Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Stephan Stracke in der Bundestagsdebatte zur bürokratiearmen Regelung der Arbeitszeiterfassung am 26.5.2023:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Ton, den die Ampelparteien untereinander pflegen, ist tatsächlich bezeichnend für den Zustand dieser Koalition. In keinem wesentlichen Vorhaben besteht in irgendeiner Weise Einigkeit: beim Haushalt nicht, bei der Wärmewende nicht und bei vielen anderen Dingen auch nicht. 

Das, was wir tagtäglich bei Habeck und Lindner erleben müssen, setzt sich jetzt eins zu eins auch bei Hubertus Heil fort. Wenn ich daran erinnern darf: Die Bildungszeit, die eigentlich im Zusammenhang mit dem Weiterbildungsgesetz vorgesehen war – vertagt und gestrichen. Die Regelung zur Geltung des Mindestlohns und des Arbeitsschutzes für Kraftfahrer im Straßenverkehr – der Gesetzentwurf dazu wurde diese Woche auch abgesetzt, auch wieder vertagt.  

Und jetzt die Reform des Arbeitszeitgesetzes. Was wir heute erlebt haben, war ja ein sehr charmant verpackter Totalverriss vonseiten der FDP zu dem, was Hubertus Heil beabsichtigt und vorgelegt hat. Das zeigt: Diese Ampelkoalition entwickelt sich eigentlich zu einem Brummkreisel. Sie rotiert nur noch um sich selbst. Das ist aber das Gegenteil von Fortschritt. Wir als Union stehen für eine grundlegende Modernisierung des Arbeitszeitrechts. Wir brauchen eine flexible, eine unkomplizierte, eine unbürokratische Arbeitszeitgestaltung. Nur so werden wir den Bedürfnissen der Unternehmen und vor allem auch der Beschäftigten nach mehr selbstbestimmter Arbeit in einer modernen Arbeitswelt gerecht. Wir wollen mehr Raum für Freiheit und Selbstbestimmtheit, ohne zugleich den Einzelnen zu überfordern.  

Das ist gerade im Sinne eines effektiven Arbeitsschutzes von enormer Bedeutung. Diesem Anspruch werden die Vorschläge von Bundesarbeitsminister Heil in keiner Weise gerecht. Sie nutzen die Spielräume, die Ihnen das Europarecht bietet, nicht. Nein, Sie verschärfen ohne Not die Regelungen zur Arbeitszeiterfassung. Deutlich wird ja: Die Beschäftigten wollen ihre Arbeitszeit möglichst selbstbestimmt und frei einteilen. Dort, wo die Notwendigkeiten des Betriebes dafür Raum geben, brauchen wir möglichst flexible Arbeitszeitmodelle. Die werden in der Praxis schon vielfach gelebt: Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, mobiles Arbeiten, Homeoffice, aber eben auch Vertrauensarbeitszeit. Das ist wichtig für die verbesserte Vereinbarkeit mit Familie und Privatleben, gerade dann, wenn es darum geht, Kinder zu betreuen, Familienangehörige zu pflegen oder sich selbst beruflich weiterzuentwickeln. Wir wollen diese Flexibilität befördern.  

Wir wollen sie nicht eingrenzen oder beenden, so wie es das Ministerium und Teile dieses Hauses tatsächlich wollen. Das, was der Bundesarbeitsminister beispielsweise will, ist, dass die Arbeitszeit standardmäßig elektronisch aufgezeichnet werden muss, und das auch noch am selben Tag. Das ist eine vollkommen unnötige Gängelung in der Arbeitspraxis in diesem Bereich.  

Im Übrigen fordern auch das europäische Recht und die Rechtsprechung eine solche Verschärfung nicht. Die Form der Arbeitszeiterfassung muss frei bleiben, und die Frist zur Eintragung muss mindestens sieben Tage betragen. Das Mindestlohngesetz gibt uns dafür einen guten Orientierungsrahmen. Deswegen muss das Motto an dieser Stelle lauten: Mehr Nahles und weniger Heil. Dann haben wir auch eine vernünftige und praxistaugliche Lösung.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion –

Stephan Stracke (CDU/CSU): Und wir brauchen eine verlässliche Lösung für die Vertrauensarbeit. 

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: Herr Abgeordneter! 

Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja. 

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: Ist es so laut? – Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke? 

Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. – Frau Ferschl, bitte schön. 

Susanne Ferschl (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Kollege Stephan Stracke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade davon gesprochen, dass es eine Zumutung wäre, wenn die Arbeitszeiten am gleichen Tag erfasst werden müssten, und dass mindestens sieben Tage dafür Zeit gegeben werden müsse. Was antworten Sie denn den Kolleginnen und Kollegen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die auf die Frage, was es ihnen erleichtern würde, die Einhaltung des Mindestlohns besser kontrollieren zu können, immer sagen, sie bräuchten dazu eine Stephan Stracke tagesaktuelle elektronische Arbeitszeiterfassung? Was würden Sie den Kolleginnen und Kollegen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit antworten? Oder wollen Sie deren Arbeit gar nicht unterstützen? 

Stephan Stracke (CDU/CSU):
Werte Frau Kollegin, wir haben gerade im Rahmen der Mindestlohndebatte diese Abwägung vorgenommen und gesagt: Es genügt – das eröffnet im Übrigen auch das derzeitige Recht –, dass die Arbeitszeiterfassung im Baugewerbe und in schwarzarbeitsgeneigten Bereichen innerhalb eines Siebentagezeitraums geschieht, also dass es diese Wochenbetrachtung gibt.  

Das so zu tun und dabei zu bleiben, ist doch vollkommen richtig. Deswegen sehen wir da überhaupt keinen Veränderungsbedarf.  

Von dieser standardisierten Pflicht, tagesgleich aufschreiben zu müssen, dann nur noch über Tarifverträge abweichen zu können, so wie das der Arbeitsminister vorsieht, greift in diesem Fall auch zu kurz, weil es bei dieser Frage schon im Prinzip darum geht, dass man um Arbeitsschutz ringt und nicht um eine Stärkung von Gewerkschaften.  

Das ist keine staatliche Aufgabe an dieser Stelle. Deswegen wird aus unserer Sicht nicht Standard sein, dass tagesgleich aufgeschrieben werden muss.  

Das ist vollkommen über das Ziel hinausgeschossen. Das führt zu einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand und zu Kosten, ohne dass tatsächlich ein effektiver Mehrwert da ist. Wir brauchen weniger Misstrauen in diesem Bereich, sondern auch Zutrauen in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Gesamtheit der Branchen.  

Wenn Sie spezifisch etwas verändern wollen, dann tun Sie das bei den schwarzarbeitsgeneigten Gewerbebereichen, aber nicht generell für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Das ist vollkommen über das Ziel hinausgeschossen. 

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz: Erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal aus der SPD-Fraktion? 

Stephan Stracke (CDU/CSU): Ja, selbstverständlich. Gerne. 

Angelika Glöckner (SPD): Sehr geehrter Herr Stracke, vielen Dank, dass Sie auch meine Zwischenfrage zulassen. – Es wurde vorhin ja mehrfach angedeutet, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, dass es absolut und zwingend notwendig ist, dass Menschen – überwiegend auch, wenn sie älter werden – gewisse Ruhepausen einlegen müssen, damit sich ihr Körper wieder erholen kann. Es geht aber auch häufig um Menschen, die körperlich arbeiten müssen, die aber auch geistige Herausforderungen haben. Wie stehen Sie denn zu diesen wissenschaftlichen Expertisen? Wie wichtig sind Ihnen diese, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es gerade Ihre Partei ist, die darauf abzielt, Menschen bis 72 Jahre arbeiten zu lassen? Das würde mich doch mal interessieren.  

Stephan Stracke (CDU/CSU):
Werte Frau Kollegin, wenn wir darum ringen, dass wir mehr Flexibilität im Bereich der Arbeitszeit brauchen, dann geht es aus unserer Sicht nicht darum, dass wir das Volumen an Arbeitszeit erhöhen wollen, sondern es geht einfach darum, dass die Verteilung innerhalb der Woche besser gelingt; ausschließlich darum geht es.  

Es geht in diesem Bereich nicht darum, das Arbeitsvolumen zu erhöhen oder den Menschen weniger Pausen zu gewähren. Das ist doch vollkommen klar. Wenn Sie immer sagen, dass das, was der europäische Rahmen Ihnen bietet, für Sie überhaupt nicht nachvollziehbar und gängig ist, weil dieser Rahmen zwanghaft dazu führt, dass die Menschen in den Bereich getrieben werden, der ihre gesundheitlichen Möglichkeiten übersteigt, dann wäre es aber auch erforderlich, dass diese Bundesregierung eine Initiative auf europäischer Ebene ergreift und sagt: Wir müssen diese Spielräume, die die Arbeitszeitrichtlinie bietet, begrenzen. – Das tun Sie aber nicht.  

Sie begrenzen das in diesem Bereich nicht. Das müssten Sie aber, wenn Sie immer davon reden, dass letztendlich die Spielräume, die da sind, oder das Ausnutzen der europäischen Spielräume automatisch dazu führen, dass die Menschen dadurch letztendlich gesundheitlich beeinträchtigt werden. Das ist falsch.  

Ansonsten: Machen Sie eine europäische Initiative, und dann werden Sie sehen, dass Sie da auf dem Holzweg sind, auch innerhalb von Europa. Wir brauchen nicht nur eine Modernisierung der Arbeitszeiterfassung, sondern natürlich auch des Arbeitszeitrechtes als solches. Die Ankündigung von Pascal Kober, dass jetzt auch das Arbeitszeitrecht als solches angepackt werden soll, höre ich wohl. Wir hatten im Ausschuss danach gefragt. Die Bundesregierung hatte uns geantwortet: Nein, nein; sie denke gar nicht daran, dies zu tun. Man brauche jetzt erst einmal einen Dialog mit den Sozialpartnern, weil das so viele Fragen berühren würde, dass das so schnell gar nicht ginge.  

Ich höre Ihre Worte, ich glaube Ihnen aber nicht. Stimmen Sie unserem Antrag zu. Das würde auch die Debatten in Ihrer Ampel beschleunigen. Wir müssen endlich die Spielräume beim europäischen Arbeitszeitrecht nutzen. Wir wollen nicht, dass die Menschen länger arbeiten, wir wollen nicht, dass die Menschen weniger Pausen haben, sondern wir wollen, dass sie mehr Flexibilität bei der Verteilung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit haben. Das nennt man „Selbstbestimmtheit“. Das nennt man „moderne Arbeitswelt“.   

Handeln Sie entsprechend, und stimmen Sie unserem Antrag zu. 

Vielen Dank. 

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