Gastbeitrag des Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe, Dr. Peter Ramsauer, im "Straubinger Tagblatt"
Die Türkei und die kurdische Terrororganisation PKK stehen kurz vor einem weiteren unglückseligen Schritt ihrer jahrzehntelangen Auseinandersetzung. Beide Seiten rüsten auf. Im Grenzgebiet zum Irak im Südosten der Türkei sollen schon um die 100.000 türkische Soldaten stationiert sein. Auf der anderen Seite bauen die im Nordirak bislang geduldeten PKK-Kämpfer ihre Stellungen aus. Die Lage ist unklar. Der türkische Präsident Erdogan erklärt bereits öffentlich, die Geduld der Türkei sei am Ende. Übergriffe auf beiden Seiten haben begonnen
Die PKK scheint gespalten, Verhandlungsangebote gehen mit Guerillaangriffen einher, die nahezu täglich Opfer in der Türkei fordern. Die türkische Regierung steht unter einem doppelten Druck: Auf der Straße demonstrieren die Bürger für ein hartes Durchgreifen; hinter den Kulissen sind die Militärs zufrieden, dass ihre Unverzichtbarkeit gerade jetzt vor aller Augen geführt wird, wo es bei der Debatte über eine neue Verfassung um die Beschneidung ihrer Sonderrechte geht.
Die Duldung der verbliebenen Anhänger der PKK im Norden des Irak durch die kurdische Regionalregierung schreit schon lange zum Himmel. Über 5.000 Kämpfer können hier nahezu unbehelligt leben, ausgebildet werden und Guerillaattacken in der Türkei vorbereiten. Die Amerikaner lassen dies sehr zum Verdruss des NATO-Partners Türkei geschehen. Jetzt endlich will die kurdische Regionalregierung mit Unterstützung von Staatspräsident Talabani und Außenminister Zebari, beide selbst Kurden, die Bewegungsfreiheit der PKK-Kämpfer beschränken und ihre Finanzierung austrocknen. Ohne den Druck der türkischen Regierung wäre dies nicht geschehen. Eine Auslieferung in die Türkei haben Talabani und Zebari ausgeschlossen.
Der Norden des Irak ist kein sicherer Ort. Mossul gehört zu den gefährlichsten Plätzen des ganzen Landes. In den Gebieten, in denen die regionale Selbstverwaltung der kurdischen Parteien PUK und KDP greift, herrscht nur eine fragile Ruhe. Viele Binnenvertriebene aus allen Teilen des Iraks, darunter überproportional viele Christen, haben hier Zuflucht gefunden.
Ein türkischer Übergriff in den Nordirak würde diese relative Stabilität massiv gefährden. Ein Flächenbrand könnte die Folge sein. Die Türkei wäre das erste Land, das die Auswirkungen zu spüren bekäme. In der Türkei erinnert man sich noch an die Flüchtlingswelle nordirakischer Kurden während des ersten Golfkriegs.
Auch wenn die Türkei völkerrechtlich im Recht wäre, einen geeigneten, verhältnismäßigen und zeitlich wie räumlich begrenzten Vorstoß zu unternehmen: Die Risiken sind zu groß. Die NATO muß ihr Mitglied Türkei eindringlich davor warnen, diese Pläne voranzutreiben.
Es ist ein großes Unglück, dass gerade jetzt die Beziehungen zwischen der Türkei und der NATO-Vormacht USA auf einem Tiefstand angelangt sind. Grund ist eine Resolution des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses in Washington, die den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges im Osmanischen Reich als solchen benennt. Die Türkei hat daraufhin ihren Botschafter in Washington zu Konsultationen zurückgerufen und droht damit, den amerikanischen Nachschubweg in den Irak, der zu großen Teilen durch die Türkei verläuft, abzuschneiden. Eine solche Auseinandersetzung können sich weder Türken noch Amerikaner leisten. Die amerikanische Regierung hat dies erkannt, während der türkische Außenminister Babacan noch Öl ins Feuer gegossen hat, als er von einem Werk der armenischen und jüdischen Lobby gesprochen hat.
Dramatisch wird uns vor Augen geführt, dass die Türkei andere außenpolitische Interessen verfolgt und anderen Zwängen unterworfen ist als Europa. Dies heißt nicht, dass wir nicht in verschiedenen Bereichen eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Die außenpolitischen Aktivitäten der Türkei und ihre exzellenten Beziehungen zu beinahe allen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sind ein hohes Gut. Als NATO-Partner und assoziiertes Mitglied der Europäischen Union genießt die Türkei bereits heute eine Sonderstellung, die nur mit der Stellung Norwegens vergleichbar ist. Wir wollen diese Beziehungen ausbauen und zu einer Partnerschaft kommen, die das Maximum des Möglichen für beide Seiten verwirklicht. Eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union kann dies im Interesse aller Beteiligten aber nicht sein.
Deshalb ist es auch falsch, jetzt die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel mit der Türkei anzukündigen, wie dies der EU-Erweiterungskommissar Rehn getan hat. Auch wenn die Themen "Verbraucher- und Gesundheitsschutz" sowie "transeuropäische Netze" zwischen der EU und Türkei irgendwann einmal diskutiert werden müssen: der Zeitpunkt ist falsch gewählt. Es ist bemerkenswert wie wenig sich die Brüsseler Bürokratie um die politischen Realitäten schert: soeben hat die portugiesische Ratspräsidentschaft eindringlich Reformen in den Bereichen Meinungs- und Pressefreiheit, sowie in bezug auf religiöse und kulturelle Rechte angemahnt. Im Verhältnis zu Zypern hat sich nichts geändert. Gegen den Sohn des im Januar ermordeten Journalisten Hrant Dink wurde ein Verfahren eingeleitet, weil er es gewagt hatte, seinen Vater zu zitieren, der von einem Völkermord auf dem Gebiet der heutigen Türkei gesprochen hatte.
Die Türkei hat noch einen langen Reformweg vor sich. Es ist an uns, ihr zu helfen. Ehrlich und ohne falsche Versprechungen. Dazu gehört auch, sie jetzt vor einem unkalkulierbaren Abenteuer im Nordirak zu warnen.
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