Rede zum Smart-Borders-Paket

35.) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

1. zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (KOM (2013) 95)
2. zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierprogramm für Reisende (KOM (2013) 97)
3. zu dem Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf die Nutzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES) und des Programms für registrierte Reisende (RTP) (KOM (2013) 96)
hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäische Union
Smart Borders-Paket ablehnen

- Drs 17/13236 -

Der Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union ist eine der wichtigsten politischen, aber auch faktischen Aufgaben zum Erhalt des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Erst durch ihn wird ein Wegfall der Binnengrenzen möglich.

Gemäß Art. 77 Abs. 1 AEUV ist durch die Europäische Union eine Politik zu entwickeln, die schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem an den Grenzen einführt und die eine Personenkontrolle und die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen sicherstellt.

Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß Art. 77 Abs. 2 AEUV Maßnahmen erlassen, die die gemeinsame Politik in Bezug auf Visa und andere kurzfristige Aufenthaltstitel und die Kontrollen, denen Personen beim Überschreiten der Außengrenzen unterzogen werden, betreffen. Auch können Maßnahmen zur schrittweisen Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen getroffen werden.

Gestützt auf die vorgenannten Rechtsgrundlagen hat die Europäische Kommission am 28. Februar 2013 unter dem Titel „Smart Borders“ ein ganzes Bündel an Maßnahmen für den besseren Schutz der Außengrenzen der EU vorgestellt. Die vorgestellten Verordnungsentwürfe sollen den Einsatz von neuen Technologien an den EU-Außengrenzen befördern und Bürgerinnen und Bürgern aus Drittländern, die in die EU einreisen wollen, einen reibungsloseren und rascheren Grenzübertritt ermöglichen. Zugleich soll durch die Einführung der neuen Technologien auch eine Verbesserung der Sicherheit erreicht werden. Irreguläre Grenzübertritte sollen verhindert und Überschreitungen der zulässigen Aufenthaltsdauer in der EU schneller aufgedeckt werden.

Hierfür gibt es ausweislich der von der EU-Kommission vorgestellten Zahlen auch einen erheblichen Bedarf. Vorsichtigen Schätzungen zufolge liegt die Zahl der irregulären Zuwanderer in die EU zwischen 1,9 und 3,8 Millionen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Mehrheit der irregulären Zuwanderer sogenannte Overstayer sind, also Personen, die für einen Kurzaufenthalt legal – erforderlichenfalls mit einem gültigen Visum – in die Europäische Union eingereist sind, dann jedoch nach Ablauf der zulässigen Aufenthaltsdauer nicht wieder ausgereist sind. Die Gesamtzahl der aufgegriffenen irregulären Zuwanderer belief sich in der EU für das Jahr 2010 auf 505 220 Menschen. Der überwiegende Teil der Overstayer wird somit in den Mitgliedstaaten derzeit nicht aufgegriffen.

Es ist daher zu begrüßen, dass die Europäische Kommission sich des Themas der illegalen Zuwanderung und der Verbesserungen der Grenzkontrollen annimmt und versucht, angemessene Lösungen zu finden. Sie folgt damit im Übrigen nicht nur den Zielsetzungen des Stockholmer Programms, sondern auch dem -ausdrücklichen Wunsch des Europäischen Rates vom 23. und 24. Juni 2011, der sich für „intelligente Grenzen“ in Europa ausgesprochen hatte.

Für die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem eingebrachten Antrag geforderte Blockadehaltung der Bundesregierung gegenüber dem Maßnahmenpaket besteht somit aus meiner Sicht kein -Anlass. Das Gegenteil ist der Fall. Das Thema der illegalen Zuwanderung kann man nicht einfach ignorieren oder bagatellisieren, sondern wir müssen uns auf europäischer Ebene sowohl Gedanken zu den erforderlichen Rechtsgrundlagen als auch Gedanken zur technischen Umsetzung für einen besseren Grenzschutz machen.

Mit der Übernahme des „Schengen-Besitzstandes“ in das Gemeinschaftsrecht und dem Erlass mehrerer gemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte im Bereich der Visapolitik hat der europäische Gesetzgeber von den ihm zugewiesenen Kompetenzen hierzu bereits umfassend Gebrauch gemacht. Hervorzuheben sind hierbei insbesondere das Visainformationssystem und der Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt sowie die im Jahr 2011 verabschiedete Verordnung über einen Visakodex.

Die vorgestellten Verordnungsentwürfe schließen sich nun unmittelbar an die bisher bereits verabschiedeten Maßnahmen in diesen Bereichen an. Ebenso wie die bereits existierenden Maßnahmen schlagen auch sie den Weg hin zu mehr Mobilität und Sicherheit ein.

Ich darf daher für meine Fraktion sagen, dass wir das vorgelegte Maßnahmenpaket grundsätzlich begrüßen. Allerdings könnte man sich durchaus an der einen oder anderen Stelle auch weiter reichende Regelungen vorstellen.

Neben dem von der EU-Kommission vorgesehenen Einreise-/Ausreisesystem und dem Registrierprogramm für Reisende könnte die vorgestellte Initiative noch um zwei weitere Komponenten erweitert werden. Zum einen könnten die Grenzkontrollen insgesamt auf ein automatisches System umgestellt werden, welches dann auch nicht nur Drittstaatsangehörige, sondern auch Unionsbürger erfasst. Zum anderen haben die Erfahrungen der USA mit dem neuen elektronischen Reisegenehmigungssystem gezeigt, dass dieses erhebliche Vorteile bei der Sicherheitsüberprüfung einzelner Personen haben kann. Es wäre somit zu diskutieren, ob die Einführung eines vergleichbaren Systems auch für die Europäische Union von Vorteil wäre. Angesichts des zunehmenden Wegfalls von einzelnen Visabestimmungen könnte es insofern zumindest einen Teilausgleich hierfür bieten.

Unabhängig von einer möglichen Erweiterung der vorgeschlagenen Komponenten stellen sich aber auch Fragen zur technischen und datenschutzrechtlichen Umsetzung der bereits in den Verordnungen angelegten Maßnahmen. Warum sollte das EES nicht bereits von Beginn an auch auf biometrische Daten zugreifen? Entsprechende technische Systeme sind bereits entwickelt und beispielsweise bei der Einreise nach Großbritannien im Einsatz. Sicherlich wird es den einen oder anderen Mitgliedstaat geben, der vor entsprechenden Investitionen derzeit noch zurückschreckt, aber letztlich werden die sich ständig weiterentwickelnden technischen Möglichkeiten einen solchen Schritt sowieso erfordern. Auch Fragen der Zugriffsrechte und des Datenschutzes auf die im Einreise- und Ausreisesystem gespeicherten Daten sind im parlamentarischen Verfahren noch zu diskutieren.

Die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vertretene Auffassung, dass es sich bei der Speicherung von Daten von Drittstaatsangehörigen um eine anlasslose Speicherung von personenbezogenen Daten handle, vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Schließlich erfolgt die Überprüfung und Speicherung der personenbezogenen Daten eben sehr wohl anlassbezogen. Anlass ist die Ein- bzw. Ausreise aus der -Europäischen Union. Auch bisher werden bei Grenzübertritten entsprechende personenbezogene Daten erhoben und auf ihre Korrektheit hin überprüft. -Darüber hinaus erfolgt die Teilnahme am Registrierprogramm ausdrücklich freiwillig.

Aus datenschutzrechtlicher Sicht wird aber in der Tat zu prüfen sein, wie sich die geplanten neuen Datenbanken zu bereits existierenden Datenbanken mit personenbezogenen Daten von Ein- und Ausreisenden verhalten. Mögliche Synergieeffekte sollten gehoben und Doppelerhebungen und -speicherungen vermieden werden.

Beim geplanten Registrierprogramm für Reisende stellen sich aber auch einige technische Fragen, die es noch im Laufe des parlamentarischen Verfahrens zu klären gilt. Insbesondere der Mehrwert der Ausgabe eines Tokens sollte aus meiner Sicht noch einmal hinterfragt werden. Zur Verifizierung der Identität der registrierten Reisenden könnte auch ausschließlich auf einen vorhandenen E-Pass zurückgegriffen werden. Dies hätte zudem den Vorteil, dass eine zentrale Speicherung von biometrischen Merkmalen entfallen könnte. Ein sicherlich aus datenschutzrechtlicher Sicht wünschenswertes Szenario.

Generell gilt für die Umsetzung des Registrierprogramms für Reisende, dass auf zusätzliche manuelle Dateneingaben so weit wie möglich verzichtet werden sollte, um die Grenzkontrollprozesse nicht zu verzögern. Schließlich soll auch nach der Einführung der neuen Systeme eine schnelle und zuverlässige Ein- und Ausreise in die Europäische Union möglich sein.

Sie merken, es gibt noch viele offene Fragen und Themen, die ausführlich diskutiert werden sollten, bevor das Smart-Borders-Paket auch tatsächlich in Kraft treten kann. Wir stehen somit erst am Anfang des Diskussionsprozesses.

Es ist daher auch nicht verwerflich, wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 20. März 2013 -darauf hinweist, dass sie noch keine abschließende Position zu den Vorschlägen der EU-Kommission erarbeitet hat. Im Gegenteil, dies zeugt nur von einer sehr sorgfältigen Prüfung des vorgeschlagenen Maßnahmenpakets, und dies ist mit Sicherheit im Interesse aller Beteiligter.

Es gilt somit, in den nächsten Monaten offen und in konstruktiver Art und Weise über die aufgezeigten Fragen zu diskutieren. Die entsprechende Ratsarbeitsgruppe hat ihre Arbeit Anfang April aufgenommen, und ich bin zuversichtlich, dass sie zügig arbeiten wird.

Viele andere Mitgliedstaaten haben sich bereits bei einem ersten Termin grundsätzlich für eine weitere Verbesserung der Grenzkontrollen und der eingesetzten Technologien und Systeme ausgesprochen.

Eine schlichte Ablehnung der Vorschläge der EU-Kommission, so wie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Antrag gewünscht, kommt daher für uns nicht in Betracht.

Aus populistischen Gründen mag so etwas zwar opportun sein. Einschlägige Webseiten von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die bildlich auf Grenzbefestigungen eintreten, entsprechen aber mit -Sicherheit nicht verantwortungsvoller europäischer Innen- und Rechtspolitik und auch nicht einem demokratischen Miteinander.

Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Antrag darf daher aus meiner Sicht keine Unterstützung in diesem Hohen Hause finden.

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