Im Interview mit den Nürnberger Nachrichten spricht Stefan Müller über den Begriff Heimat, die AfD und die Aussicht auf einen CSU-Kanzlerkandidaten.

Herr Müller, kurz vor der Amtsübergabe an Markus Söder wirft Horst Seehofer seinen Parteifreunden vor, undankbar zu sein. Sind Sie manchmal froh, dass Sie als Bundestagsabgeordneter weit weg von den Münchner Machtspielen sind?

Machtspiele gibt es überall, egal in welcher Stadt und in welcher Branche. Das ist also kein Kriterium. Die Herangehensweise ist in München einfach eine andere als in Berlin. Die Landespolitik ist für vieles zuständig, was die Bürger vor Ort unmittelbar betrifft. Deshalb gibt es dort eine andere Diskussionskultur. Ich meine das nicht positiv oder negativ, sondern als nüchterne Bestandsaufnahme.

Das heißt aber auch, dass Sie nicht den Wunsch verspüren, von der Berliner in diese Münchner „Diskussionskultur“ zu wechseln?

Warum sollte ich? Ich bin erst seit einem halben Jahr wieder Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. Der Job im Maschinenraum des Parlaments ist äußerst spannend, erst recht mit sechs Fraktionen im Bundestag. Ich habe jedenfalls nicht den Wunsch, in die bayerische Landespolitik zu wechseln.

Horst Seehofer vollzieht nun den umgekehrten Wechsel – von München nach Berlin. Er leitet künftig das Innenministerium, das auch ein Heimatministerium sein wird. Wofür braucht es denn plötzlich einen Bundesheimatminister?

Das Heimatministerium wird zuständig sein für die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – ein Thema, das nicht zu unterschätzen ist in einer Gesellschaft, in der die Fliehkräfte zunehmen. Dass sich auch auf Bundesebene ein Ressort um solche Fragen kümmert, halte ich für überfällig.

Ist denn dieses Ministerium eine Reaktion auf den Aufstieg der AfD?

Nein. Wir brauchen von Rechtspopulisten keine Nachhilfe, wenn es um den Begriff Heimat geht. Die CSU hat in Nürnberg schon vor etlichen Jahren ein Heimatministerium geschaffen – weit vor der Zeit, in der eine Partei wie die AfD Auftrieb bekommen hat. Jetzt geht es darum, für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu sorgen.

Wenn sich das Bundesheimatministerium also um gesellschaftlichen Zusammenhalt kümmern soll, ist Horst Seehofer, der als Politiker ohne Zweifel polarisiert, dann überhaupt der Richtige für den Job?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Horst Seehofer ist immer als jemand wahrgenommen worden, dem soziale Themen mindestens genauso wichtig waren wie wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Er ist von seiner politischen Herkunft Sozialpolitiker – und jemand, dem gesellschaftlicher Zusammenhalt besonders wichtig ist.

Was ist denn für Sie persönlich Heimat?

Unter Heimat verstehe ich den Ort, in dem ich aufgewachsen bin, die Gemeinde Großenseebach, aber auch die Region Mittelfranken, die Traditionen, die bei uns gelebt werden, die Vereine, mit denen ich mich identifiziere, die Sportveranstaltungen, an denen ich teilnehme. Am Ende ist Heimat mehr als nur eine Wohnadresse. Heimat bedeutet emotionale Prägung.

Und was bedeutet Ihnen Berlin?

Berlin ist der Ort, an dem ich politisch arbeite, aber für mich keine Heimat.

Die CSU hat inzwischen ihr Regierungspersonal benannt: drei Männer im Ministerrang, ein Mann als Landesgruppenchef und eine Frau, Dorothee Bär, der die Feigenblattfunktion einer Staatsministerin zukommt. Ist der Frauenanteil da nicht zu gering?

Wir besetzen wichtige Ressorts mit den richtigen Personen und haben eine gute Mischung aus erfahrenen Politikern und neuen Gesichtern, aus Männern und Frauen. Ich mache da keinen Unterschied zwischen einem Bundesminister oder einer Staatsministerin, die jetzt in herausgehobener Stellung im Kanzleramt das Thema Digitales für die gesamte Bundesregierung koordiniert und am Kabinettstisch dabei ist. Auch den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs und den Vorsitz im wichtigen Innenausschuss besetzen Frauen.

Liegt es möglicherweise auch an den Frauen selbst, dass sie in der Politik unterrepräsentiert sind?

In der Tat stelle ich als CSU-Kreisvorsitzender in Erlangen-Höchstadt fest, dass es schon eine Herausforderung ist, Frauen – wie übrigens auch junge Leute – für politisches Engagement zu gewinnen. Ich hätte bei der letzten Kommunalwahl gerne mehr Frauen in die Kreistagsliste integriert. Aus ganz unterschiedlichen Gründen können sich viele das oft aber nicht vorstellen. Ich sage das nicht als Vorwurf. Es ist eher eine Herausforderung für diejenigen, die wie ich die Entscheidungen treffen, sich zu überlegen: Was können wir denn tun, um mehr Frauen und auch junge Leute für Politik zu begeistern? Die Formate, die wir in den politischen Parteien anbieten, sind vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß.

Ist es denn zeitgemäß, sich angesichts der von Ihnen beschrieben Politikverdrossenheit von Frauen und Jüngeren fast ein halbes Jahr Zeit mit der Regierungsbildung zu lassen?

Nein, natürlich war dieser Zeitraum zu lange. Ich habe in den vergangenen Monaten zum Teil großes Unverständnis darüber erlebt, dass die Politik so lange braucht. Gut, dass die SPD nach einer vierwöchigen Mitgliederbefragung jetzt endlich zugestimmt hat. Angesichts der Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, gilt andererseits aber auch: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir haben jetzt einen sehr umfangreichen Koalitionsvertrag mit 177 Seiten. Dadurch ersparen wir uns dreieinhalb Jahre permanente Nachverhandlungen.

Im Koalitionsvertrag steht, dass sich die Regierung nach zwei Jahren selbst auf den Prüfstand stellt. Was hat es mit dieser Frist auf sich?

Ich habe in meinen bisherigen vier Wahlperioden erlebt, dass man sich zu Beginn viele Dinge vornehmen kann, dann aber Entwicklungen eintreten, die man nicht vorhersehen konnte. Das war in der letzten Wahlperiode das Thema Flüchtlingszuwanderung. Deswegen ergibt es Sinn, nach zwei Jahren eine Bestandsaufnahme zu machen und zu schauen: Was haben wir schon erreicht und was müssen wir noch tun?

Reichen denn die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag wirklich aus, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen? Auch die CSU wurde bei der letzten Bundestagswahl ja abgestraft.

Wir haben im Koalitionsvertrag wichtige Themen durchgesetzt – die Begrenzung der Zuwanderung, die Entlastung der Mittelschicht oder auch die Unterstützung von Familien. Verlorenes Vertrauen kann aber nicht durch Koalitionsverträge oder schöne Reden zurückgeholt werden, sondern dadurch, dass man solide politische Arbeit leistet.

Hat die CSU denn so eine Solidität gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise bewiesen?

Wenn Solidität darin besteht, Stimmungen in der Bevölkerung aufzunehmen, sie in eine politische Position zu gießen und für deren Umsetzung zu werben, dann Ja.

Blicken wir in die Zukunft. Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn, Julia Klöckner – diese Namen sind im Gespräch, wenn es um die Nachfolge der Kanzlerin geht. Warum hat die CSU eigentlich niemanden mit Kanzlerformat?

Ich halte nichts davon, zu Beginn der Wahlperiode darüber zu philosophieren, wer einmal CSU-Kanzlerkandidat sein könnte. Solche Entwicklungen lassen sich nicht planen. Ende der 90er Jahre hätte man auch nicht unmittelbar erwartet, dass Edmund Stoiber 2002 Kanzlerkandidat werden würde. Das alles kann also noch kommen. Jetzt aber konzentrieren wir uns darauf, schnell loszulegen – mit Kanzlerin Angela Merkel.

Interview Stefan Müller in den Nürnberger Nachrichten

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