
Zur Sport- und Freizeitschifffahrt
Zum Antrag der FDP-Fraktion „Sport- und Freizeitschifffahrt in Deutschland erleichtern“ meint Renate Blank:
Spätestens seit einer vom geschätzten Kollegen Ernst Hinsken geleiteten öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Touristik im Juli 2003 wissen wir, dass der Wassertourismus sich zu einem eigenständigen Angebotssegment entwickelt hat, das in vielen Fällen sogar ein bedeutender Standortfaktor ist, von dem wichtige Impulse für neue Arbeitsplätze ausgehen. So gesehen, kann ich den FDP-Kollegen vier Jahre später zu ihrem teilweise in die richtige Richtung gehenden Antrag nur zurufen: willkommen im Boot!
Kein Zweifel: in den letzten Jahren und Jahrzehnten haben Freizeit und aktive Freizeitgestaltung als Ausgleich zum Berufsleben oder an dessen Stelle zunehmend an Bedeutung gewonnen, die Sport- und Freizeitschifffahrt hat sich von einer ehemals exklusiven Beschäftigung Begüterter zum Breitensport entwickelt. Aktivitäten auf dem Wasser begeistern mehr und mehr nicht nur Urlauber in fernen Regionen; auch in Deutschland erleben immer mehr deutsche und ausländische Touristen die Faszination der Nord- und Ostsee, der Binnenseen und der Flüsse. 1,85 Millionen Deutsche sind in Sportvereinen organisierte Wassersportler. 17,1 Millionen Deutsche surfen, tauchen, segeln, angeln, fahren Kanu, Motorboot oder Wasserski in ihrer Freizeit oder in ihrem Urlaub.
Eine Befragung aus dem Jahr 2000 ermittelte 6,34 Millionen Deutsche, die „mehr oder weniger aktiv Wassersport betreiben“. Das entspricht einem beachtlichen Anteil von 9,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung - die Tendenz ist steigend. Das Angebot für Aktivitäten rund ums Wasser ist hierzulande beachtlich: Angeln, Hausboot, Bootsverleih, Badeseen, Strandbäder, Touren mit dem Kanu, dem Motor- oder Hausboot führen über stille Seen, ruhige Flüsse und historische Kanäle. Wer will, kann sich mit der Fahrgastschifffahrt auf Seen und Flüssen durch die Landschaft schippern lassen, bei einer Segeltour selbst das Steuer in die Hand nehmen oder beim Angeln einen ganz dicken Fisch aus dem Wasser holen. Und nicht zu vergessen: mit der „boot“ in Düsseldorf beheimatet Deutschland die weltgrößte Wassersportmesse.
Rund 10.000 Kilometer lange Binnenwasserstraßen, zahlreiche reizvolle Seen sowie rund 23.000 Quadratkilometer Seewasserstraßen an Nord- und Ostsee machen Deutschland zu einem interessanten Wassersport- und Urlaubsrevier in zentraler Lage Europas. Hinzu kommen noch viele tausende Kilometer Fließgewässer, die nur für Kanus und Ruderboote befahrbar sind. Die Verbindungen auf dem Wasserweg mit den europäischen Nachbarn in Ost und West öffnen zusätzliche Märkte und schaffen hervorragende Ausgangsbedingungen. Allerdings sind die vielfältigen Möglichkeiten zur touristischen Nutzung des Wassers hierzulande bei weitem noch nicht ausgeschöpft und der Öffentlichkeit zu wenig bekannt – so das Ergebnis der Grundlagenuntersuchung „Wassertourismus in Deutschland“.
Dennoch lag allein der Umsatz des Wassersportmarktes Deutschland nach aktueller Schätzung des Bundesverbandes der Wassersportwirtschaft bei rund 1,75 Milliarden Euro für den deutschen Markt. Insbesondere die Nachfrage nach Kreuzfahrten erfreut sich konstanter Zuwächse: im Jahr 2005 wurden auf Flusskreuzfahrten rund 326.000 deutsche Passagiere registriert. Sie generierten einen Umsatz von 370 Mio. Euro. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 4,1 %, gegenüber 1996 um fast 260 Prozent. Die Donau gehörte mit 125.000 Passagieren zu den beliebtesten Flussreisezielen der deutschsprachigen Touristen, gefolgt von weiteren deutschen Flüssen.
Wird das wassertouristische Segment ausgebaut, so stärkt dies den gesamten Tourismus einzelner Regionen. Eine gezielte Förderung des Wassertourismus – nicht nur an der Nord- und Ostsee – trägt maßgeblich zum Ausbau des Tourismus sowie zur Stärkung der touristischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bei! Die ökonomischen Effekte des Wassertourismus sollten nicht unterschätzt werden. Sie sind weiter ausbaufähig, insbesondere da Bootstouristen und Wassersportler längst nicht mehr die klassischen Selbstversorger sind.
Zu den infrastrukturellen Basisangeboten auf und am Wasser gehören qualitativ gut ausgebaute Anlegestellen und Wasserwanderrastplätze. Deutschlandweit kennzeichnen zurzeit über 260 „Gelbe Wellen“ – überwiegend in Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern – Anlegemöglichkeiten und signalisieren dem Wassertouristen und Wassersportler ein „Herzliches Willkommen“. Allein Schleswig-Holstein bietet seinen Gästen rund 250 Sportboothäfen mit über 30.000 Liegeplätzen. Diese sollten sich nach den Kriterien der Sterne-Klassifizierung von DTV und BWVS ausrichten und mehr Möglichkeiten zum Tanken sowie für Abfallentsorgung, Wasser und Stromversorgung, etc. bereitstellen. Rund 30 Sportboothäfen und Marinas, hauptsächlich in Mecklenburg-Vorpommern, sind bislang mit den „Blauen Sternen“ ausgezeichnet worden. Sie sind Vorreiter, sichern Qualitätsstandards, bauen ihre bestehenden Angebote aus und geben dem Verbraucher bessere Vergleichsmöglichkeiten zu Infrastruktur- und Serviceangebot.
Erfreulich ist, dass die deutschen Bootswerften nach wie vor auf einer Welle des Erfolgs schwimmen. Die führenden Hersteller haben ihre Marktposition in Europa weiter ausgebaut. 2006 hat die Nachfrage nach neuen Booten und Yachten deutlich zugenommen, die europäische Bootswirtschaft berechnet einen Gesamtumsatz an maritimen Gütern und Dienstleistungen in Höhe von rund 24,3 Mrd. Euro, der von rund 37.200 Unternehmen mit mehr als 272.000 Beschäftigten erwirtschaftet wird. Davon entfallen rund 8 Mrd. Euro auf den Verkauf neuer Boote und Yachten.
Dies sind allgemeine Ausführungen zum Wassertourismus und zur wirtschaftlichen Bedeutung dieser Branche.
Ich bin dem ADAC, dem Bundesverband Wassersportwirtschaft und dem deutschen Boots- und Schiffbauer-Verband dankbar, dass sie sich mit einem Positionspapier zum Thema „Deregulierung im Bereich der Sportschifffahrt und des Wassertourismus“ fachkundig und ausführlich zu Wort gemeldet haben. Das kann dem Meinungsbildungsprozess nur gut tun.
Die Forderung des Positionspapiers nach verlässlichen Unfallstatistiken, der Entwicklung von Qualitätsstandards für die Ausbildung der Weiterentwicklung praktischer Prüfungsteile, der Bindung der Mindestausrüstung auch an das Fahrtgebiet, der Änderung der Trinkwasserverordnung, gemeinsame Kampagnen zur Schaffung eines Sicherheitsbewusstseins im Sportbootbereich, einer Kennzeichnungspflicht auch im Seebereich sowie der Schaffung eines einheitlichen Sportschifffahrtsrechts befürworte ich im Grundsatz.
Die These, dass die bisherige bundesweite Führerscheinpflicht für Sportboote auf die Entwicklung des Wassertourismus entwicklungshemmend wirkt, kann man – allerdings mit einigen Abstrichen - durchaus diskutieren. Um sich künftig mit konkurrenzfähigen Angeboten auf dem europäischen Markt behaupten zu können, empfiehlt es sich, die positiven Erfahrungen aus dem Pilotprojekt zur Einführung eines Charterscheins in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland in einer bundesweiten Regelung zu berücksichtigen. Hier ist ein deutlicher Nachfrageanstieg bei wassertouristischen Angeboten spürbar. Beispiel Brandenburg: Laut Aussagen der Vercharterer ist der Anteil der führerscheinfreien Abfahrten seit Beginn der Regelung im Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen (der Anteil der führerscheinfreien Abfahrten liegt bei großen Vercharterern bei rund 30 Prozent der Abfahrten, das Gesamtgeschäft hat sich durch diesen Anteil auf einer guten Basis stabilisiert).
Wie die Unternehmen der Wassersportwirtschaft begrüße auch ich die Überführung in dauerhaftes Recht und die Erweiterung um neue Fahrtgebiete. Die Gleichstellung mit dem internationalen Wettbewerb (Frankreich, Niederlande etc.) hat für die Betriebe in den Regionen, die von der Öffnung profitieren, zu kontinuierlichen Umsatzsteigerungen geführt. Erfreulich ist, dass jetzt auch mobilitätseingeschränkte Menschen ihren Traum vom Hausbootfahren verwirklichen können. Das erste rollstuhlgerechte Hausboot "Tristan" in Brandenburg wurde für den Deutschen Tourismuspreis 2006 nominiert.
Allerdings halte ich, und das sei auch zum Antrag der FDP angemerkt, die Bestrebungen zur Ausweitung des ungeregelten Bereichs u.a. auch wegen der Zunahme des Schiffsverkehrs für problematisch. Die Charterscheinregelung im Binnenbereich ist aus gutem Grund auf jene Gewässer beschränkt, deren Beschaffenheit und Verkehrsdichte sehr geringe Anforderungen an die Schiffsführer stellen. Eine grundsätzliche Übertragbarkeit der durch diese Regelung gewonnenen Erfahrungen auf andere, stärker befahrene und mit Blick auf Wetter-, Gezeiten- und Grundverhältnisse anspruchsvollere Gewässer ist wohl kaum möglich.
Und ich halte die Argumente der Verbände und des FDP-Antrags zur Zusammenlegung der amtlichen Bootsführerscheine Binnen und See zu einem allgemeinen Bootsführerschein für nicht schlüssig. Für einen Bewerber, der ein Sportboot ausschließlich auf Binnengewässern betreiben möchte, ist nicht einzusehen, warum er die Regeln der Seeschifffahrt beherrschen muss. Im Interesse der Verbraucher wurde daher auf eine Zusammenlegung der Führerscheine wohlweislich verzichtet. Entgegen dem im Positionspapier der Verbände und dem FDP-Antrag formulierten Interesse, die Hemmschwelle für den Einstieg in die Sportschifffahrt zu senken, würde eine Zusammenlegung der beiden Bereiche in der Praxis wohl eher sogar das Gegenteil bewirken.
Ich möchte daran erinnern: das Sicherheitsmanagement z.B. auf deutschen Straßen beruht seit jeher auf dem Grundsatz, dass die Reglementierung der Verkehrsausübung umso geringer sein kann, je besser die Fahrzeugführer qualifiziert sind. Die Ausbildung zur Teilnahme am Straßenverkehr beginnt Gott sei Dank bereits mit der Verkehrserziehung im Kindergarten und in den Schulen und ist ein lebenslanger Lernprozess. Ich mahne in diesem Zusammenhang auf den Wassersport bezogen eine deutliche Verbesserung der Schwimmausbildung bereits in den Schulen an. Seit mehreren Jahren weisen die in der Wasserrettung tätigen Organisationen darauf hin, dass der Anteil von Nichtschwimmern an der Bevölkerung drastisch zunimmt. Hier ist noch einiges aufzuholen.
Die Anzahl der absolvierten Führerscheinprüfungen für die amtlichen Sportbootführerscheine Binnen und See sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken, dennoch scheint das Interesse am Wassersport allgemein ungebrochen: der Verband deutscher Windsurfing- und Wassersportschulen berichtet 2006 von einem Zuwachs von 18% für die Bereiche Katamaransegeln, Windsurfing und Kiteboarding. Auch ohne staatlich verordnete Führerscheinpflicht sind also die Einsteiger bereit, in Ausbildung zu investieren.
Wie durchaus belebend einige Deregulierungsmaßnahmen sein können, zeigt die Charterbescheinigungsregelung auf vielen Wasserstraßen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nach der Hausboote auch ohne amtlichen Sportbootführerschein während eines Urlaubs gefahren werden dürfen. Seit Einführung der Regelung im Jahr 2000 haben sich die Umsätze der Unternehmen um 41% erhöht ohne die Sicherheit auf dem Wasser zu gefährden.
Die Wassersportwirtschaft schaut also mit berechtigtem Optimismus in die Zukunft, denn der Wassersport besitzt im Vergleich zu fast allen anderen Freizeitaktivitäten mit die grössten Wachstumspotentiale. Davon muss die maritime Wirtschaft künftig in noch stärkerem Maße profitieren. Zur Sicherung einer dauerhaft positiven Entwicklung wollen wir - wo notwendig und sinnvoll - zur Optimierung beitragen und sind bereit, die Vorschläge des FDP-Antrags zu prüfen.
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