Nimmt die Union ihre christlichen Überzeugungen noch ernst? Ja, sagt der CSU-Landesgruppenvorsitzende Dr. Peter Ramsauer in einem Beitrag für den "Rheinischen Merkur"

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des "Rheinischen Merkur"

Christliche Überzeugungen spielen in Deutschland keine Rolle mehr, klagen konservative Kirchenvertreter immer wieder. Eine führende politische Kraft wie die Unionsparteien CSU und CDU habe in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft keine Berechtigung mehr, an ihrem Namensbestandteil „C“ festzuhalten. Das eine ist so falsch wie das andere: Christliche Wertvorstellungen prägen unser Land und haben sich keineswegs aus dem Wurzelgrund der Tradition gelöst, der sie entstammen. CSU und CDU nehmen ihren Namen ernst – und zeigen das im intensiven Gespräch mit den Kirchen ebenso wie in der Grundausrichtung ihrer Politik. Selbstverständlich kann dabei niemand das „C“ als „Bedienungsanleitung“ für die „Maschine Staat“ nutzen – schon weil wir alle keine Rädchen im Getriebe, sondern freie Christenmenschen und Bürger sind.

CSU und CDU pflegen mit den Kirchen und mit kirchlichen Verbänden seit ihren Gründertagen bis heute intensivere Kontakte und einen engeren Meinungsaustausch als andere. Mit den Fragen und Anliegen, die von dort an die Politik herangetragen werden, setzen sich beide Parteien intensiv auseinander. Der Bundestag hat in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause die Beratungen über einen Vorschlag zu einer gesetzlichen Regelung der Patientenverfügungen begonnen. Unter den Kolleginnen und Kollegen aus CSU und CDU findet dieses sensible Thema hohe Aufmerksamkeit. Es geht um die Würde des Menschen und um den Schutz des Lebens.

Katholische und evangelische Kirche haben gemeinsam schwere Bedenken gegen den jetzt vorgelegten Entwurf deutlich gemacht: Die Selbstbestimmung des Patienten und die Fürsorge für ihn müssen im Zusammenhang gesehen werden, keiner der beiden Aspekte darf willkürlich ausgeblendet werden. Betreuer oder Bevollmächtigte dürfen nicht in die Rolle eines „Richters über Leben und Tod“ gedrängt werden. Ziel muss das aufrichtige Bemühen sein, dem aktuellen Willen des Patienten Geltung zu verschaffen – und nicht die schematische Befolgung eines früher schriftlich niedergelegten Willens.

Wir bemühen uns, diesen Erwägungen in der parlamentarischen Beratung Geltung zu verschaffen. Wir führen auch intensive Gespräche, um das dringendste Problem rund um den Schutz ungeborener Kinder einer Lösung näherzubringen: die Vermeidung von Spätabtreibungen vor allem durch bessere Beratung. Das wäre, wenn es gelingt, sicher nur ein Schritt – aber sich um eine kleine Verbesserung nicht zu bemühen, weil sie nur klein ist, wäre unverantwortlich.

Die Union hat aus dem christlichen Menschenbild gelernt, die Menschen zu nehmen, wie sie von Natur aus sind – mit ihren Vorzügen und Fehlern und mit ihren ungleichen Veranlagungen und Begabungen. Den in den christlichen Soziallehren entwickelten Prinzipien der Personalität, der Solidarität und der Subsidiarität folgt unsere Politik. Für uns gilt: Vorrang der Person vor der Institution, Vorrang der freien Initiative vor der staatlichen Direktive, Recht der unverschuldet Bedürftigen auf Hilfe. Den auch aus den Kirchen häufig gestellten kritischen Fragen, ob Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland wirklich den Geboten der Gerechtigkeit genügen, hat die Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ einen erfrischend realitätsbewussten Ansatz an die Seite gestellt.

Es entspricht nicht dem christlichen Menschenbild, Gerechtigkeit mit größtmöglicher Gleichheit gleichzusetzen. Wir sind für Chancengleichheit, aber nicht für Ergebnisgleichheit. Eine Einheitsschule etwa, die alle über den gleichen Kamm schert, kann keine menschliche Schule sein. Gerechtigkeit fordert vielmehr die Anerkennung persönlicher Anstrengung und Leistung. Jeder soll die Möglichkeit haben und dazu angespornt werden, seine Lebensverhältnisse durch eigenen Einsatz zu gestalten und zu verbessern. Wer eine menschliche Gesellschaft will, muss soziale Ungerechtigkeit bekämpfen, aber leistungsgerechte Unterschiede akzeptieren.

Unsere Überzeugung ist: Nicht nur Eigentum ist sozial verpflichtend, sondern auch die Fähigkeiten, die ein jeder hat. Das Gemeinwohl fordert von jedem, seine Fähigkeiten zu entwickeln und einzusetzen und seiner Verantwortung gerecht zu werden – für sich, für seine Familie, für seine berufliche Perspektive in der arbeitsteiligen Gesellschaft. Eine Gesellschaft wird zerstört, wenn mit dem Ungeist von „68“ jeder nur noch nach seinen Rechten und Ansprüchen fragt und sie ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen versucht. Wir alle haben nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen. Das ist und bleibt selbstverständlich!

Enttäuschten Traditionalisten fehlt gelegentlich ebenso wie vielen schadenfrohen Kritikern das Gespür dafür, wie lebendig christliche Überzeugungen und Überlieferungen sind, auch wenn ihr Ausdruck einen Wandel erfahren hat. Wir brauchen die frohe Botschaft und die Kirchen, um sie zu verkünden. Die katholischen und evangelischen Vereine, Verbände und Einrichtungen motivieren heute wie früher viele Menschen, Frauen und Männer, Junge und Alte zum Einsatz für andere – in der Nachbarschaft, in der Gemeinde und in aller Welt. Meine Überzeugung ist: Der christliche Glaube ist in Deutschland lebendig. Er gibt vielen Menschen Hoffnung. Er ist für viele ein Ansporn, unsere Welt durch ihren Einsatz zu einer menschlicheren Welt zu machen.

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