Beschluss der XXXIV. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag <br>vom 06. – 08. Januar 2010 in Wildbad Kreuth

1. Politik und Wirtschaft müssen im kommenden Jahrzehnt mit den vielfältigen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise fertig werden. Die akute Krise ist zwar gestoppt. Das ist ein Erfolg des entschlossenen europäisch und international eng abgestimmten Handelns der Staaten und Notenbanken. Doch auch wenn sich deutliche Anzeichen für eine Stabilisierung der Finanzmärkte und eine langsame Erholung der Konjunktur abzeichnen – aus der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise ihrer Geschichte wird die Bundesrepublik Deutschland nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung und langem Atem gestärkt hervorgehen. Dabei sind kurzfristige Krisenbewältigung und langfristige Weichenstellung zwei Seiten derselben Medaille. Sobald es die Umstände erlauben, müssen die staatlichen Stützungsmaßnahmen schrittweise zurückgefahren werden. Ziel der Wirtschaftspolitik muss es dann sein, die Wirtschaft wieder auf einen stabilen Wachstumspfad zu führen. Die Stärkung der Marktkräfte und die Schaffung der erforderlichen Freiräume durch Beseitigung von Investitionshemmnissen, durch Bürokratieabbau und vor allem durch gezielte Steuersenkungen bieten hierfür den geeigneten Ansatzpunkt.

2. Seit ihrer Gründung ist die CSU die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Im Frankfurter Wirtschaftsrat hat sie diesem Ordnungskonzept mit zum Durchbruch verholfen. Die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland verbindet in historisch einmaliger Weise ein hohes Maß an ökonomischer Effizienz mit sozialem Ausgleich. Die privatwirtschaftliche Wettbewerbsordnung ermöglicht auf der einen Seite ein zuvor nicht gekanntes Maß an selbst erarbeitetem materiellem Wohlstand breiter Schichten der Bevölkerung und andererseits ein hohes Niveau der sozialen Absicherung. 30 Prozent seiner Wirtschaftsleistung wendet Deutschland für staatliche und private soziale Leistungen auf und zählt damit zu den weltweit führenden Sozialstaaten. Wer in Not ist, kann in Deutschland auf Solidarität zählen. Das in Deutschland erreichte Niveau sozialer Leistungen und des Schutzes der Umwelt kann nur erhalten bleiben, wenn es gelingt, das Potential unserer Volkswirtschaft und jedes einzelnen Bürgers zu nutzen. Deshalb setzen wir auf Forschung und Innovation und auf die Qualifikation aller durch Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Genauso notwendig sind neue Freiräume für die Kreativität und Entfaltung jedes einzelnen Bürgers als wirksame Leistungsanreize. Das Aufblähen staatlichen Einflusses, bürokratische Hürden und frustrationsfördernde finanzielle Überforderung des Einzelnen dagegen dienen dem Gemeinwohl nicht und müssen verhindert werden.

3. Nach unserem christlichen Menschenbild gehören Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammen. Fairer Wettbewerb, eine freiheitliche Gesellschaft und ein demokratischer Rechtsstaat sind einander eng verbunden. Auf Dauer gibt es keine politische und gesellschaftliche Freiheit ohne entsprechende wirtschaftliche Freiheit. Die Soziale Marktwirtschaft ist das wirtschaftliche Ordnungssystem, das sich dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung am engsten verpflichtet weiß. Deshalb ist die Soziale Marktwirtschaft die zur freiheitlichen Verfassung des Staates und der Gesellschaft einzig passende Wirtschaftsordnung. Ein übertriebenes Streben nach kollektiver Absicherung aller Lebensrisiken, das Eigenverantwortung komplett ausblendet, gefährdet die Freiheit.

4. Den Wettbewerb von markt- und planwirtschaftlichen Systemen zwischen 1945 und 1990 hat die Soziale Marktwirtschaft für sich entschieden. Unser freiheitliches Wirtschaftssystem hat große Bewährungsproben bestanden:

  • den Wiederaufbau und das „Wirtschaftswunder“ nach dem II. Weltkrieg in den 1950er Jahren;
  • die Wiedereingliederung Deutschlands in die liberale Weltwirtschaftsordnung in den 1960er Jahren;
  • die Überwindung der Folgen der Struktur- und Ölpreiskrisen in den 1980er Jahren sowie
  • die ökonomische Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Fall der Mauer in den 1990er Jahren.

Die Soziale Marktwirtschaft hat die Flexibilität bewiesen, für neue Herausforderungen wie den Umweltschutz angemessene Lösungen entwickeln zu können.

5. Freiheit braucht Vertrauen. Ein freiheitliches System ist auf die Akzeptanz seiner Institutionen in allen Schichten der Bevölkerung angewiesen. Dies gilt auch für das Wirtschaftssystem. Seit den 1990er Jahren mehren sich die Anzeichen für ein nachlassendes Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft. Zweifel weckt die Angst vor negativen Folgen der Globalisierung – auch wenn Deutschland tatsächlich zu deren Gewinnern zählt, wie sich an der Beschäftigungsentwicklung und der Rolle des Exportweltmeisters aufzeigen lässt. Befürchtet werden insbesondere Einkommenseinbußen und Standortverlagerungen. Misstrauen wecken ungerechtfertigt hohe Managergehälter, Bilanzskandale und Korruption. Viele Mitbürger sehen die Ursachen der Finanzkrise in einem Versagen des marktwirtschaftlichen Systems. Aber: Die Krise gibt keinen Grund zur Abkehr von der Sozialen Marktwirtschaft. Die Krise ruft vielmehr danach, sich auf die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen und die Einhaltung ihrer Regeln sicherzustellen.

6. Die Soziale Marktwirtschaft bedarf stabiler und kalkulierbarer Rahmenbedingungen für den Wettbewerb, die nur starke Staaten setzen können. Die ordnungspolitischen Grundsätze der Freiburger Schule um Walther Eucken im Hinblick auf Privateigentum, Vertragsfreiheit, fairen Wettbewerb, Leistungsprinzip sowie privater Haftung und Verantwortung haben nichts von ihrer Bedeutung verloren.

6.1. Der Schutz des Privateigentums ist die Garantie dafür, dass jeder die Früchte seiner persönlichen Arbeit und Leistung genießen und darüber frei verfügen kann. Privateigentum motiviert zur Verantwortung und zum Bemühen um nachhaltigen Werterhalt. Das Recht, Eigentum zu bilden und zu vererben, ist ein unverzichtbarer Leistungsanreiz, ohne den die Erfolge freier Gesellschaften nicht denkbar sind.

6.2. Die Vertragsfreiheit ermöglicht kalkulierbare Beziehungen der Marktteilnehmer untereinander. Das Recht, Verträge nach verlässlichen Regeln frei auszuhandeln, erlaubt Anbietern und Nachfragern, sich am Markt an ihren persönlichen Präferenzen zu orientieren. Vertragsfreiheit macht Verlässlichkeit und Vertrauen auf den Märkten möglich – eine Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand. Zur Vertragsfreiheit gehören auch Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit, die Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Recht sichern, über die Bedingungen, unter denen Arbeit erfolgt, gemeinsam und frei zu verhandeln.

6.3. Die Wettbewerbsordnung ist das erfolgreichste Instrument zur Verhinderung von wirtschaftlicher Machtkonzentration. Die gesetzliche Absicherung eines fairen Wettbewerbs zielt darauf ab, unlautere Wettbewerbsmethoden zu verbieten, und die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht in Monopolen und Oligopolen zu verhindern, wobei als ultima ratio auch Entflechtungsregelungen in Erwägung gezogen werden müssen. Privates Wirtschaften in den Schranken von Sozialbindung und marktwirtschaftlicher Fairness muss überall dort Vorrang haben, wo staatliches Handeln nicht zwingend erforderlich ist. Denn eins ist sicher: Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.

6.4. Das Leistungsprinzip verlangt, dass Gewinn und Einkommen auf Basis der persönlich erbrachten Leistung verteilt werden. Es gewährleistet eine faire Grundlage, wirtschaftlichen Erfolg zu legitimieren. Erst die Motivation durch das Leistungsprinzip sichert die wirtschaftliche Basis dafür, dass die Solidarität mit den Schwächeren in der Gesellschaft der Sozialen Marktwirtschaft möglich ist.

6.5. Verantwortung und Haftung gehören zusammen. Dies muss auch in den Vergütungssystemen der Manager größerer Kapitalgesellschaften zum Ausdruck kommen. Vergütungssysteme müssen sich am nachhaltigen und damit längerfristigen Erfolg des Unternehmens ausrichten. Wer Bonus-Regeln bejaht, der muss auch Malus-Regeln in Kauf nehmen. Kurzfristiges Renditedenken hat wesentlich zu Fehlentwicklungen beigetragen, die in der globalen Finanzkrise gipfelten. Bei der Entwicklung verbindlicher Standards einer nachhaltigen Unternehmensführung ist in erster Linie die Eigenverantwortung der Wirtschaft gefragt.

7. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen müssen mehr denn je die ethischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft in Erinnerung gerufen werden. Was der Verfassungsjurist Ernst-Wolfgang Böckenförde zur Demokratie gesagt hat, gilt in gleicher Weise auch hier: Die Soziale Marktwirtschaft ist auf ethische Grundlagen angewiesen, die sie selbst nicht schaffen kann. In einer Marktwirtschaft muss persönliche Freiheit an die Bereitschaft zur Verantwortung gebunden sein. Freiheit eröffnet Handlungsspielräume zur Erzielung von Gewinn. Verantwortung gebietet, für die Folgen eigener Fehler gerade zu stehen, Verluste zu tragen und zu haften. Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen die Spielregeln verstößt und damit die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns in Frage stellt, der fügt dem gesamten Ordnungssystem schweren Schaden zu.

8. Handwerk, Mittelstand und Familienunternehmen sind Deutschlands wirtschaftliches Rückgrat im Hinblick auf Beschäftigung, Investition und technischen Fortschritt. Deutschlands Handwerks- und Familienunternehmen sind geprägt von einer unternehmerischen Verantwortungskultur, in der die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft vorgelebt werden. Mittelständische Unternehmen zeichnen sich durch Standorttreue aus: Zwar sind viele von ihnen weltweit Marktführer in hoch spezialisierten Fachbereichen, gleichzeitig aber sind sie fest in ihrer Heimat verwurzelt. Ihr Handeln vermittelt Zuversicht in den Standort Deutschland. Da die meisten sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmer in Handwerk und Mittelstand tätig sind, heißt „Vorfahrt für Arbeit“ vor allem auch: Förderung von Mittelstand und Existenzgründern. Mittelstand, Handwerk und freie Berufe stehen für nachhaltiges Denken und solides Wirtschaften. Gerade die eigentümergeführten Familienunternehmen orientieren sich am Prinzip einer nachhaltigen, oft über Generationen hinweg ausgerichteten Unternehmensführung. Auch den großen Kapitalanlagegesellschaften und Investmentfonds ist aber auf Dauer nicht gedient, wenn sie ihre Anlagestrategien ausschließlich an kurzfristigen Gewinnzielen ausrichten, damit aber längerfristig die Entstehung einer in breiten Schichten verankerten Aktienkultur verhindern.

9. Fairer Wettbewerb braucht Transparenz. Die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft leidet auch an der mangelnden Transparenz in vielen Wirtschaftsbereichen, insbesondere im Sektor der Finanzdienstleistungen. Die Finanzdienstleister sind gut beraten, sachliche Produktinformationen zu leisten und den undurchschaubaren Dschungel der Vermittlungsgebühren offen zu legen. Ebenso liegt es im eigenen Interesse des Finanzsektors, für eine ausreichende fachliche Qualifikation der Berater und Vermittler von Finanzprodukten Sorge zu tragen. Hohe Renditen sind im Regelfall mit hohen Risiken verbunden. Finanzdienstleister müssen verpflichtet werden, die privaten Anleger umfassend über Risiken von Finanzprodukten zu informieren. Die für den Kunden nicht erkennbare Vermischung von objektiver Vermögensberatung und Eigeninteressen der Banken muss beendet werden. Verantwortung trägt aber auch der private Kapitalanleger. Wer seine Ersparnisse wegen geringer Renditevorteile mit hohem Risiko und ungesichert anlegt, der kann nicht erwarten, dass im Falle des Verlustes der Steuerzahler einspringt. Gleiches gilt für jene, die trotz Information und Aufklärung in Wertpapiere investieren, deren Risiken sie nicht übersehen.

10. Märkte funktionieren immer dann, wenn für alle Marktteilnehmer gleiche Rahmenbedingungen bestehen und für alle Akteure gleiche Spielregeln gelten. Der zunehmend globalisierten Wirtschaft fehlen in vielen Bereichen weltweit anerkannte und durchsetzbare Rahmenbedingungen und Regeln. Dies gilt vor allem für die Finanzmärkte, wie die Finanzkrise zeigt. Diese Krise muss zum Anlass genommen werden, eine internationale Finanzmarktordnung zu installieren, verbindliche Standards für Produkte zu entwickeln und die Finanzmarktaufsicht international zu koordinieren. Auch auf den Finanzmärkten gilt: Marktwirtschaft braucht wirksame internationale Regeln und Standards. Wer sie beseitigt oder sich ihnen verweigert, zerstört die marktwirtschaftliche Ordnung. Für eine gesicherte Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft ist es notwendig, die Bemühungen um eine Renaissance von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik zu verstärken. Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht monokausal erklärbar, aber ordnungspolitische Defizite haben eine große Rolle gespielt. Deshalb müssen wir die notwendigen ordnungspolitischen Folgerungen aus der Krise ziehen. Ein schrankenloser Kapitalismus angelsächsischer Prägung ist immer krisengefährdet und wird von der großen Mehrheit unserer Bevölkerung nicht akzeptiert. Eine Marktwirtschaft bedarf eines funktionierenden Staates oder Staatenverbundes mit gesetzlich verbindlichen Spielregeln und einer ethischen Selbstverpflichtung der wirtschaftlichen Eliten.

11. Teilbereiche der Finanzwirtschaft haben durch intensive Vernetzung und die Übernahme systemrelevanter Risiken eine Schlüsselfunktion in den Volkswirtschaften übernommen, die ihnen in der Finanzmarktkrise eine staatliche Existenzgarantie verschafft hat. Das ist mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht dauerhaft vereinbar. Eine nichtstaatliche Absicherung für systemische Risiken von Finanzinstituten muss die Finanzwirtschaft zurückholen in den Geltungsbereich der Regeln der Sozialen Marktwirtschaft von Erfolg und Misserfolg, Risiko und Verantwortung.

12. Das Vertrauen der Finanzmärkte in die Stabilität und die Handlungsfähigkeit des Euroraums muss dauerhaft gesichert werden. Denn der Euro hat die Volkswirtschaften Europas in der Wirtschafts- und Finanzkrise vor Schlimmerem bewahrt. Alle Mitglieder der Eurozone haben durch verantwortungsvolle Haushaltspolitik hierzu einen Beitrag zu leisten. Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist für uns nicht verhandelbar.

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