Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Thomas Silberhorn in der Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag zum Freihandelsabkommen, 29.11.2023:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
20 Jahre lang haben Europäische Union und Mercosur-Staaten über ein neues Freihandelsabkommen verhandelt. 2019 ist endlich eine Einigung erzielt worden.
Das haben wir erreicht. Dieses Abkommen ist längst reif zur Ratifikation, meine Damen und Herren.
Doch seit dem Regierungswechsel wird das Verfahren mit immer neuen, zusätzlichen Forderungen belastet. Gerade die Grünen haben keine Gelegenheit ausgelassen, um das Ratifikationsverfahren zu verzögern. Sie sind damit in der Europäischen Union nicht sehr weit gekommen. Aber den vorläufigen Höhepunkt setzt nun der grüne Parteitag vom letzten Wochenende. Keine andere Partei verpflichtet ihre Regierungsmitglieder so durch ein imperatives Mandat, wie die Grünen das tun. Deswegen ist das ein Problem für die gesamte Bundesregierung und für unser Land, meine Damen und Herren.
Die Grünen behaupten, durch grundlegende Veränderungen ein faires, ökologisches und postkoloniales Abkommen erreichen zu wollen. Diese Gründe sind vorgeschoben. Das Gegenteil ist der Fall: Der Kurs der Grünen zum Mercosur-Abkommen ist bevormundend, er ist destruktiv, und er ist paternalistisch, meine Damen und Herren. Sie wollen kein Abkommen auf Augenhöhe, sondern Sie wollen Ihre parteipolitischen Präferenzen durchsetzen, die schon in der Ampelkoalition keine Unterstützung haben, geschweige denn in der Europäischen Union.
Sie pflegen lieber Ihre Globalisierungskritik, als mit freiem Handel eine neue Grundlage für Investitionen in nachhaltige Entwicklung zu schaffen. Dass auch ökologische Ziele, vor allem der Schutz des Regenwaldes, besser mit als ohne Freihandel erreicht werden können, zu dieser Einschätzung kamen bisher alle Bundesminister, die in diesem Jahr nach Brasilien gereist sind. Das halbe Kabinett war dort. Die Grünenminister Robert Habeck, Annalena Baerbock und Cem Özdemir kamen mit der klaren Botschaft zurück, das EU-Mercosur-Abkommen zum Abschluss zu bringen.
Auch unsere Verhandlungspartner aus Lateinamerika drängen auf einen Abschluss ohne weitere Verhandlungen. Der Präsident Paraguays, der in der nächsten Woche den Mercosur-Vorsitz übernimmt, hat bereits damit gedroht, die Verhandlungen abzubrechen, wenn sie nicht noch in diesem Jahr zum Abschluss kommen. Der neugewählte Präsident Argentiniens hat sich trotz mancher Kritik für den freien Handel ausgesprochen und würde es wohl am liebsten sehen, wenn eine Einigung noch vor seiner Amtseinführung am 10. Dezember zustande kommt. Dafür besteht die Gelegenheit, nämlich beim Gipfel der Mercosur-Staaten am 7. Dezember. Das ist der nächste Donnerstag. Bis dahin muss in Deutschland und der Europäischen Union Klarheit herrschen, meine Damen und Herren.
Der brasilianische Präsident Lula da Silva wird am kommenden Montag in Berlin erwartet, seine Vorausdelegation bereits morgen. Sie steigt also heute Abend ins Flugzeug und kommt morgen in Berlin an. Sie müssen natürlich wissen: Können sie mit dem Bundeswirtschaftsminister reden, oder müssen sie vorher die Parteivorsitzenden der Grünen fragen?
Die Bundesregierung muss jetzt Farbe bekennen. Sie, Herr Habeck, müssen sich heute festlegen: Folgen Sie dem Beschluss Ihres Grünenparteitags, oder nehmen Sie Ihr Regierungsamt wahr? Beides geht offenkundig nicht zusammen.
Mit Ihrem Parteitagsbeschluss stoßen Sie von den Grünen die Mercosur-Staaten Lateinamerikas gezielt vor den Kopf. Sie sprechen von Fairness, aber Sie haben offenbar nichts dafür übrig, dass sich die Menschen in Argentinien, in Brasilien, in Uruguay und in Paraguay nach demselben Wohlstand sehnen, den wir in der Europäischen Union durch unseren Binnenmarkt haben. Sie fordern einseitige ökologische Zugeständnisse, aber Sie verkennen, dass dafür auch die sozialen Rahmenbedingungen verbessert werden müssen, wozu das Abkommen einen großen Beitrag leisten wird. Und: Sie fordern ein postkoloniales Abkommen und ignorieren dabei geflissentlich, dass Ihr Crashkurs in Lateinamerika als neokoloniales Verhalten wahrgenommen und heftig kritisiert wird, meine Damen und Herren.
Wissen Sie: Als man in Deutschland noch Pickelhaube getragen hat, gab es dafür eine Übersetzung in Gebärdensprache: den erhobenen Zeigefinger vor der Stirn.
So sehen die Außenhandelspolitik und die Außenpolitik der Grünen aus.
Daher rührt auch der Vorwurf des Neokolonialismus, meine Damen und Herren.
Deswegen fordere ich Sie auf: Legen Sie die Pickelhaube ab! Rollen Sie den belehrenden Zeigefinger ein, und kehren Sie zurück zu einer Politik mit Augenmaß und einer Partnerschaft auf Augenhöhe mit Lateinamerika!
Es wird sich in der nächsten Woche zeigen, ob Deutschland ein verlässlicher Handelspartner für Brasilien und für alle Mercosur-Staaten ist oder nicht. Sie, Herr Habeck, müssen sich entscheiden, ob Ihnen ideologiegetränkte Parteitagsbeschlüsse wichtiger sind als die Verbindung von über 700 Millionen Menschen durch eine Freihandelszone. Europa und Lateinamerika brauchen jetzt ein neues Freihandelsabkommen, und Deutschland kommt dabei als größte und stärkste Volkswirtschaft in der Europäischen Union eine wichtige Vorreiterrolle zu.
Vielen Dank.