Kommentar Dagmar Wöhrl 18.05.2016
Fluchtursachenbekämpfung – Warum das die wichtigste Vokabel in der Flüchtlingsdebatte sein sollte
Dagmar Wöhrl im Flüchtlingscamp
© Privat

Nur, wenn die Menschen eine Zukunftsperspektive haben, bleiben sie in ihrer Heimat, ist Dagmar Wöhrl, Vorsitzende des Auschusses für Entwicklungszusammenarbeit, überzeugt. Im Kommentar fordert sie noch mehr Engagement bei der Fluchtursachenbekämpfung.

Die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge ist in den letzten Wochen drastisch gesunken. Weder bedeutet dies, dass die Fluchtursachen verschwunden sind, noch dass wir bei unseren Anstrengungen in der Fluchtursachenbekämpfung nachlassen dürfen. Im Gegenteil, wir müssen unsere Bemühungen noch intensivieren. Der Konflikt in Syrien ist nicht beendet, die Situation in den umliegenden Staaten weiterhin sehr angespannt; in Afghanistan verschlechtert sich die Sicherheitslage und immer mehr Menschen aus Subsahara-Afrika kommen in Libyen an. Führen wir uns vor Augen: Libyen ist der neue Krisenherd, direkt gegenüber von Europa. Die Zahlen der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, steigen nach der Schließung der Balkan-Route wieder stark an. Seit Januar waren es schon knapp 30.000 Menschen. Mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2015. Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir die Herausforderungen in der Flüchtlingsfrage nicht nur durch das Schließen von Grenzen werden lösen können, denn die Flüchtlingsrouten werden sich jedes Mal wieder verändern. Auch mit Blick auf die Türkei dürfen wir uns nicht zu stark in die Abhängigkeit von anderen begeben, um die Zahlen der Flüchtlinge zu begrenzen, die zu uns kommen. Der Schlüssel zur Lösung liegt darum einzig und allein in der Fluchtursachenbekämpfung. Nur wenn wir den Menschen vor Ort eine wirkliche Zukunftsperspektive geben können, werden sie langfristig nicht ihre Heimat verlassen. Aber was kann Deutschland hier konkret unternehmen?

Wir fördern in den Herkunftsländern Bildung und Beschäftigung (Libanon), den Aufbau von Infrastruktur und Gesundheitswesen (Irak). Wir tragen bei der Wasserversorgung (Jordanien), dazu bei, dass die Kommunen nicht kollabieren. In Jordanien sollen bis Jahresende mit „Cash for Work“ 6.000 Jobs im Bereich Abfallbeseitigung geschaffen werden, im Libanon 13.000 Arbeitsplätze für die Sanierung von dringend benötigtem Wohnraum. Im Irak wollen wir 15.000 öffentliche Stellen für die Ausbesserung von Straßen und Dächern schaffen, in der Türkei 14.000 Jobs im Bereich Instandsetzung von Infrastruktur und Handwerk. Wichtig ist ein ausgewogener Mix aus schnell wirksamen und langanhaltenden Maßnahmen. Wir leisten auf der einen Seite Not- und Übergangshilfe um die unmittelbare Not der Flüchtlinge zu lindern. Auf der anderen Seite arbeiten wir an langfristigen Maßnahmen, die dazu dienen, die Widerstandsfähigkeit der Gemeinden für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu stärken. Damit die Menschen dort unter würdigen Bedingungen leben können, eine Zukunftsperspektive vor Ort erhalten und nicht weiter nach Europa ziehen müssen.

Ganz wichtig ist es, dass sich die Situation von letztem Jahr nicht wiederholt, wo die Lebensmittel für die Flüchtlinge in den Nachbarstaaten Syriens halbiert werden mussten, weil einige Staaten ihre zuvor gemachten Zusagen nicht eingehalten haben. Deutschland hält seine Zusagen vorbildlich ein. Wenn das alle tun, dann sind wir schon einen Schritt weiter. Alles andere wäre ein Schritt vom Wege.