12.03.2014
Sprache, Sozialisation, Familie und Wohnort sind entscheidender als der Pass
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Rede zur Aktuellen Stunde zum Optionszwang

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Zitat des dänisch-deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Erik Erikson lautet:

Identität, das ist der Schnittpunkt zwischen dem, was eine Person sein will, und dem, was die Welt ihr zu sein gestattet.

In Deutschland liegt dieser Schnittpunkt nah bei der einzelnen Person. Bei uns kann man sich weitgehend frei entscheiden, womit man sich identifiziert und wovon man sich abgrenzen möchte. Das ist ein Aspekt unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, auf den wir stolz sein können.

Die offizielle Staatsangehörigkeit kann kaum beeinflussen, wie der Einzelne innerhalb einer Gesellschaft wahrgenommen wird. An dem sozialen Phänomen, dass zum Beispiel ein Deutsch-Türke in der Türkei eher als Deutscher und in Deutschland eher als Türke wahrgenommen wird, wird auch die doppelte Staatsbürgerschaft wenig ändern. Für die Integration des Einzelnen sind Aspekte wie Sprache, Sozialisation, Familie und Wohnort weitaus entscheidender als der Pass. Letztendlich läuft es also auf die eigene, individuelle Entscheidung hinaus, wo jemand seine Heimat und seinen Lebensmittelpunkt sucht und finden möchte.

Das bisherige Optionsmodell ermöglicht jungen Migranten, genau diese Entscheidung im Alter zwischen 18 und 23 Jahren bewusst zu treffen. Die BAMF-Einbürgerungsstudie 2011 zeigt, dass diese Regelung vernünftig ist: 87 Prozent der Eingebürgerten sehen es als Vorteil, dass sie sich ihre Staatsbürgerschaft aussuchen durften. 76 Prozent sagen, dass diese Entscheidung sie in ihrer Lebensplanung nicht verunsichert hat. Rund 90 Prozent entscheiden sich für die deutsche Staatsbürgerschaft. – Angesichts solcher Werte ist der Vorwurf, es müssten hier unzumutbare Gewissensentscheidungen getroffen werden, nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Union wollte daher an den bestehenden Regelungen festhalten, und ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler – das zeigt das überzeugende Ergebnis – hat uns das Vertrauen geschenkt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Allerdings sind wir uns bewusst – das muss nicht immer Spaß machen –, was Regierungsverantwortung in einer Koalition bedeutet. Wir haben nun mit der SPD im Koalitionsvertrag einen Kompromiss bei der doppelten Staatsbürgerschaft geschlossen, und diesen Kompromiss sollten wir auch umsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen den faulen Kompromiss!)

– Das mag Ihr fauler Kompromiss sein; es ist unser Kompromiss. –

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht unser fauler Kompromiss, das ist Ihrer!)

Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich:

Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Aufgewachsene“? Damit meinen Sie doch § 40 b Staatsangehörigkeitsgesetz!)

– Sie können es nachlesen. –

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das kann man verschieden interpretieren, Ihren komischen Satz da!)

Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.

Der Bundesinnenminister hat nun mit dem Refe-rentenentwurf eine gute, praktikable und wortgetreue Umsetzung, so wie man es von ihm erwarten kann, vorgeschlagen. Er befindet sich noch in der Ressortabstimmung. Es bleibt jedem überlassen, daran mitzuarbeiten.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich komme gerne vorbei! Ich habe die Drucksachen sogar schon dabei!)

Wer in Deutschland einen Schulabschluss erworben hat oder bis zum 23. Lebensjahr mindestens zwölf Jahre in Deutschland gelebt hat, davon vier Jahre im Alter zwischen 10 und 16, soll von der Optionspflicht befreit werden. Über 90 Prozent der heute Optionspflichtigen würden diese Kriterien erfüllen, und sie bekämen somit die doppelte Staatsbürgerschaft.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Wieso brauchen wir das dann? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum brauchen wir das dann, wenn 90 Prozent die Kriterien erfüllen? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Leute machen dann 40 000 Verwaltungsakte, damit ein Türkenmädchen nicht Kanzlerin werden kann?)

Wenn es Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, also wirklich um die jungen Migranten und nicht nur um polemische Diskussionen geht, dann helfen Sie doch mit, Herr Beck, diesen vernünftigen und vertraglich vereinbarten Kompromiss umzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es liegt nämlich nicht an unserem ehemaligen Minister Friedrich, dass wir dieses Vorhaben nicht weiter betreiben. Wir haben es im Übrigen mit einer Affäre Edathy, nicht mit einer Affäre Friedrich zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Friedrich aufgenommen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Passen Sie auf, dass es nicht zu einer Affäre Strobl wird! – Gegenruf des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Herr Beck, das sind ja Drohungen!)

Diese Affäre kennt bisher nur ein einziges Opfer, und das ist das politische Opfer, Herr Friedrich. Es liegt an uns, an den Mitgliedern dieses Parlaments, die Regelungen, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind, auch umzusetzen.

Die Frankfurter Rundschau hat heute berichtet, dass auch die SPD-Fraktion keine Bundesratsmehrheit mehr für die rot-grüne Initiative sieht. Ich schließe daraus, dass man sich in der SPD nun bewusst ist, dass solche Initiativen schlicht und einfach keine vertrauensbildenden Maßnahmen darstellen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundesrat gehört doch nicht Ihrer Koalition!)

– Das mag sein, Herr Beck.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie instrumentalisieren den Bundesrat! – Gegenruf des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Das haben Sie doch 2000 gemacht!)

Trotzdem: Die SPD ist – davon gehe ich aus – eine in sich geschlossene Truppe, und das gilt auch für die SPD in den Bundesländern. Auch wenn es den Ländern unbenommen bleibt, sich dagegen zu positionieren, stellt dies nach unserer Auffassung keine vertrauensbildende Maßnahme dar.

Ich hoffe daher, Frau Högl, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass wir uns jetzt an die Umsetzung der Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag machen und damit für die jungen Migranten – das müsste auch bei den Grünen ankommen – eine Verbesserung herbeiführen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)