Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Volker Ullrich in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag: Viertes Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Europarats in Reykjavik vom 16. bis 17. Mai 2023 am 11.5.2023:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 

Wenn von Europa die Rede ist, dann ist im Sprachgebrauch damit die Europäische Union gemeint. Die Integrationsbemühungen der letzten Jahrzehnte waren solche, durch die wir vor allen Dingen im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik vorangekommen sind. Aber die Werte und Grundlagen des Europarats – Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit – sind das, was den Kern Europas ausmacht. Denn ohne Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wäre weder eine wirtschaftliche Integration denkbar, noch hätte unser Kontinent die Würde und die Werte, die ihn auch zu einem Vorbild in der Welt machen.

Europäische Union und Europarat vereinen

Deswegen ist der Europarat eine wichtige Institution, wenn es um die Bewahrung dieser Kernelemente geht.

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Europarat dort, wo er Kompetenzen hat, diese noch stärker ausüben kann. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind keine unverbindlichen Empfehlungen, sondern müssen von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Wir brauchen einen stärkeren Sanktionsmechanismus, wenn das nicht erfolgt.

Es wäre ein gutes und wichtiges Zeichen, wenn auch die Europäische Union als Organisation tieferer Integrationsbreite endlich der Menschenrechtskonvention des Europarats beitreten würde. Die Europäische Union und der Europarat sollten nicht nebeneinander leben, sondern sie sollten stärker integriert werden, weil wir bei zentralen Themen die gleichen Werte haben.

Es ist auch gut, dass Kolleginnen und Kollegen jetzt zu Wahlbeobachtungsmissionen aufbrechen. Integrität von Wahlen, Schutz von Demokratie, Respekt auch gegenüber der Opposition, das sind zentrale Werte des Europarats.

Aber ich möchte da ein kleines bisschen Wasser in den Wein gießen. Wenn man sich den Bericht der Generalsekretärin des Europarats, Frau Marija Pejcinovic Buric, von letzter Woche ansieht, dann stellt man fest: Sie empfiehlt in Bezug auf Wahlen den Respekt vor der Venedig- Kommission, sie empfiehlt Fairness vor der Opposition, und auch die Sitzverteilung solle gleichmäßig zwischen den Wahlkreisen erfolgen. Genau das, liebe Ampel, haben Sie mit Ihrer Wahlrechtsreform nicht getan.

Sie haben die elementaren Voraussetzungen, die der Europarat formuliert, verfehlt.

Die ambitionslose Ampel

Wir müssen auch über die vielleicht ein Stück weit bestehende Ambitionslosigkeit der Bundesregierung in Bezug auf den Europarat sprechen. Es ist gut, dass Olaf Scholz nach Reykjavík fliegt. Aber jenseits dieser Aktuellen Stunde hatten wir seit Langem keine Debatte zum Thema Europarat hier im Plenum.

Auch der Auftritt der Bundesaußenministerin in Straßburg im Januar hat eher zu Fragen denn zu Antworten geführt.

Wir müssen auch über die Europäische Politische Gemeinschaft sprechen, wenn sich 14 Tage nach dem Gipfel in Reykjavík der gleiche Kreis der Staats- und Regierungschefs noch mal trifft. Bei dem einen Gipfeltreffen in Reykjavík gibt es eine klare Anbindung an Parlamente, auch an eine Parlamentarische Versammlung, und die Europäische Politische Gemeinschaft hat davon nichts.

Es gab noch nie eine Debatte im Deutschen Bundestag zur Europäischen Politischen Gemeinschaft. Es gibt keine Verträge, es gibt keine parlamentarische Kontrolle. Ich sage ganz klar: Wenn es ein europäisches Gipfeltreffen gibt – und es ist gut, dass Moldau hier eine Chance bekommt –, dann brauchen wir doch auch eine Debatte in den Parlamenten, und wir brauchen eine Anbindung an Verträge und eine Anbindung an Parlamente. Europäische Einigung muss sich auch in den Parlamenten vollziehen, meine Damen und Herren.

Die Zukunft des Europarats wird sich danach entscheiden, wie stark sich unser Land für die grundlegenden Voraussetzungen, die der Europarat formuliert hat, einsetzt und wie es uns gelingt, den Europarat auch als europäischen Sehnsuchtsort zu etablieren. Deswegen ist es wichtig, dass Kosovo nach all den Bemühungen aufgenommen wird, und es ist wichtig, dass diese Grund-lagen Europas – Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – nicht nur Worte sind. Sie müssen europäisch gelebt werden.

Herzlichen Dank.
 

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