
Rede zum Mindestlohn
23.a) Zweite und dritte Beratung SPD
Gesetz über die Festsetzung des Mindestlohnes
(Mindeslohngesetz - MLG)
- Drs 17/4665 (neu) -
23.b) Beratung Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11.A)
zum Antrag B90/DIE GRÜNEN
Jetzt Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohns schaffen
- Drs 17/7483 -
23.c) Beratung Antrag DIE LINKE.
Mehrheitswillen respektieren - Gesetzlicher Mindestlohn jetzt
- Drs 17/8026 -
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst eine Richtigstellung an die Adresse des Kollegen Klaus Ernst von der Linkspartei. Sie haben vorhin das Plenum mit der Bezeichnung „Genossen“ angeredet. Das trifft zwar für einen Teil, aber zum Glück nicht für die weitaus meisten Mitglieder dieses Hauses zu. Sie haben hier nicht auf einem Parteitag der Linken geredet, sondern im Plenum des Deutschen Bundestages, dessen Mitglieder überwiegend keine Genossen sind.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber es werden mehr!)
Wir hoffen, dass das so bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir sind aber alle Zeitgenossen! „Genossen“ kommt von „genießen“!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die bisherige Debatte hat ergeben: Wir haben das gleiche Ziel, aber unterschiedliche Wege. Das Mindestlohnkonzept, das Sie, Herr Heil, vorstellen, ist nicht realisierbar. Lohnpolitik ist gerade nicht per se zuallererst Sozialpolitik. Das ist der entscheidende Fehler in Ihrem Entwurf.
Sehr geehrter Herr Heil, Sie haben in Ihrer Rede selbst ausgeführt, dass die Löhne existenzsichernd sein sollen. Dann stellt sich aber die Frage – auch darauf haben bereits einige Vorredner hingewiesen –, für wen sie existenzsichernd sein sollen: Für den Singlehaushalt? Kollege Vogel hat eben die 300 000 Singlehaushalte angesprochen, für die eine Lohnuntergrenze Sinn macht. Aber man muss natürlich wissen, dass beispielsweise eine vierköpfige Familie schon jetzt über Sozialleistungen mehr Geld bekommt, als mit den von Ihnen geforderten Mindestlohnhöhen – also 8,50 Euro bzw. 10 Euro – aus eigener Kraft verdient werden kann.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, da gibt es einen Kinderzuschlag! Gott sei Dank! Aber das spricht nicht dagegen!)
In Zukunft müsste es also auch nach Einführung von Mindestlöhnen ergänzende Sozialleistungen geben.
Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle das Bauhandwerk erwähnen. Hier wurde von einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung ein branchenspezifischer Mindestlohn eingeführt. Es gibt noch Kollegen unter uns – wie den Kollege Kolb –, die damals an der Einführung des Blüm’schen Mindestlohns mitgewirkt haben und jetzt als Zeitzeugen fungieren können. Dieser Mindestlohn war wichtig, um inländische Arbeitsplätze zu schützen und Dumpinglöhne zu verhindern. Sie sehen: Hier und auch in weiteren Branchen waren die Beweggründe, Lohnuntergrenzen einzuführen, nicht sozialpolitisch motiviert. Mindestlöhne stellen einen geordneten Wettbewerb her und gleichen negative externe Effekte einzelner Branchen aus.
Meine Damen und Herren der Opposition, wir haben auch über das Baugewerbe hinaus weitere zielführende Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, die bereits für viele Millionen Menschen Verbesserungen gebracht haben. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sorgt derzeit für zwingend gültige Arbeitsbedingungen in sage und schreibe elf Branchen und verhindert negative Auswirkungen auf die Lohnentwicklung von Geringverdienern.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reicht aber nicht!)
Ich möchte ausdrücklich festhalten: An der Einführung aller in diesen elf Branchen bestehenden Mindestlöhne war die Union beteiligt. Das heißt, die Union ist die Partei der Mindestlöhne. Die Union hat sich dafür eingesetzt und nicht Sie von den Oppositionsfraktionen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) – René Röspel [SPD]: Dass Sie dabei nicht rot werden!)
Neben dem Baugewerbe gehören dazu bereits die Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst, der Steinkohlebergbau, das Dachdeckerhandwerk
(Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
– das müssen Sie sich schon einmal anhören, Herr Heil –, das Elektrohandwerk, die Gebäudereinigung, das Maler- und Lackiererhandwerk, die Pflegebranche, Sicherheitsdienstleistungen und Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft. Seit dem 1. Januar 2012, also seit knapp drei Wochen,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das mussten wir Ihnen abringen!)
gilt für die rund 900 000 Beschäftigten in der Zeitarbeit ein Stundenlohn von mindestens 7,01 Euro im Osten und 7,89 Euro im Westen.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sind doch Aufstocker! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Davon kann man doch nicht leben, auch nicht im Osten! Das ist zu wenig!)
– Für Sie ist es immer zu wenig; das wird auch in der Zukunft so sein. – Da sind wir schon ziemlich nahe an Ihrer Forderung. Bei der Zeitarbeit ist uns wichtig, dass nach einer angemessenen Einarbeitungszeit – jetzt passen Sie einmal auf; da können Sie etwas hinzulernen – der gleiche Lohn für die gleiche Arbeit gezahlt wird.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Prima! Dann macht doch etwas!)
– Hören Sie zu, Herr Heil! Bleiben Sie mit den Füßen auf dem Boden! – Hier soll noch in den nächsten Monaten eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich bin begeistert! Ich applaudiere Ihnen!)
Ob der Bereich der Weiterbildung zukünftig auch aufgenommen wird, wird derzeit ebenfalls überprüft. Meine Damen und Herren, das ist der richtige Weg. Diesen Weg wollen wir für weitere Branchen eröffnen, und den Zugang dazu wollen wir erleichtern.
Schauen wir beispielsweise einmal nach Frankreich. In der Tat zeigen Studien – selbst wenn diese politisch wie wissenschaftlich zum Teil umstritten sind –, dass dort der monatliche Mindestlohn von 1 365 Euro – das entspricht einem Stundenlohn von 9 Euro; er liegt also zwischen den beiden Mindestlöhnen, die jeweils von Ihnen gefordert werden – nicht zu Arbeitsplatzverlusten führt. Allerdings muss man hier auch sehen, dass die Unternehmen, die die Minimumlöhne auszahlen, vom französischen Staat tatkräftig unterstützt werden. Die Subventionen für Sozialversicherungsbeiträge in Frankreich beliefen sich bereits im Jahr 2010 auf immerhin 30 Milliarden Euro.
Zudem darf hier nicht außer Acht gelassen werden, dass es durch die staatlichen Subventionen zu erheblichen Mitnahmeeffekten kommt und die Unternehmen sich bemühen, möglichst nur den niedrigen, subventionierbaren Mindestlohnsatz zu zahlen. Das heißt, dass sich die Höhe der Löhne in Frankreich durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes sogar nach unten entwickelt hat. Sollte der Staat seine Unterstützungszahlungen also nicht weiter leisten, so ist davon auszugehen, dass auch in Frankreich erhebliche Arbeitsplatzverluste drohen.
Nehmen wir das Beispiel Großbritannien; auch Großbritannien wird gern als Beispiel für einen gesetzlichen Mindestlohn angeführt. In Großbritannien gibt es immerhin 14 Ausnahmen beim bestehenden gesetzlichen Mindestlohn, unter anderem für alle Auszubildenden unter 19 Jahren, für Auszubildende zwischen dem 19. und dem 25. Lebensjahr im ersten Ausbildungsjahr, bei Praktika insgesamt, bei Praktika von Studenten, für Au-pairs, für Soldaten, für Fischer, für Gefangene, für freiwillig Dienstleistende, auch für Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die fahren auch anders auf der Straße als wir!)
Die Geltung des gesetzlichen Mindestlohnes in Großbritannien ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Man kann nicht sagen, dass die Mindestlohnregelung, die in Großbritannien gilt, bei uns den erwünschten Effekt hätte.
(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Schweizer Käse in England!)
Benachteiligt wären vor allem Geringqualifizierte.
Für die Mehrheit der in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten schon heute Tarifverträge; ich habe bereits darauf hingewiesen. Dass jedoch die Tarifbindung in der Vergangenheit abgenommen hat, konstatieren wir durchaus, Herr Ernst. Um soziale Verwerfungen in den Branchen zu verhindern, in denen keine Tarifverträge gelten oder Tarifverträge nur eine geringe Wirkungskraft entfalten, haben wir die Rechte der Tarifvertragsparteien ausgeweitet. Diese haben künftig neben den Möglichkeiten, die das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bietet, auch die Möglichkeit, branchen- und regionalspezifische Lohnuntergrenzen vorzuschlagen. Diese Vorschläge der Tarifvertragsparteien kann die Bundesregierung für verbindlich erklären und auch auf ausländische Arbeitnehmer erstrecken. Wir sind offen, diesen Prozess zu erleichtern. Wir wollen keine Billiglöhne. Wir wollen branchenspezifische Mindestlöhne. Wir wollen starke Tarifpartner und Gewerkschaften.
Vorhin wurde auch das Thema „Nachwirkungen von tarifvertraglichen Niedriglöhnen“ angesprochen. Hierzu darf ich festhalten: Um künftig zu verhindern, dass sich eine Tarifvertragspartei auf der Nachwirkung eines Tarifvertrages ausruht, um Haustarifverträge mit Niedriglöhnen ablösen zu können, soll die Nachwirkung von Tarifverträgen im Tarifvertragsgesetz auf ein Jahr beschränkt werden. Wir werden Verwerfungen und Fehlentwicklungen also auch da entgegenwirken.
Das Aushandeln der Löhne muss die Aufgabe der Sozialpartner sein und auch bleiben; denn eine funktionsfähige Tarifautonomie braucht starke Arbeitgeberverbände und starke Gewerkschaften. Nur mit einer starken Position können diese für ihre Mitglieder verbindliche und wirkungsvolle Abmachungen treffen. Wenn der Gesetzgeber die Tarifautonomie abschaffen würde, hätten wir Lösungen, die nicht den Verhältnissen in den Branchen und Regionen entsprechen würden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ist der Mindestlohn zu niedrig, ist sein Nutzen zur Armuts- und Ausbildungsabwehr gering. Ein zu hoher Mindestlohn wiederum zwingt Unternehmen dazu, mehr für Arbeit zu zahlen, als sie einbringt, und er wird zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen. Das wird Ihnen jeder, der vernünftig rechnen kann, bestätigen.
Kurz vor Ende meiner Rede möchte ich noch auf eine Aussage von Frau Kollegin Pothmer eingehen. Frau Pothmer, Sie haben vorhin ausgeführt, wir hätten der Bundesarbeitsministerin die Prokura für das Thema Mindestlohn entzogen; das war Ihre Formulierung. Bestätigen Sie das?
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entzogen!)
– Sehr gut. – Ich stelle fest: Wir haben sie der Bundesarbeitsministerin nicht entzogen. Wenn die Bundesarbeitsministerin unsere Arbeitsgemeinschaft in einen Arbeitskreis einbezieht, so ist das nur von Vorteil.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo ist sie denn?)
Frau Pothmer, ich dachte mir vorhin: Dieselbe Formulierung habe ich schon einmal irgendwo gelesen. Ich habe nachgeschaut. Im Handelsblatt steht ein Zitat von Herrn Kollegen Heil. Sie haben Herrn Heil zitiert, ohne dies kenntlich zu machen. Man sollte Zitatstellen kenntlich machen, meine Damen und Herren.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Guttenberg!)
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen alles Gute.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)