Interview im DeutschlandRadio Kultur

Bei einer Neuregelung der Stammzellenforschung geht es nach Ansicht von Ilse Aigner darum, keinen Anreiz auszusenden aus Deutschland zur Gewinnung von Stammzell-Linien, sondern die Stammzell-Linien, die bereits vorhanden sind, zu nutzen. im DeutschlandRadio Kultur spricht sie sich daher für die Nutzung bereits bestehender, nach dem Stichtag 1. Januar 2002 gewonnener Stammzellenlinien aus

Frage: Die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen wird in diesen Wochen in Deutschland wieder intensiver diskutiert, schließlich geht es im Herbst um eine Liberalisierung des 2002 in Kraft getretenen Stammzellengesetzes. Das erlaubt bislang, zu Forschungszwecken die Einfuhr von Stammzellen, die bis Ende 2001 gewonnen wurden. Es gilt eine Stichtagsregelung. In Deutschland selbst dürfen keine menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden, da diese stets aus getöteten Embryonen stammen. Die Forschung hätte allerdings gerne frischeres Material und sieht den Forschungsstandort Deutschland in Gefahr. Ich spreche jetzt mit der CSU-Bundestagsabgeordneten Ilse Aigner, sie sitzt im parlamentarischen Beirat zu Fragen der Ethik. Wenn ich mich an die Debatte vor einigen Jahren erinnere, da erinnere ich mich an eine Zerrissenheit, die durch alle politischen Parteien, durch alle politischen Lager ging. Das hat zu einem etwas unscharfen Gesetz geführt, mit dieser Stichtagsregelung. Das ist weder Fisch noch Fleisch. Jetzt kommt die Bundesforschungsministerin Annette Schavan: Die soll dafür sein, den Stichtag zu verschieben, aber das Gesetz zu erhalten. Ist das sinnvoll?
 
Aigner: Das Gesetz damals, 2002, war eine klassische Kompromisslösung, würde ich sagen, auf der einen Seite den Lebensschutz zu gewähren und auf der anderen Seite auch die Forschung, die Grundlagenforschung zu ermöglichen. Und nach fünfeinhalb Jahren jetzt mittlerweile hat sich ja rausgestellt, dass die damals genehmigten oder jetzt noch genehmigten Stammzell-Linien - das sind ja keine Embryonen, sondern daraus gewonnene Stammzell-Linien - nicht mehr an sich für die Forschung brauchbar sind. Weil sie instabil sind, nicht mehr reproduzierbare Ergebnisse bringen und so weiter und so fort. Das war eigentlich der Ausgangspunkt des Gutachtens der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die bei uns im Ausschuss für Forschung auch sozusagen behandelt wurde in einer langen Anhörung über neun Stunden und die Bedenken der Forschung vorgetragen und jetzt ist die Frage, was macht man daraus. Und eine Kompromisslinie könnte sein, die ich auch ich vertrete, eben den Kern des Gesetzes aufrecht zu erhalten, nämlich keinen Anreiz auszusenden aus Deutschland zur Gewinnung von Stammzell-Linien, sondern die Stammzell-Linien, die bereits vorhanden sind, zu nutzen.
 
Frage: Aber ist das nicht halbherzig, Frau Aigner? Heißt das nicht: Ja, wir sind durchaus für die Forschung, dafür, dass menschliches Leben getötet wird, wir setzen den Stichtag etwas jünger, wir verlagern die ethischen Probleme ins Ausland?
 
Aigner: Ich sage, es ist ein Kompromiss. Man will hier in Deutschland - und da gibt es auch ein Embryonenschutzgesetz dazu, das hat dem Stammzellgesetz an sich jetzt, sozusagen, oder ist vorgelagert, das definitiv Forschung an Embryonen verbietet, und aber trotzdem im Ausland Stammzell-Linien, die ja eben keine Embryonen sind, entstehen und ob man die verwenden kann. Es ist, wie gesagt, ein klassischer Kompromiss, um eine Abwägung zu treffen zwischen dem ganz, ganz schwierigen Lebensschutz, wo es an sich für viele gar keine Abwägung gibt, und doch die Möglichkeit, Forschung zu erlauben.
 
Frage: Es geht ja um die alte Frage: Dürfen wir alles, was wir können oder gibt es eine Grenze? Dann sagt man, ja, es gibt eine Grenze, und dann debattiert man darüber, wo diese Grenze zu ziehen ist. Stehen wir denn 2007 in der ethischen Diskussion an einem anderen Punkt als 2002? Hat sich die Ethik in fünf Jahren verändert?
 
Aigner: Nein, wir stehen genau eigentlich im Prinzip am selben Punkt, nämlich bei der Frage, dass die jetzt vorhandenen Stammzell-Linien eben nicht mehr für die Forschung zu gebrauchen sind und jetzt eben kein Kompromiss mehr ist im Moment zwischen der Forschungsfreiheit und dem Lebensschutz. Im Prinzip ist es dieselbe Situation, nur verlagert.
 
Frage: Ist es nach fünf Jahren nicht an der Zeit, sich - nachdem der Kompromiss ja nur ein Kompromiss ist - sich zu entscheiden: Entweder Ja zur Forschungsfreiheit oder Ja zum Lebensschutz?
 
Aigner: Also, ich glaube, dass man mit so einem Kompromiss durchaus noch mal leben könnte, weil, wie gesagt, es bisher schon bestehende Stammzell-Linien trotzdem gibt, die schon auf der ganzen Welt vorhanden sind, und wo ich auch im Prinzip begangenes Unrecht nicht mehr rückgängig machen kann.
 
Frage: Die Haltung der katholischen Kirche ist eine klare, ist eine sehr pointierte. Kardinal Karl Lehmann lehnt jede Lockerung des Stammzellengesetzes ab, er ist also in einer anderen Haltung als Sie. Er sagt, die Förderung selbst hochrangiger Forschungsinteressen dürfe unter keinen Umständen dazu führen, dass embryonale Menschen verzweckt werden. Das ist doch eigentlich ein klares, einfaches und überzeugendes Argument. Wenn man so klar und überzeugend argumentieren kann, warum dann immer noch Kompromiss?
 
Aigner: Weil eben das der Unterschied ist zwischen einem Vertreter der Kirche, die ich sehr respektiere, und die katholische Kirche in ihrer Haltung auch stringent ist, sie lehnt künstliche Befruchtung ab, sie lehnt Nidationshemmer, sprich Spirale, ab und Abtreibung sowieso, das ist alles eine durchgängige, stringente Linie. Aber wir stehen in Politik und wir haben auf der anderen Seite eben auch noch die Frage der Forschung und die fragen auch, warum. Es liegt ja alles in der Zukunft. Es ist die Frage: Entwickelt sich daraus eventuell einmal Therapien? Und wenn es diese geben sollte, werden diese auch in Deutschland angewendet, ganz egal, wie sie letztendlich entstanden sind. Auch das wäre sozusagen eine nicht stringente Haltung, wenn sie durch Unrecht entstanden ist. Und ich glaube, meine langfristige Option ist, dass wir auf adulte Stammzellen gehen können, also diejenigen, die aus menschlichem Gewebe zum Beispiel gewonnen werden. Es gibt ja auch neue Erkenntnisse von dem Forscher Professor Jaenisch, der nach Amerika gegangen ist und der an beidem forscht, der allerdings im Mausmodell mittlerweile eine Reproduktion oder Reprogrammierbarkeit einer Mauszelle gewonnen hat durch Anwendung von chemischen Substanzen und die Frage ist jetzt zum Beispiel: Kann ich so was auch auf menschliche Zellen, also sprich zum Beispiel Hautzellen, anwenden?
 
Frage: Aber Frau Aigner, dann machen Sie doch den Schritt! Dann sagen Sie, der Forschung an adulten Stammzellen ist die Forschung der Zukunft. Lassen wir es mit den embryonalen Stammzellen, konzentrieren wir uns auf das, was auch ethisch zu vertreten ist.
 
Aigner: Die Frage ist, ob ich für einen Übergangszeitraum - um zu vergleichen und die Mechanismen der embryonalen Stammzellen, die ja bekannterweise Alleskönner sind, vergleichen zu können, also, die Mechanismen zu verstehen - ob ich für einen Übergangszeitraum auch beides brauche, aber mit der Zielrichtung adulte Stammzellen. Sie sind ja auch ein Stück weitergekommen in allen Bereichen, auch auf der adulten Stammzellforschung, aber in der Regel auch immer im Vergleich mit den embryonalen Stammzellen.
Druckversion