 und 2004 hatte die CDU/CSU-Fraktion Anträge zur Spätabtreibung in den Bundestag eingebracht, leider ohne Erfolg. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Union ist ein Ergebnis der Diskussion der letzten Jahre. Unser Ziel war, zusammen mit dem Koalitionspartner einen Gesetzentwurf vorlegen zu können. Ich bedauere sehr, dass das nicht möglich war. Die heutige Debatte gibt mir jedoch die Hoffnung, dass sich hier im Bundestag doch eine Mehrheit für eine bessere Regelung von Spätabtreibungen findet; denn auch behinderte ungeborene Kinder bedürfen unseres Schutzes. Ebenso brauchen Schwangere, die in einer ganz besonders schwierigen Lebenssituation sind, unsere besondere Hilfe und Unterstützung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)