Rede zur Arbeitnehmerkontrolle

11.) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Beschäftigten von Discountern verbessern
- Drs 16/9101 -
ZP4) Beratung Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Persönlichekeitsrechte abhängig Beschäftigter sichern - Datenschutz am Arbeitsplatz stärken
- Drs 16/9311 -
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen!
 
Frau Kollegin Stokar von Neuforn, Sie haben gerade am eigenen Leib in dramatischer Weise be­merkt, wie es ist, wenn man in seiner Rede überwacht wird. Die Präsidentin hat Sie darauf hingewiesen, dass Ihre Redezeit um eine Minute überschritten war. Aller­dings wissen wir, dass wir bei der Einhaltung unserer Redezeit vom Präsidium überwacht werden. Das ist der Unterschied.
 
Wir sind uns sicherlich alle darin einig, dass die Frei­heit unserer Bürgerinnen und Bürger das ist, was die De­mokratie allen anderen Systemen überlegen macht. Es gibt ein bewährtes Instrument, das sie im Alltag schüt­zen soll: das Rechtsstaatsprinzip. Hier im Deutschen Bundestag wird darum immer wieder und mit gutem Recht darüber gestritten, wie weit wie auch immer gear­tete Überwachungsmaßnahmen gehen dürfen. Sie haben das neueste Beispiel, das der Deutschen Telekom, bereits angesprochen.
 
Umso weniger ist es erträglich, wenn sich Privatun­ternehmen ein Recht herausnehmen, das die Institutio­nen des demokratischen Rechtsstaats in dieser Form nicht antasten, nämlich das Recht, die Daten von Mitar­beitern auf brauchbare Hinweise auf womöglich misslie­biges Verhalten zu durchforsten. Überwachungsmetho­den dieser Art, wie sie bei Lidl und anderen Firmen in der letzten Zeit aufgedeckt worden sind, sind unwürdig und mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar. Daran än­dert auch das Argument nichts, man wolle mit Privatde­tektiven und Überwachungskameras Ladendiebstähle aufklären oder Hygienekontrollen durchführen. In engen Grenzen ist das zwar möglich, eine Überwachung ist dann aber mitbestimmungspflichtig. Sie muss vorher mitgeteilt werden und gezielt sein, ohne andere Mitar­beiter einzuschließen. Außerdem muss ein konkreter Anlass vorliegen. Ein Fehlverhalten könnte dann arbeits­rechtlich geahndet werden.
 
Die aktuellen Fälle von Mitarbeiterüberwachung aber gehen darüber weit hinaus. Sie schränken die Mitarbeiter in ihren Rechten ein und sind und bleiben Rechtsbrüche. Deshalb müssen die gesetzlichen Regelungen konse­quent angewandt und die Arbeitnehmer effektiv ge­schützt werden.
 
(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Punkt sind wir uns einig, liebe Kollegen von den Grünen.
 
In Ihrem Antrag fordern Sie unter anderem ein Ar­beitnehmerdatenschutzgesetz, enge Grenzen für die Da­tenerhebung und eine Stärkung der Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter. Natürlich ist das sehr ehrens­wert. Leider schießen Sie aber über das Ziel hinaus. Landauf, landab sind immer wieder Forderungen nach weniger Vorschriften und nach Verwaltungsvereinfa­chung zu hören. Kommt es aber zu einer größeren Geset­zesübertretung, werden sozusagen als Soforttherapie neue und mehr Gesetze gefordert. Meister in der Diszi­plin „Populismus“ sind hier immer wieder gern meine Freunde von der Linken.
 
(Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Freunde? Das ist aber nett!)
 
Liebe Kollegen von den Grünen, wir haben ausrei­chende gesetzliche Grundlagen, um die Mitarbeiter von Lebensmitteldiscountern wie andere Arbeitnehmer be­reits jetzt vor einer unzulässigen Durchleuchtung durch den Arbeitgeber zu schützen, auch wenn es in Deutsch­land noch kein einheitliches Arbeitnehmerdatenschutz­gesetz gibt, wie Sie es fordern. Auch die Gründung von Betriebsräten ist durch das Betriebsverfassungsgesetz bereits hinreichend abgesichert und wesentlich verein­facht worden.
 
Beim Schutz gegen unrechtmäßige Überwachung greifen die Grundsätze des allgemeinen Datenschutzes und des Arbeitnehmerdatenschutzes. Im Bundesdaten­schutzgesetz und im Betriebsverfassungsgesetz gibt es dazu einschlägige Bestimmungen. So belegt das Bun­desdatenschutzgesetz die unbefugte Erhebung personen­bezogener Daten in § 43 mit Bußgeldern bis zu 250 000 Euro. Das ist keine Lappalie. Was Sie gefordert haben, nämlich dass der Betrag von 25 000 Euro erhöht werden muss, ist bereits im Gesetz geregelt. Ein Blick ins Gesetz erleichtert das Verständnis des Rechts. Weiter legt § 87 Abs. 1 Nr. 6 des Betriebsverfassungsgesetzes fest, dass der Betriebsrat bei Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu über­wachen, mitzubestimmen hat.
 
Die Rechtsprechung zum Schutz des Persönlich­keitsrechts des Arbeitnehmers hat darüber hinaus Re­geln des allgemeinen arbeitsrechtlichen Informations- und Datenschutzes entwickelt. Dies gilt auch für die Videoüberwachung von Arbeitnehmern. In einem Ur­teil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2004 zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz heißt es zum Beispiel:
Die Videoüberwachung ist der Arbeitgeberin nicht allein auf Grund ihres Hausrechts gestattet …
Wird die Videoüberwachung im privaten Bereich nicht heimlich, sondern sichtbar durchgeführt, so hat der Besucher grundsätzlich die Möglichkeit, der Überwachung durch Fernbleiben von den über­wachten Räumen zu entgehen … Der Arbeitnehmer hat diese Möglichkeit nicht … Hinzu kommt, dass auch der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Arbeit­nehmer vertragsgemäß zu beschäftigen. Sein Haus­recht unterliegt aus diesen Gründen einer Ein­schränkung …
Die … erheblichen Eingriffe in die Persönlichkeits­rechte der Arbeitnehmer sind nicht durch überwie­gende schutzwürdige Belange der Arbeitgeberin … gerechtfertigt.
 
Im Fall Lidl hat die beim baden-württembergischen Innenministerium angesiedelte Datenschutzbehörde be­reits ein Prüfverfahren eingeleitet, um den Sachverhalt aufzuklären. Außerdem hat die Aufsichtsbehörde meh­rere Filialen unangemeldet kontrolliert.
 
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na bravo!)
 
Dessen ungeachtet ist zunächst einmal zu klären, was bei Lidl und anderen Firmen genau geschehen ist, wel­che strafrechtlichen Konsequenzen daraus abzuleiten sind und ob Missstände auch wirklich abgestellt werden. In der Aufarbeitung der Vorkommnisse wird sich zeigen, ob die bestehenden Regelungen in den Datenschutzge­setzen und im Strafgesetzbuch ausreichen oder nicht. Erst dann sollte der Gesetzgeber aktiv werden.
 
Eines muss immer wieder betont werden, auch wenn sich in letzter Zeit die Fälle von Mitarbeiterüberwachung zu häufen scheinen:
 
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Zu häufen scheinen?)
 
Die allermeisten in Deutschland ansässigen Unterneh­men haben sich in dieser Hinsicht gegenüber ihren Mit­arbeitern nichts zuschulden kommen lassen.
 
(Beifall des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])
 
Sie könnten es sich auch gar nicht leisten. Der Imagever­lust in einem solchen Fall wäre beträchtlich.
 
Anstelle eines kategorischen Verbotes der techni­schen Überwachung von Leistung und Verhalten der Ar­beitnehmer hat der Gesetzgeber Arbeitgebern und Ar­beitnehmern darum die Möglichkeit gegeben, über Betriebsvereinbarungen zwischen der Geschäftsleitung eines Betriebes und dem Betriebsrat dieses Betriebes transparente, praktikable und für beide Seiten annehm­bare Lösungen auszuhandeln, soweit unabdingbare ge­setzliche Schutzbestimmungen eingehalten werden. – Sie kommen in der Begründung Ihres Antrags auch zu dieser begrenzten Überwachungsmöglichkeit unter Ein­beziehung des Betriebsrats.
 
Die allermeisten Unternehmen – ich möchte das beto­nen, Herr Montag, nachdem Sie vorhin den Zwischenruf gemacht haben – halten die Regeln des Betriebsverfas­sungsgesetzes ein, auch was die Einrichtung von Be­triebsräten angeht. Was das betrifft, ist im Übrigen Ihre Forderung nach einer leichteren Betriebsratsbildung in Unternehmen in vielen Fällen schlicht obsolet. Die Er­fahrung zeigt, dass auch große Unternehmen in ihren Fi­lialen mehr als die fünf Arbeitnehmer beschäftigen, die für die Gründung eines Betriebsrats notwendig sind.
 
Betriebliche Mitbestimmung hat sich bewährt. Sie funktioniert in 99 Prozent aller Unternehmen.
 
(Lachen bei der LINKEN)
 
Nirgendwo sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungs­rechte der Arbeitnehmer im Unternehmen so weitgehend geregelt wie hierzulande. Diese Rechte gilt es zu nutzen.
 
(Abg. Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi­schenfrage)
 
– Sie wollen mir eine Zwischenfrage stellen, Frau Kolle­gin?
 
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie eine Zwischen­frage der Kollegin Silke Stokar von Neuforn zulassen.
 
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Ich freue mich darüber.
 
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Lehrieder, ist Ihnen bekannt, in wie vie­len Filialen von Lidl – ich spreche jetzt erst einmal nur von Lidl; wir könnten aber Aldi und andere mit einbezie­hen – es überhaupt einen Betriebsrat gibt? Sie haben eben gesagt, es bestehe kein Handlungsbedarf bezüglich einer Vereinfachung der Betriebsratsgründung. In über 99 Prozent der Filialen von Discountern kann es keine Vereinbarung geben, weil die Wahlen von Betriebsräten be- oder verhindert werden.
 
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Mir ist durchaus bekannt, Frau Stokar von Neuforn, dass nur in einer geringen Anzahl der Filialen von Lidl oder anderen Discountern überhaupt Betriebsräte beste­hen. Aber durch den von Ihnen eingebrachten Antrag wird die Gründung eines Betriebsrates im Verhältnis zum Status quo nicht erleichtert. Das heißt, eine Grün­dung wäre auch nach Umsetzung Ihrer Vorschläge nicht leichter möglich als derzeit. Die von Ihnen angedeutete – ich sage das ganz bewusst so – Einschüchterung würde letztendlich dadurch auch nicht aufhören.
 
Vizepräsidentin Petra Pau:
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kolle­gin Pothmer?
 
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Gerne.
 
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bitte, Frau Pothmer.
 
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Lehrieder, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass Sie einen Vorschlag unterbreiten werden, durch den die Gründung von Betriebsräten noch deutlicher erleich­tert wird als durch unsere Vorschläge?
 
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Wenn ich Ihren Vorschlag anschaue, stelle ich fest, dass sich keine Regelungen finden, die die Gründung von Betriebsräten im Verhältnis zum Status quo erleich­tern. Sie schreiben:
Der Prozess der Einleitung von Betriebsratswahlen muss gesetzlich besser geschützt werden. Die ge­richtliche Bestellung eines Wahlvorstands auf An­trag der im Betrieb vertretenen Gewerkschaft muss für Kleinbetriebe bis 100 Beschäftigte erleichtert werden.
 
Hier findet sich nichts, was nicht ohnehin schon möglich wäre.
 
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Haben Sie bessere Vorschläge?)
 
Ich kann Ihnen, Frau Pothmer, allerdings sagen, um Sie zu beruhigen: Es kommt kein eigener Antrag von mir.
 
Meine Damen und Herren, die beiden vorgelegten Anträge, über die wir heute diskutieren, werden wir aus gutem Grund ablehnen. Wir werden die Ergebnisse der Auswertung der Vorgänge bei Lidl abwarten, darüber in der gebotenen Sachlichkeit sprechen und daraus die ent­sprechenden Schlüsse ziehen. Falls wir Handlungsbedarf sehen, werden wir zu gegebener Zeit hier darüber disku­tieren und sodann, Frau Kollegin Pothmer, sofern es er­forderlich ist, eigene Anträge einbringen.
 
Herzlichen Dank.
 
(Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Te­lekom hat für Sie gar nicht stattgefunden? – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ CSU]: Ich habe es vorhin angesprochen!)
Druckversion