Corona-Pandemie 30.07.2021
Dobrindt schließt Impfpflicht aus
Alexander Dobrindt
© Marc Müller

Im Interview mit der Augsburger Allgemeinen wirbt Alexander Dobrindt für eine Corona-Impfung, schließt eine Impfpflicht jedoch aus.

Herr Dobrindt, Deutschland verliert bei den Corona-Impfungen gerade deutlich an Tempo. Wie lässt sich eine vierte Welle im Herbst abwenden?

Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Aber die Notwendigkeit, dass sich mehr Menschen impfen lassen, entfällt dadurch nicht. Jedem muss klar sein, dass es bei steigendem Infektionsgeschehen einen Unterschied machen wird, ob man geimpft ist, oder nicht. Steigende Infektionszahlen führen zwingend dazu, dass Geimpfte mehr Normalität erleben können als Nicht-Geimpfte. Theater-, Hotelbesuche und größere Zusammenkünfte können an eine Impfung gekoppelt sein.

Bisher gab es den Dreiklang ’geimpft, getestet, genesen’, das war praktisch gleichwertig. Nach Ihren Worten wäre es damit vorbei...

Es kann der Punkt kommen, wo aus dem Dreiklang für manche Bereiche ein Zweiklang wird: geimpft und genesen. Denn bei hohen Inzidenzzahlen sind Infektionsketten nur zu unterbrechen, wenn die Nicht-Geimpften ihre Kontakte wieder reduzieren. Bei den Tests gibt es immer auch einen Teil Unsicherheiten. Und es geht auch darum, die Sinnhaftigkeit von Impfungen noch einmal zu unterstreichen.

Wäre das nicht eine Art Impfpflicht durch die Hintertür?

Darum geht es nicht, es bleibt bei der Freiwilligkeit. Aber mit Freiwilligkeit ist nicht Risikomaximierung gemeint. Nicht-Impfen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Erkrankung und die Infektionsketten, die dadurch entstehen, gilt es möglichst auszuschließen. Deswegen wären bei hohen Infektionszahlen Einschränkungen für Nicht-Geimpfte gegenüber Geimpften vertretbar, auf jeden Fall solange den Kindern kein Impfangebot gemacht werden kann.

In Bayern sitzt mit Hubert Aiwanger ein, sagen wir, Impfskeptiker mit am Kabinettstisch. Wie bewerten Sie, dass er sich bisher nicht hat impfen lassen?

Als Bürger ist das seine freie Entscheidung. Aber als herausgehobener Politiker kann man eine Vorbildfunktion von ihm erwarten. Außerdem habe ich null Verständnis dafür, dass er die Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe anzweifelt und Angst vor Nebenwirkungen schürt. Dass er sich dabei ganz bewusst der Sprache von Querdenkern bedient halte ich für verantwortungslos. Gerade ein Wirtschaftsminister sollte Interesse daran haben, dass es nicht durch Infektionen und Quarantäne zu Beeinträchtigung am Arbeitsplatz und Schäden für die Wirtschaft kommt.

Inzwischen ist rund die Hälfte der Deutschen vollständig geimpft, die Risikogruppen sind weitgehend geschützt. Nach welchen Maßstäben sollen die Corona-Entscheidungen künftig getroffen werden? Ist der Inzidenzwert dafür noch tauglich?

Der Inzidenzwert in seiner singulären Betrachtung hat sich überholt. Er kann als Frühwarnsystem dienen, aber nicht mehr automatisch zu Beschränkungen führen. Der Inzidenzwert muss in engem Zusammenhang mit dem Impffortschritt gesehen werden, deshalb braucht es auch mitwachsende Grenzwerte. Besonders die Belastung des Gesundheitssystems muss dabei immer als Grundlage für Entscheidungen herangezogen werden.

Aber wie kann eine solche Formel konkret aussehen?

Wir brauchen eine Kombination aus Inzidenz, der Impfquote und der Zahl der Corona-Patienten in den Krankenhäusern. Letztere sollte das stärkste Gewicht haben. Eine 100er oder 200er Inzidenz wird jedenfalls nicht mehr zu einem Lockdown führen und auch bei Werten darüber ist das nicht zu erwarten.

Und wie sieht es bei den Schulen aus?

Die Schulen sollten nach den Ferien wieder normal öffnen können. Ob das stabil bleibt hängt ausschließlich davon ab, wie das Infektionsgeschehen bei Kindern sich entwickelt. Deshalb sollte die Ständige Impfkommission sehr schnell ihre Empfehlung überdenken, was das Impfen der 12- bis 17-Jährigen anbelangt. Und wir brauchen zügig eine Zulassung der Impfstoffe für die unter 12-Jährigen.

Ein großes Ärgernis ist, dass die Schulen nach anderthalb Jahren der Pandemie noch immer nicht in der Fläche mit Luftfiltern ausgestattet sind. Viele Eltern sind wütend darüber. Dabei hieß es immer, die Bildung der Kinder habe Priorität. Warum haben das Bund und die Länder – auch Bayern – nicht hinbekommen?

Ich bin selbst unzufrieden mit der schleppenden Annahme der Fördergelder aus den Programmen für die Luftfilter in den Schulen. Diese Geräte sind auch ein Element neben Abstand und Maske, um Infektionen zu verhindern. Ich rate dazu, die Luftreiniger so schnell wie möglich einzubauen.

Herr Dobrindt, Themenwechsel. In zwei Monaten wird gewählt. Es ist Wahlkampf. Markus Söder hat gegen Armin Laschet den Kürzeren gezogen. Der eine leise, der andere laut, im Duett von Armin Laschet und Markus Söder gibt es wenig Gleichklang, zuletzt sogar erhebliche Misstöne um Steuersenkungen.

Die Mannschaft steht und es gibt ein enges Zusammenspiel zwischen CDU und CSU, zwischen Armin Laschet und Markus Söder. Wir brauchen jetzt aber zusätzlichen Schwung. Es gilt der Dreiklang für Wahlkämpfe mit den drei „M“: Mannschaft, Mut und Mobilisierung. In einer heißen Wahlkampfphase muss vor allem die maximale Mobilisierung eine große Rolle spielen. Die Umfragen zeigen, dass wir noch erheblich Luft nach oben haben. Der Wahlkampf braucht zusätzliche Dynamik.

Sie sprechen die Umfragen an, in denen die Zustimmung zur Union sinkt. Beunruhigt Sie das und welchen Anteil daran hat der Kanzlerkandidat Armin Laschet, der nach der Sturzflut im unpassenden Moment feixte?

Armin Laschet hat zurzeit eine sehr große Herausforderung. Die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz benötigt sehr viel Anstrengung und Kraft. Er ist mit großer Einsatzbereitschaft dabei, die schrecklichen Ereignisse dieser Flutkatastrophe zu bewältigen. Von daher ist es nachvollziehbar, dass der Wahlkampf für den Moment in den Hintergrund gerückt ist. Das bedeutet aber auch, dass in einer heißen Wahlkampfphase zur Mobilisierung der Fokus deutlicher auf die Unterschiede zwischen den Parteien gelegt werden muss. Wir brauchen mehr inhaltliche Auseinandersetzung.

Wo wir bei Unterschieden sind: Die CSU setzt bei Steuern und Klima andere Schwerpunkte als die CDU. Die von Ihnen beschworene Einheit der beiden Unions-Schwestern droht doch dadurch verloren zu gehen.

Die inhaltliche und personelle Breite ist eine der großen Stärken der Union. Die CSU setzt neben den Gemeinsamkeiten mit der CDU schon traditionell immer auch eigene Akzente. Aber CDU und CSU spielen gemeinsam im Team Entlastung.

Da hatte Laschet gesagt, dass es kein Geld für Entlastungen gäbe, obwohl im Wahlprogramm etwas anderes steht. Das hat viele Wählerinnen und Wähler überrascht.

Wir sind uns einig, dass die Entlastungen aus dem Wahlprogramm umgesetzt werden. Ich war mit Armin Laschet immer einer Meinung, dass wir wirtschaftliches Wachstum brauchen und neue Dynamik, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern. Dazu gehört eine klare Entlastungsagenda für die Wirtschaft und die Mitte der Gesellschaft. Wir stehen im September klar vor einer Richtungswahl: Wollen wir Mittelstand, Arbeitnehmern und Familien mehr geben oder mehr nehmen? SPD und Grüne wollen Steuern erhöhen und zum Beispiel das Ehegattensplitting abschaffen. Allein das würde Steuererhöhungen für Millionen von Familien bedeuten. 
 
Ihr wahrscheinlichster Koalitionspartner und gleichzeitig ärgster Konkurrent sind die Grünen. Nach den vielen kleinen Skandalen von Annalena Baerbock scheinen sie den Tiefpunkt überwunden zu haben. Rechnen Sie mit einem Wahlkampf-Comeback?

Es gibt kein Abo der Grünen auf eine Regierungsbeteiligung. Ich bin froh, dass andere mögliche Koalitionen sichtbar werden. Dazu gehört auch eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und der FDP. Ich hätte sehr viel Sympathie für ein solches Bündnis. Es könnte die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Freiheit, Sicherung des Wohlstands und Gerechtigkeit sehr viel besser miteinander verbinden als ein Bündnis mit den Grünen.  
 
Nochmal zurück zu den Grünen und Annalena Baerbock. Sie musste sich schon wieder entschuldigen, weil sie das sogenannte N-Wort aussprach…

Ich finde es folgerichtig, dass sich auch die Spitzenkandidatin der Grünen an ihren eigenen Ansprüchen messen lassen muss und deswegen in ihrer eigenen Partei eine Debatte über ihre Äußerungen stattfindet.

Müsste sie nicht auch genauer sagen, wo genau dieser angebliche Vorfall um dieses Schularbeitsblatt stattgefunden hat?

Frau Baerbock formuliert einen sehr harten Vorwurf bezüglich eines spezifischen, angeblichen Missstandes im Bildungssystem. Um die Glaubwürdigkeit dieses Vorwurfs zu untermauern, sollte sie Ross und Reiter nennen, um auch die Chance zu ermöglichen, dass ein solcher Missstand, wenn er denn existiert, abgestellt werden kann.

Weil der Wahlkampf weder bei Baerbock noch bei Laschet rund läuft, könnte doch Olaf Scholz von der SPD der lachende Dritte sein. Da könnten Sie glatt ein bisschen neidisch werden? 

Die Vergangenheit zeigt, dass es wenig Grund gibt, jemanden dafür zu beneiden, dass er Spitzenkandidat der SPD ist. Aber ich freue mich auch darüber, wenn die SPD ihren Anteil dazu beiträgt, einen grünen Höhenflug zu beenden.

Einen Höhenflug erlebt gerade die FDP. Das Debakel um die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen hat sie abgeschüttet. Diese Stimmen könnten der Union am Ende fehlen…

Die FDP hat zurzeit gute Umfragewerte. Das liegt daran, dass es eine Bereitschaft in der Bevölkerung gibt, eine bürgerliche Mehrheit in Berlin zu ermöglichen, davon sind wir als Union und FDP aber relativ weit entfernt. Deswegen muss in Bayern klar sein, dass nur mit einer Stimme für die CSU die bayerischen Interessen in Berlin gewahrt bleiben. Wir brauchen bei der Wahl die maximale Stärke, um zu erreichen, dass gegen die Union nicht regiert werden kann. 
 
Die Freien Wähler um Hubert Aiwanger wollen den Einzug in den Bundestag schaffen. Sie umwerben gezielt enttäuschte CSU-Anhänger. Schaffen Sie den Sprung in das Parlament, wäre das für die Union eine kleine Katastrophe.

Die Freien Wähler spielen bundespolitisch keine Rolle und haben keine Chance bundesweit die 5-Prozent-Hürde zu überschreiten. Die einzige Vertretung der bayerischen Stimmen in Berlin ist die CSU. Eine Stimme für die Freien Wähler ist eine Stimme für den Papierkorb und nicht für den Deutschen Bundestag.
 

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