Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Volker Ullrich in der Bundestagsdebatte zu Unruhen in Frankreich: Parallelgesellschaften in Deutschland am 6.7.2023:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Die Ereignisse in Frankreich sind eine Aneinanderreihung von Tragödien. Der Tod eines 17-jährigen französischen Staatsbürgers ist ein furchtbares Ereignis. Aber nicht Spekulation darf entscheidend sein, sondern unser Vertrauen in die Arbeit der französischen Justiz. Und ich verbitte mir auch eine Bewertung des französischen Volkes anhand von Spendensummen. Das ist hier nicht die richtige Einstellung.

Dem Gift des Antisemitismus entgegentreten!

Wir müssen auch über die Brandbeschleunigung in sozialen Netzwerken sprechen – wie Hass sich beschleunigt, wie er zur Zerstörung von Gebäuden führt, zu Attacken auf Bürgermeister wie Vincent Jeanbrun in L’Haÿ- les-Roses. Was uns ganz besonders betroffen machen muss, ist, dass auch das Holocaust Memorial in Nanterre angegriffen wurde. Das Gift des Antisemitismus existiert hier, aber auch in Frankreich, und wir haben in ganz Europa die Pflicht, dem entgegenzutreten. Keine Wut und keine Empörung rechtfertigt diese Gewalt gegen Personen und Sachen.

Ich will hier aber auch deutlich machen, dass der französische Staat und die Mitglieder seiner Regierung besonnen reagiert haben. Es ist nicht von „la racaille“ oder von „karcher“ gesprochen worden, sondern der Staatspräsident hat die Bürgermeister zusammengeholt, um die Themen ausführlich zu besprechen.

Harte Arbeit der Ordnungskräfte würdigen

Und ja, es ist viel über die Motive der zumeist jungen Randalierer geschrieben und gesprochen worden. Aber ich will auch darüber sprechen und eine Sekunde daran erinnern, dass der Lebenstraum von vielen Unternehmern, die aus den gleichen Vierteln kommen, in Flammen aufgegangen ist, weil ihre Geschäfte angezündet worden sind. Und keiner hat heute über die harte Arbeit der Polizisten und Feuerwehrleute in Frankreich in ihrem schwierigen Einsatz gesprochen. Auch an sie möchte ich heute explizit erinnern.

Die Frage des Umgangs mit dieser Situation ist entscheidend. Ich habe Sorge, dass eine Situation zur Polarisierung genutzt wird, ohne sie verstehen zu wollen. Manche sehnen sich nach den Zuständen, die sie laut und doch nur zum Schein beklagen, weil sie glauben, davon politisch zu profitieren. Das sieht man an den extremen Rechten, an den extremen Linken in Frankreich, und man sieht es auch hier im Deutschen Bundestag. Und das weisen wir aufs Schärfste zurück.

Auf einer sich vertiefenden Spaltung kann nicht die Brücke stehen, die ein Land braucht, um zusammenzuhalten, um gegen Hass zu kämpfen und Integration einzufordern. Ja, Ohnmacht und das Gefühl mangelnder Teilhabe existieren auch in Teilen der jungen Generation Frankreichs. Aber wir dürfen nicht vergessen, was der französische Staat in den letzten Jahren erreicht hat: Die Arbeitslosigkeit in vielen Vorstädten Frankreichs hat sich in den letzten 15 Jahren halbiert. Die Klassenstärke in den Banlieues hat sich halbiert. Die Investitionen des französischen Staates sind enorm gestiegen.

Werte des Staates einfordern!

Aber klar ist auch, dass die Frage von Hass und Gewalt nicht allein eine Frage der sozialen Situation ist. Es ist auch eine Frage von Respekt gegenüber den Werten der Republik, gegenüber den Werten des Zusammenhalts und des Respekts und der Toleranz gegenüber anderen. Deswegen müssen wir auch deutlich sagen: Junge Menschen dürfen sich nicht verführen lassen, nicht von Gewaltfantasien, nicht von religiösen Eiferern oder Predigern, auch nicht von islamistischen Gruppierungen in Frankreich, die diesen Hass noch befeuern wollen. Es geht darum, klar und deutlich zu sagen, dass die Werte des Staates eingefordert werden müssen, und darum, dass der Staat den Hass mit Perspektiven beantwortet, auf denen sich eine Zukunft bauen lässt.

Vor dem Hintergrund bin ich Bruno Le Maire dankbar – ich finde, wir sollten seine Einlassung unterstreichen –, der deutlich gemacht hat, dass sich niemand verunsichern lassen sollte – nicht die Menschen in Frankreich und auch nicht außerhalb –, dass weder Touristen noch Investoren noch Besucher in Frankreich abgeschreckt sein sollten, sondern dass Frankreich ein weltoffenes, ein tolerantes Land ist, mit dem wir eine tiefe Freundschaft haben und weiter pflegen.

Herzlichen Dank.
 

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