Rede zum Elysée-Vertrag

1.a) Vereinbarte Debatte50 Jahre Elysee-Vertrag - Zusammenarbeit und gemeinsame Verantwortung für die Zukunft Europas

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass der Élysée-Vertrag eine so fundamentale Bedeutung für die europäische Integration erlangen würde, war bei der Unterzeichnung am 22. Januar 1963 in Paris nicht absehbar. Im Gegenteil! Dieser Vertrag war gerade in Deutschland heftig umstritten. Die Atlantiker haben im Gegensatz zu den Gaullisten befürchtet, dass ein bilateraler Vertrag mit Frankreich zulasten der transatlantischen Partnerschaft gehen könnte. Eine Besorgnis, die sich nicht bewahrheitet hat.

Dieser Vertrag hat aber nicht nur den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich einen Rahmen gegeben. Vor allem ist es damit gelungen, auf nur fünf Seiten die Grundlagen für Versöhnung, für Zusammenarbeit, für Frieden in Europa zu schaffen. Dieser Vertrag prägt die Entwicklungslinien der gesamten europäischen Integration bis heute. Das war und bleibt das maßgebliche Verdienst von zwei großen Staatsmännern, des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle und des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer.

Es gibt auf der Welt kaum zwei Staaten, die so enge Beziehungen pflegen wie Deutschland und Frankreich. Das ist das Ergebnis einer in der Geschichte bisher einmaligen Aussöhnung ehemaliger Erbfeinde, wobei ich zu denen gehöre, die das Wort „Erbfeinde“ nur in Anführungszeichen verwenden; denn die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen beweist: Feindschaft ist nicht erblich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Feindschaft sitzt nicht in den Genen, sondern in den Köpfen. Feinde können Freunde werden, wenn sie es denn wirklich wollen. Feindschaft kann also überwunden werden. Wir, Deutsche und Franzosen, haben sie überwunden. Das ist die zentrale und bis heute aktuelle Botschaft des Élysée-Vertrags für Europa und die Welt.

Aber Freundschaft ist auch nicht vererbbar. Freundschaft muss gepflegt werden. Freundschaft muss ständig erneuert werden. Deswegen geht es darum, die Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen Jahr für Jahr lebendig zu erhalten und von Generation zu Generation weiterzuentwickeln. Das ist unser gemeinsamer Auftrag aus 50 Jahren Élysée-Vertrag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben nicht nur auf der Ebene der Regierungen ein eng geknüpftes Netz zwischen Deutschland und Frankreich, sondern wir haben auch in vielen Kommunen, in den Ländern im Bereich der Kultur, der Wissenschaft und bei der Sprachförderung eine enge Kooperation. Circa 300 deutsch-französische Vereinigungen, regionale Partnerschaften, kommunale Partnerschaften: All das bildet ein starkes Wurzelgeflecht zwischen unseren Bürgern. Wir haben uns auch seitens des Deutschen Bundestages und der Assemblée nationale im Februar 2010 eine gemeinsame deutsch-französische Agenda 2020 gegeben, mit der wir 80 neue Projekte der Zusammenarbeit bis zum Jahr 2020 umsetzen wollen.

Dass die Jugendarbeit einen besonderen Stellenwert in unseren Beziehungen hat, ist von nahezu allen Vorrednern zu Recht betont worden. In diesem Zusammenhang kann die Leistung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes nicht genug gewürdigt werden. Seit 1963 haben die Programme des Deutsch-Französischen Jugendwerkes mehr als 8 Millionen Teilnehmer erreicht. Dieser Austausch zwischen deutschen und französischen Jugendlichen bleibt eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Entwicklung unserer künftigen bilateralen Beziehungen und für die Entwicklung der europäischen Integration. Deswegen will ich den jungen Leuten zurufen: Bewahrt euch eure Neugier aufeinander, und bewahrt euch das Interesse füreinander!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die enge Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland ist umso höher einzuschätzen, als wir aus teilweise sehr unterschiedlichen Traditionen kommen, beispielsweise was unsere Auffassungen von Wirtschaftspolitik betrifft, die Ausgestaltung des politischen Systems, der Parteienlandschaft, den Stellenwert von Religion, das Bildungssystem und viele andere Dinge mehr. Aber genau weil unsere Ausgangsvoraussetzungen so unterschiedlich sind, hat unsere Zusammenarbeit, hat unsere Verständigung einen so hohen Stellenwert, nicht nur für die bilateralen Beziehungen, sondern auch für die europäische -Integration insgesamt. Das ist der Grund, weshalb Deutschland und Frankreich zu Pionieren und zur Triebfeder der europäischen Integration geworden sind. Ob Binnenmarkt, Schengen-Abkommen, Wirtschafts- und Währungsunion, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: Alle wegweisenden europäischen Initiativen der letzten Jahre und Jahrzehnte wären ohne den engen Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich undenkbar gewesen.

Wir wissen freilich auch, dass eine Einigung zwischen unseren beiden Ländern alleine die Kompro-missfindung auf europäischer Ebene noch nicht ersetzt, sondern dass sie dafür eher ein Ausgangspunkt ist. Deswegen müssen wir betonen: Die deutsch-französische Kooperation im Rahmen der Europäischen Union war nie als Bevormundung zu verstehen, sondern es war immer eine Einladung zur Zusammenarbeit an alle. Ich würde es deswegen begrüßen, wenn wir unsere Beziehungen auch zu anderen Partnern der Europäischen Union wie Italien oder Polen vertiefen, die ihrerseits eine integrierende Wirkung in ihrem regionalen Umfeld entfalten können. Wir haben mit dem Weimarer Dreieck dafür ein Format, das sich zwischen Deutschland, Frankreich und Polen etabliert hat. Das ist das Zeugnis eines gelungenen Aussöhnungsprozesses zwischen Deutschland und unseren beiden größten europäischen Nachbarn im Westen und im Osten.

Meine Damen und Herren, es fehlt nicht an Themen für die künftige Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich: die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, die Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die Energiepolitik und die Luft- und Raumfahrtindustrie. Bei all diesen Themen gilt es, im Geiste des Élysée-Vertrages unsere Partnerschaft immer wieder mit Leben zu erfüllen. Dieses -Signal sollten wir in der nächsten Woche bei der gemeinsamen Sitzung der Assemblée nationale mit dem Deutschen Bundestag hier in Berlin geben. Ich freue mich darauf.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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