In der Rheinischen Post betont die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, dass es keine Abstriche für die Türkei geben darf. Sie stellt auch klar, dass CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik gemeinsam viel umgesetzt haben. "Davon müssen wir mehr reden."

Das Interview mit der Rheinischen Post in voller Länge: 

 

Seehofer benutzt häufig das Wort „noch“, wenn es um die Unterstützung der Kanzlerin geht. Wovon ist es abhängig, ob er sie weiter unterstützt?

CSU und CDU wollen gemeinsam die Probleme für die Menschen lösen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft und brauchen uns gegenseitig für den Erfolg. Dessen sind sich alle bewusst. Wir werden uns Ende Juni mit den Führungskreisen von CDU und CSU treffen und unsere weiteren gemeinsamen Projekte besprechen.

Was machen CDU und CSU eigentlich, wenn Sie nicht mehr mit Ihrer unendlichen Geduld im Bundestag sitzen?

(lacht) Dann wird es auch gut weitergehen.

Also wird Seehofer die Kanzlerin noch weiter unterstützen?

Ein gemeinsamer Wahlkampf heißt nicht, dass nicht jede Partei eigene Akzente setzt. Eigene Schwerpunkte sind sehr wichtig. Auch bei der letzten Bundestagswahl gab es ein gemeinsames Wahl-Programm von CSU und CDU und zusätzlich von der CSU den sogenannten Bayernplan. Das ist völlig normal. 

Die Antworten auf die wesentlichen Fragen werden Sie in ihr gemeinsames Wahlprogramm schreiben müssen - beispielsweise in der Flüchtlingspolitik, ob es eine Obergrenze geben soll?

Der Konflikt zwischen CDU und CSU hat sich durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen entschärft. Eine nachhaltige Lösung des Problems gibt es allerdings noch nicht, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Unsere Forderung nach Fortführung der nationalen Grenzkontrollen, solange die EU-Außengrenzen nicht gesichert sind, ist Realität geworden. Die Differenzen werden in meinen Augen manchmal auch zu sehr in den Vordergrund gestellt. Wir haben viel gemeinsam umgesetzt. Davon müssen wir mehr reden.

Sie brauchen aber auch für die Zukunft valide gemeinsame Aussagen zur Flüchtlingspolitik ...

Selbstverständlich. Daran arbeiten wir. Ich bin zuversichtlich, dass wir dies erreichen. Aber wir haben noch ein Stück Arbeit vor uns.

Soll die Obergrenze drin stehen?

Wir fordern seit Herbst vergangenen Jahres eine Reduzierung und eine dauerhafte Begrenzung des Flüchtlingszustroms. Wie und wo diese Forderung Eingang in Wahlprogramme findet, wird sich zeigen. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass die CSU ein gemeinsames Wahlprogramm mit einem Bayernplan ergänzt.

Ist die Stimmung in Bayern so, dass Angela Merkel auf ihre Wahlplakate kommt?

Das machen wir nicht von der aktuellen Stimmungslage abhängig. Ausschlaggebend ist, was wir gemeinsam inhaltlich auf die Beine stellen. Dann werden wir uns auch gemeinsam personell verständigen. Die Entscheidungen stehen jetzt aber noch lange nicht an und werden wohl erst im Frühsommer 2017 fallen.

Ist die CSU auf Bundesebene bereit, in ein Bündnis mit den Grünen zu gehen?

Momentan stellt sich diese Frage nicht. Länder-Koalitionen können nicht automatisch auf die Bundesebene übertragen werden. Derzeit trennt uns auf Bundesebene von den Grünen deutlich mehr, als uns verbindet.

Halten Sie die Türkei angesichts der autoritären Bestrebungen von Präsident Erdogan noch für einen verlässlichen Partner?

Was gerade in der Türkei passiert, ist nicht gerade vertrauensbildend und mit dem europäischen Demokratieverständnis nicht vereinbar. Es bestärkt mich in meiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Türkei. Es bestärkt mich auch in meiner Meinung, dass ein Beitritt der Türkei in die Europäische Union nicht in Frage kommt.

Die Türkei wird also auch keine Visa-Freiheit erhalten können?

Die CSU war in dieser Frage schon immer skeptisch. Klar ist, dass die Türkei keinen politischen Rabatt bekommen kann. An den 72 Bedingungen, die die Türkei für die Visa-Freiheit zu erfüllen hat, kann es keine Abstriche geben. Die EU darf sich nicht von Erdogan erpressen lassen. Wenn die Kriterien nicht erfüllt sind, gibt es auch keine Visa-Liberalisierung.

Was wird aus Europa, wenn Rechtspopulisten immer mehr an Boden gewinnen und ein Europa der Vaterländer anstreben?

Mich besorgt diese zunehmende Re-Nationalisierung in Europa sehr. Es hat sich die fatale Gewohnheit eingeschlichen, was gut läuft als national zu betrachten, und was schlecht läuft, Europa zuzuschreiben. Wir müssen uns deshalb darüber Gedanken machen, wie Europa die Aufgaben erfüllen kann, die national nicht zu lösen sind. Das sind zum Beispiel die Flüchtlingsfrage oder die Terrorabwehr. Beides kann man rein national nicht in den Griff bekommen.

Wenn rechtspopulistisch regierte Länder die Gemeinsamkeit nicht mehr wollen, wäre ein Neustart mit einem Kerneuropa eine Lösung.

Das sollte nicht unsere Marschroute sein. Aber wenn wir die Probleme anders nicht mehr lösen können, rückt die Idee vom Kerneuropa, von einem ausgewählten Kreis von Ländern, die intensiver zusammenarbeiten – wie es in der Währungsunion ja zum Beispiel bereits der Fall ist –, automatisch in den Blick. Wichtig ist, dass die Kerngedanken der Solidarität und des gemeinsamen Agierens in der Wirtschaft-, der Finanz-, der Außen- und der Sicherheitspolitik erkennbar bleiben. Dass das in einem Europa der 28 Staaten mit ihren unterschiedlichen Traditionen und Verflechtungen schwieriger ist als in einem Europa von zwölf Staaten, erschließt sich von allein.

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