Rede zu sexueller Gewalt gegen Kinder

VI.a) Beratung Antrag SPD

Sexuelle Gewalt gegen Kinder umfassend bekämpfen - Kampagne des Europarats unterstützen

- Drs 17/7807 -

 

VI.b) Beratung Beschlussempfehlung und Bericht(13.A)

zum Antrag SPD
Kinderrechte in Deutschland umfassend stärken

- 17/6920, 17/7800 -

 

VI.c) Beratung Antrag DIE LINKE.

Die UN-Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern anwenden - Die Bundesländer in die Pflicht nehmen

- Drs 17/7643 -

 

VI.d) Beratung Antrag SPD

Kinderrechte umfassend stärken und ins Grundgesetz aufnehmen

- Drs 17/7644 -

 

VI.e) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinderrechte stärken

- Drs 17/7187 -

 

VI.f) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr

- Drs 17/7772 -

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz ist genannt worden. Frau Rupprecht und auch andere haben etwas dazu ausgeführt. Diese Forderung ist auch in den Anträgen enthalten, die heute zur Entscheidung vorliegen.

Frau Rupprecht, die Rechte der Kinder sind bereits im Grundgesetz verankert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Caren Marks [SPD]: Quatsch!)

Jedes Kind hat Grundrechte, wie auch jeder andere Mensch. Ein Kind hat nicht mehr und nicht weniger Grundrechte, aber es hat Grundrechte. Das gilt beispielsweise für Art. 1 des Grundgesetzes. Selbstverständlich gilt das Grundrecht hinsichtlich der Würde des Menschen für jeden, der in Deutschland lebt, egal ob er Ausländer ist oder nicht, welche Religion er hat, welcher Herkunft er ist, egal ob er alt oder jung ist, selbst ob er geboren oder nicht geboren ist. Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Würde.

Das Gleiche gilt für Art. 2 des Grundgesetzes, nämlich für das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Leben.

(Sönke Rix [SPD]: Diese Rede haben Sie schon einmal gehalten, Herr Kollege!)

Dieses Recht gilt für alle Kinder, für alle Menschen, die in Deutschland leben. Das kann nicht stärker ausgedrückt werden. Dieses Recht gilt sowohl für geborene als auch für ungeborene Kinder – das sollten wir nicht vergessen –, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinen zwei Urteilen, nämlich am 25. Februar 1975 und am 28. Mai 1993, festgestellt hat. Das Recht auf Leben gilt für Geborene und Ungeborene, ob in der Petrischale oder im Mutterleib.

(Caren Marks [SPD]: Falsches Thema!)

Dieses Recht ist bei uns fest im Grundgesetz verankert. Deshalb meine ich, dass diese Forderung eigentlich ins Leere geht; denn diese Rechte sind schon vorhanden.

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch etwas erwähnen – das steht in dem Antrag der Grünen –, nämlich die Forderung, dass eine Ergänzung des Art. 6 des Grundgesetzes erfolgen soll. Der Art. 6 des Grundgesetzes normiert das Recht der Eltern, ihre Kinder selbst erziehen zu dürfen. Das steht so in Art. 6 des Grundgesetzes. Die Grünen verlangen nun, dass die Kinder ein Recht auf Erziehung und Pflege gegenüber ihren Eltern haben sollen. Richtig, das steht so nicht im Grundgesetz.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Geis, gestatten Sie eine Frage der Kollegin Rupprecht?

Norbert Geis (CDU/CSU):
Ich möchte diesen Gedanken noch zu Ende bringen. – Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 1. April 2008 festgestellt, dass das Recht der Eltern, ihre Kinder selbst erziehen zu dürfen, mit dem Recht der Kinder auf Erziehung gegenüber ihren Eltern korrespondiert. Die Kinder haben nach diesem Urteil ein einklagbares Recht auf Erziehung. Damit ist diese Frage eigentlich erledigt. Deswegen kann ich nicht erkennen, dass eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist.

(Caren Marks [SPD]: Es geht nicht nur um Erziehung!)

– Es geht auch um andere Rechte. Sie könnten jetzt das ganze Grundgesetz durchgehen, aber dann würde die Zeit nicht reichen. Ich habe drei Punkte herausgearbeitet, insbesondere Art. 6 des Grundgesetzes, der eigens in dem Antrag der Grünen steht. Deswegen komme ich auf diesen Artikel zu sprechen. Eine Änderung ist hier nicht notwendig. Dies wäre sonst eine Doppelung von Grundrechten in unserer Verfassung.

Ich weiß, dass die CDU in den Ländern anderer Meinung ist. Auch in der CSU gibt es andere Meinungen. Ich weiß, dass die bayerische Justizministerin hier anderer Meinung ist. Aber ich meine, es ist nicht erforderlich.

Vizepräsidentin Petra Pau:
Jetzt kann die Kollegin Rupprecht ihre Frage stellen.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):
Herr Kollege, Sie wissen, dass eine Verfassung immer Ausfluss einer gesellschaftlichen Wertehaltung ist. Ein Entwurf unserer Verfassung beinhaltete ursprünglich die Kinderrechte, er ist verworfen worden. Letztlich wurden diese Rechte nicht in das Grundgesetz aufgenommen. Man hat bis 1968 geglaubt, dass Kinder Objekte sind, die den Eltern gehören. Erst das Bundesverfassungsgericht hat 1968 eindeutig klargestellt: Auch Kinder sind Grundrechtsträger.

Herr Geis, Sie haben natürlich recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass mit Grundrechtsträgern auch Kinder gemeint sind. Das bestreitet niemand. Die entscheidende Frage ist aber, ob wir im 21. Jahrhundert, wo Kinder als Subjekte gesehen werden, unsere Verfassung aus dem 20. Jahrhundert, wo Kinder als Objekte betrachtet wurden, endlich entsprechend anpassen, damit jeder, der unsere Verfassung liest, erkennt, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel vollzogen hat, weg vom Objekt Kind hin zum Subjekt Kind mit eigenen Rechten; darum geht es. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob eine Verfassung in solch grundlegenden Dingen nicht auch den Wertewandel und die veränderte Sichtweise wiedergeben muss. Wir stellen entsprechende Anträge, um das deutlich zu machen.

Herr Geis, Sie sind Jurist und wissen in dieser Beziehung sicherlich sehr genau Bescheid.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Fragen Sie etwas!)

– Nein, ich muss nicht fragen. Ich kann laut Geschäftsordnung des Bundestages auch einen Kommentar abgeben.

Für mich ist entscheidend, ob wir es gemeinsam schaffen, dies zu verankern. Vielleicht gehen Sie in Ihrer Fraktion noch einmal in die Meinungsbildung. Ich gebe zu bedenken: Staaten, deren Verfassungen jüngeren Datums sind, haben solche Rechte bereits aufgenommen, während Staaten, deren Verfassungen älteren Datums sind, das noch nicht getan haben.

Norbert Geis (CDU/CSU):
Ich nehme die Meinung, die Sie hier vortragen, durchaus ernst. Ich wische sie nicht einfach vom Tisch, zumal sie auch in den Reihen meiner Fraktion vertreten wird, wie ich ausgeführt habe. Ich selbst bin aber nicht Ihrer Meinung, dass 1948/49, als die Väter und Mütter unserer Verfassung das Grundgesetz verfasst haben, das Kind als Objekt betrachtet wurde. In unserer Verfassung ist häufig der Satz zu lesen: „Jeder hat das Recht“, zum Beispiel auf Schutz der Menschenwürde. Das bedeutet, dass auch jedes Kind das Recht hat.

Ich stimme Ihnen zu, dass im Lauf der Zeit weitere Aspekte aus der Verfassung heraus entwickelt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht muss feststellen, ob die vorgetragenen neuen Aspekte dem Sinn und der Motivation unserer ursprünglichen Verfassungsgeber entsprechen. Wenn das der Fall ist, kann das Bundesverfassungsgericht das Ganze weiterentwickeln. Das hat es schon getan. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass Kinder laut unserer Verfassung Grundrechtsträger sind. Vielleicht meinen Sie, Frau Rupprecht, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen sollten, wie wir aufgrund unserer Verfassung Kinderrechte mehr normieren können; dabei handelt es sich aber um Gesetze unterhalb der Verfassung. Wenn Sie das meinen, stimme ich mit Ihnen überein; darüber kann man ständig diskutieren.

Aus dem Grundrecht auf Erziehung durch die Eltern folgt natürlich das Recht des Kindes, dass der Staat die Familien unterstützt und dass die Eltern Erziehungskompetenz haben. Aber der Staat darf sich nicht einbilden, dass er das Primat der elterlichen Fürsorge an sich ziehen kann. Das wäre der falsche Weg. – Ich weiß, Frau Rupprecht, dass Sie das nicht befürworten. Ich wollte nur darauf hinweisen.

Der Staat hat nur eine Wächterfunktion. Er muss eingreifen, wenn die Rechte der Kinder nicht gewahrt sind. Wenn die Eltern nicht entsprechend ihrem Auftrag nach Art. 6 des Grundgesetzes handeln, kann der Staat aufgrund seiner Wächterfunktion eingreifen. Aber er darf das Recht der Eltern nicht an sich ziehen; denn hier geht es um das Recht der Kinder auf Erziehung durch die Eltern. Manchmal entsteht in der öffentlichen Diskussion der Eindruck, dass Kinder vor ihren Eltern geschützt werden müssten. Laut Statistik ist das aber nur in maximal 5 Prozent der Fälle so. Der Rest der Eltern will die Kinder liebend umhegen. Es gibt niemanden, der die Kinder besser liebend umhegen und für sie sorgen kann als die eigenen Eltern.

(Beifall bei der CDU/CSU – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Bestreiten wir nicht!)

– Da sind wir völlig einer Meinung. – Das kann natürlich auch die Kita nicht leisten.

Deswegen muss der Staat – jetzt komme ich zu einem Punkt, in dem Sie mir nicht ganz zustimmen – dafür sorgen, dass die Eltern in der Lage sind, ihre Kinder entsprechend zu erziehen.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Da stimme ich auch zu!)

Das sind sie oft nicht, weil sie zur Arbeit gehen müssen, weil sie Geld dazuverdienen müssen. Das ist der eigentliche Grund – daran kommen wir nicht vorbei – für das Betreuungsgeld. Deswegen verstehe ich nicht, warum wir hier so auseinander sind, warum hier oft mit viel Polemik argumentiert wird. Man kann wahrscheinlich verschiedener Meinung sein; das ist auch in meiner eigenen Fraktion der Fall. Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht des Kindes gegenüber dem Staat ist, dass es in den ersten zwei Jahren von seinen Eltern erzogen wird. Da hat der Staat nicht hineinzureden. Der Staat hat aber die Aufgabe, das zu ermöglichen.

(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Aber Herr Geis, das machen Eltern, auch wenn sie – –)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Es tut mir leid. Das geht jetzt nicht mehr, weder mit Zwischenbemerkungen noch mit Zwischenfragen. Der Kollege Geis hat bestimmt bemerkt, dass ich ihn schon mahne.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Genau! Alles gesagt!)

Norbert Geis (CDU/CSU):
Ich sehe es hier aufleuchten: „Präsident“. „Frau Präsidentin“ müsste es jetzt eigentlich heißen. – Ich habe das zu respektieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe noch vieles in meinem Konzept: über Kinderschutz, über sexuelle Gewalt, über die grundsätzliche Frage des Jugendschutzes. Seit 1951 haben wir das Jugendschutzgesetz; das darf man nicht vergessen. Wir haben 2000 – damals noch mit Frau Däubler-Gmelin – das Recht auf gewaltlose Erziehung ins BGB eingefügt. Ich hätte also noch einige Punkte vorzutragen, aber ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bedanke mich bei der Präsidentin dafür, dass sie so lange Geduld hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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