Rede zur EU-Richtlinie

In der Debatte zur Bodenschutzrahmenrichtlinie führte Dr. Georg Nüßlein folgendes aus:

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle­gen!
 
Liebe Frau Brunkhorst, es ist jetzt 21.38 Uhr, und wir debattieren über das Thema. Von Gleichgültigkeit kann also keine Rede sein.
 
Es geht hier aus unserer Sicht vielleicht gar nicht schwerpunktmäßig um die Frage des Bodenschutzes, sondern um ein sehr viel wichtigeres Thema, nämlich die Zuständigkeit der Europäischen Union. Die Poli­tik der Europäischen Union leidet in besorgniserregen­der Weise unter einem Demokratiedefizit und einer fak­tischen Aufhebung der Gewaltenteilung. Das sage nicht ich, sondern das sagt kein Geringerer als der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog. Ich meine, er hat damit recht.
 
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
Die EU-Bodenschutzrahmenrichtlinie ist ein Nährbo­den für ebendiese Analyse, für ebendiesen Eindruck. Es ist bodenlos, wenn 84 Prozent unserer Rechtsakte im Zeitraum von 1998 bis 2004 substanziell aus Brüssel stammen. Es ist bodenlos, wenn wir der parlamentari­schen Demokratie mehr und mehr den Boden entziehen. Die Bodenschutzrahmenrichtlinie ist ein Musterbeispiel und bester Beleg dafür, dass Roman Herzog recht hat.
 
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
Es ist doch unstrittig, dass die EU jedenfalls nicht ausschließlich zuständig ist. Jetzt ist die Frage: Ist die Europäische Union überhaupt zuständig? Wenn sie nicht ausschließlich zuständig ist, dann gilt das Subsidiari­tätsprinzip: Die Gemeinschaft wird nur tätig, sofern die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Die Bundesrepublik Deutschland – da geben Sie mir hoffentlich recht – hat doch gezeigt, dass wir das Thema Bodenschutz selber in nationaler Zustän­digkeit – und zwar vorbildlich – regeln können.
 
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
Das, meine ich, sollte unstrittig sein. Deshalb ist die Eu­ropäische Union an der Stelle nicht zuständig; da kann man Anträge formulieren, soviel man will.
 
(Michael Brand [CDU/CSU]: Endlich, dass das mal einer anspricht! – Zuruf von der FDP)
 
– Aber Ignoranz vonseiten der Europäischen Union, nicht von uns; denn sie sagt, sie sei für Dinge zuständig, für die sie faktisch nicht zuständig ist.
 
Man muss sich einmal fragen, wo an dieser Stelle das Einfallstor für die Europäische Union ist. Als die De­batte losging, habe ich scherzhaft gesagt: Wahrschein­lich wird eine grenzüberschreitende Bodenerosion behauptet. Da haben alle gelacht. Als ich das entspre­chende Dokument aufgeschlagen habe, habe ich nicht gelacht; denn genau das wird darin behauptet: Es gebe eine grenzüberschreitende Bodenerosion durch Flüsse. Das ist vollständig lächerlich.
 
(Michael Brand [CDU/CSU]: Bodenlos!)
 
Wo ist denn das Realität, wo spielt denn das eine Rolle? Nirgends, meine Damen und Herren! Offensichtlich ha­ben auch die Kollegen auf der europäischen Ebene, die das geschrieben haben, gemerkt, dass das hanebüchen ist. Daher haben sie dann natürlich das angehängt, was immer das generelle Einfallstor für die Europäische Union ist, nämlich das Thema Binnenmarkt und Wettbe­werbsverzerrungen.
 
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
Damit können sie letztendlich jede Kompetenz, die sie von der nationalen Seite holen wollen, an sich ziehen. An dieser Stelle sollte man aber bitte nicht ansetzen; da gibt es ganz andere, besser geeignete Baustellen, zum Beispiel im Bereich des Steuerrechts und im Bereich des Sozialrechts.
 
Jedenfalls bin ich der Meinung, dass man den Boden­schutz subsidiär in nationaler Zuständigkeit und indivi­duell regeln kann. Es macht einen Unterschied, ob es um Boden in Spanien oder um Boden bei uns geht. Auch das sollten wir an dieser Stelle einmal sagen.
 
Ihrem Antrag – in dem viel Gutes steht, nämlich das, was Sie vom Bundesrat und von der bayerischen Seite abgeschrieben haben – kann man unter dem Strich des­halb nicht zustimmen, weil darin steht, die Subsidiarität sei gewahrt, wenn man eine solche Rahmenrichtlinie be­schließt, und weil der Brüsseler Allmachtsanspruch da­rin ausdrücklich begrüßt wird.
 
Wir müssen uns aber natürlich auch überlegen, was nun passieren wird und wie es jetzt weitergeht. Der Ein­fluss des Parlaments wird nicht so sein, wie er an der Stelle sein müsste. Wir werden erleben, dass sich die Fachminister einig sind und dass sie auf die Gewaltentei­lung, auf die parlamentarische Demokratie und auf die Subsidiarität schlichtweg pfeifen werden. Wir werden auch erleben, dass es eine Illusion ist, zu glauben, wir könnten den deutschen Standard vorgeben und sagen: Über das hinaus, was wir schon haben, darf nichts ge­schehen. – Wir werden erleben, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass die EU nicht über das Ziel hinaus­schießt.
 
Betroffen werden am Ende die Landnutzer sein, die Land- und Forstwirtschaft, diejenigen, bei denen ein Ei­geninteresse des Eigentümers vorliegt und bei denen man auf Eigenverantwortung setzen kann – zu Recht, wie ich meine.
 
(Zuruf des Abg. Dr. Gerd Müller [CDU/CSU])
 
Genau das, was der Staatssekretär Müller sagt, wird pas­sieren: Wir werden wieder einmal Bürokratie statt Ei­genverantwortung als neue Perspektive erleben. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land spüren das ganz genau. Deshalb geht die Akzeptanz der Europäischen Union auch permanent zurück. Bevor jemand schreit, ich sei ein Europagegner – das versucht man ja, der CSU all­enthalben in die Schuhe zu schieben –, sage ich: Nein, ganz im Gegenteil, wir sind glühende Verehrer des euro­päischen Gedankens. Aber wir erleben in den letzten Jahren, dass das Pferd Europa, das uns zu Frieden und Wohlstand getragen hat, von den Brüsseler Bürokraten nach und nach zu Tode geritten wird.



(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Gut, dass das einer anspricht! – Angelika Brunkhorst [FDP]: Aber eine bayeri­sche Bundespolitik wollen wir dann auch nicht!)
 
– Eine bayerische Bundespolitik wollen Sie nicht, weil dann die FDP keine Rolle spielen würde;
 
(Angelika Brunkhorst [FDP]: Doch, zuneh­mend!)
 
das ist mir schon klar. Denn dann hätten wir auch hier natürlich eine klare Mehrheit.
 
Wir wollen ein Europa der Bürger, ein Europa der Nationalstaaten und der Parlamente. Ich kann an die Kolleginnen und Kollegen Umweltpolitiker nur appel­lieren: Lassen Sie sich nicht vom Charme europäischer Umweltpolitik blenden! Wenn die EU auch noch beim Thema Bodenschutz, bei einem Thema, das keinerlei grenzüberschreitende Bedeutung hat – außer einer, die an den Haaren herbeigezogen ist –, an Boden gewinnt, dann können wir in der Konsequenz die komplette Um­weltpolitik sofort nach Brüssel abgeben und brauchen uns jedenfalls mit diesem Thema nicht mehr zu beschäftigen. Wir können dann Voten abgeben, die lauten: Kenntnis­nahme und Übernahme. Das wäre die Konsequenz dessen. Ich kann an dieser Stelle, wenn wir, wie Sie vorhin gesagt haben, im Boot bleiben wollen, nur eines tun, nämlich an den Staatssekretär und den Minister zu appellieren, dass auch sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind und darauf drängen, klarzumachen: Die Europäische Union ist nicht zuständig. Das ist und bleibt ein nationales Thema.
 
Ich kann an die Kolleginnen und Kollegen hier im Deutschen Bundestag nur appellieren: Hier geht es doch nicht um irgendein umweltpolitisches Randthema. Hier geht es doch um unser Selbstverständnis im Deutschen Bundestag,
 
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
darum, dass uns, so wie es das Bundesverfassungsgericht im Maastrichturteil formuliert, letztendlich substanzielle Rechtssetzungskompetenz verbleiben muss. Das ist doch unser Anspruch. Da geht es doch an erster Stelle um uns und darum, dass wir das tun, was die Bürgerinnen und Bürger von uns verlangen, wofür wir uns letztendlich parlamentarisch-demokratisch verantworten müssen.
 
Ich meine, es geht nicht allein um den Bodenschutz. Es geht um den Boden unserer Demokratie und um den Boden des Deutschen Bundestages. Den würde ich mir ganz ungern einfach von der EU entziehen lassen.
 
Vielen herzlichen Dank.
 
(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Brand [CDU/CSU]: Das war bodenständig!)
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