Rede zur Förderung von Bildung und Ausbildung in der Entwicklungspolitik
- Drs 16/9424 -
Wenn man sich die Frage stellt, was die Kernfaktoren sind, die Entwicklung wirklich voranbringen, so wird man als wichtigsten Schlüsselfaktor die Bildung identifizieren. Bildung ist der Schlüsselfaktor für erfolgreiche nachhaltige Entwicklung und das Fundament aller anderen Säulen unserer Entwicklungszusammenarbeit und für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Für die unionsgeführte Entwicklungspolitik war Bildung daher auch traditionell einer der drei Schwerpunkte.
Die Weltgemeinschaft hat die Bedeutung der Bildung mit der Milleniumserklärung unterstrichen und strebt an, es bis zum Jahr 2015 zu ermöglichen, dass alle Kinder auf der Welt – Mädchen wie Jungen – eine Grundschulausbildung erhalten. Bei der Weltbildungskonferenz in Dakar im Jahre 2000 haben die 180 teilnehmenden Staaten sechs Ziele verabschiedet, um „Bildung für alle“– Education For All, EFA – bis zum Jahre 2015 erreichen zu können. Obwohl es unbestreitbar Erfolge bei der Bildungszusammenarbeit gibt – so besuchten im Jahr 2005 rund 24 Millionen Kinder mehr die Grundschule als noch 1999 –, ist die Bildungssituation in vielen Ländern weiterhin sehr besorgniserregend. Noch immer können 780 Millionen Menschen weltweit nicht lesen und schreiben, und fast 80 Millionen Kinder besuchen keine Grundschule.
Neben der klassischen Entwicklungszusammenarbeit muss die Bildungszusammenarbeit auch eine größere Rolle in der Unterstützung von Nachkriegsregionen, in Flüchtlingslagern und in sogenannten „failing oder failed states“ einnehmen. Nur so können dort Friedens- und Entwicklungsperspektiven eröffnet werden. Diese Gebiete und Staaten sind durch ein sehr geringes Bildungsniveau gekennzeichnet.
In den ärmsten Entwicklungsländern bricht jedes vierte Kind die Schule vorzeitig und ohne Abschluss ab. Für Millionen von Grundschulabsolventen steht kein weiterführendes Bildungsangebot zur Verfügung. Über den Zugang zur Grundbildung hinaus ist es daher wichtig, die Abbrecherquoten abzusenken und zusätzliche Bildungsperspektiven zu eröffnen. Der Bildungssektor muss in seiner Gesamtheit als Querschnittsaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit verankert werden. Sekundarschulbildung, akademische Bildung und die berufliche Aus- und Fortbildung sind wichtige Kernelemente, um die Entwicklungspotenziale unserer Partner zu optimieren.
Die Unterstützung des Bildungssektors muss darauf abzielen, ein angepasstes, bedarfsgerechtes und kohärentes Bildungssystem aufzubauen bzw. fortzuentwickeln. Es gilt dabei, in einem übergreifenden Ansatz Mechanismen und Strukturen formeller und non-formaler Bildungsangebote für die frühkindliche Bildung, die Grundbildung, die Sekundarschulbildung, die akademische Bildung, die berufliche Aus- und Fortbildung und die Erwachsenenbildung ebenso zu etablieren wie die dazu erforderlichen Voraussetzungen für die Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur und der dazu notwendigen Lehrkräfte sowie deren Aus- und Fortbildung.
Alle konzeptionellen Ansätze der Bildungsunterstützung müssen – auch im Rahmen übergeordneter Armutsbekämpfungsstrategien – zwischen Partnern und Gebern eng abgestimmt und verzahnt werden. Auch darf die Unterstützung nicht dazu führen, dass bestimmte Landesteile bevorteilt bzw. benachteiligt werden. Maßnahmen der Bildungsunterstützung sind nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn die weitere Finanzierung auch nach dem Rückzug der Geldgeber abgesichert ist. Entsprechende Strategien müssen bereits bei der Konzeption der Maßnahmen integraler Bestandteil der Planungen und Vereinbarungen sein.
Schwierige wirtschaftliche Bedingungen und fehlender Zugang zu Bildung sind Faktoren, die Menschen für radikal religiöse und politische Heilslehren anfällig machen können. Um den Herausforderungen des Extremismus oder religiösen Fundamentalismus zu begegnen, sollten in Risikogebieten die Zusammenarbeit im Bildungsbereich als ein sektorübergreifendes Anliegen verstanden und staatliche Bildungssysteme gestärkt werden, damit sie attraktive Alternativen zu einem fundamental religiös geprägten Bildungsangebot werden.
Voraussetzung für alles weitere Lernen ist eine solide Grundbildung. Investitionen in Grundbildung sind Investitionen für eine nachhaltige Entwicklung durch eigenverantwortlich handelnde Menschen. Noch immer herrscht eine sehr ungleiche Verteilung der Grundbildungsangebote zwischen Land und Stadt. Um den Bereich der primären Bildung voranzubringen, sind mehr regionale und praxisorientierte Ansätze notwendig. Zur Überwindung der den Schulbesuch hemmenden Faktoren müssen angepasste Anreizstrategien – zum Beispiel Anpassung der Ferien, an den landwirtschaftlichen Kalender, Erhöhung der Schuldichte, Schulspeisung – identifiziert und umgesetzt werden.
Es gilt zudem, Anreize für Lehrpersonal zu schaffen, einen Lehrauftrag an abgelegenen Standorten aufzunehmen. Beim Ausbau der Schulsysteme und Einrichtungen müssen die Faktoren Quantität und Qualität ineinandergreifen. Neben den Einschulungsraten ist verstärkt auf die Abschlussraten zu achten. Vermitteltes Wissen sollte durch Qualitätskontrollen und Leistungstests kontrolliert werden.
Nach der Grundschule müssen den Schülerinnen und Schülern weiterführende Bildungsangebote zur Verfügung stehen. Daher muss darauf geachtet werden, auch angepasste und leistungsfähige Sekundarschulstrukturen – insbesondere im ländlichen Raum – auf- bzw. auszubauen. Zielsetzung muss dabei sein, ein Sekundarbildungsangebot zu etablieren, welches sowohl die Basis für ein selbstbestimmtes Leben der Jugendlichen schafft und die für die Landesbedürfnisse notwendige Ausbildungsfähigkeit in praktischen Berufen sicherstellt als auch die Qualifikation für eine weiterführende technische oder akademische Weiterbildung vermittelt sowie die Beschäftigungsfähigkeit verbessert.
Der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften für Produktion. Handel und Dienstleistungen ist ein wichtiger hemmender Faktor für die Entwicklung in vielen Entwicklungsländern. Der Aufbau angepasster Berufsausbildungssysteme in enger Kooperation mit der örtlichen Wirtschaft ist daher eine große Herausforderung für viele Partner und damit für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Berufliche Bildung hat in der Entwicklungszusammenarbeit zwei wichtige Zieldimensionen: Sie unterstützt die Entwicklung und Erschließung von Wachstumspotenzialen insbesondere der modernen Wirtschaft, und sie befähigt gleichzeitig die Menschen zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihres Lebens und der Arbeit.
Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Eröffnung von Perspektiven für die Beschäftigen des non-formalen Sektors, für junge Erwachsene und Menschen, denen es nicht möglich war, am formalen Bildungssystem teilzuhaben. Bei der Stärkung einer Brückenfunktion hin zu Zugängen in den formalen Bildungsbereich haben Nichtregierungsorganisationen und Kirchen solide Kompetenzen.
Die lokale Anpassung des deutschen Systems der dualen Berufsausbildung kann bei der beruflichen Bildung wichtige Impulse liefern, wird aber erfahrungsgemäß nicht immer eine angepasste Lösung für die spezifischen Bedürfnisse eines bestimmten Landes darstellen. Wichtig ist aber die Herausbildung einer engen Kooperation von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
Für die ausgebildeten Fachkräfte ist es wichtig, Zugang zur Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen, damit sie mit den schnelllebigen Entwicklungen Schritt halten können. Dazu sind die Etablierung neuer und der Ausbau bestehender Bildungseinrichtungen sowie die Herstellung von Kooperationen mit entsprechenden Einrichtungen in Deutschland und anderen Industrieländern wichtige Elemente. Über das Instrument der privaten-öffentlichen Partnerschaften sollte auch die Einrichtung überbetrieblicher Bildungseinrichtungen über die Industrie- und Handelskammern oder die Handwerkskammern angestrebt werden.
Nachhaltige Bildungssysteme können nur dann etabliert werden, wenn die Partner mittelfristig auch ohne Hilfe der Geber selbstständig ausbilden können. Ohne gute akademische Bildungseinrichtungen – Universitäten und Fachhochschulen – vor Ort ist dies nicht möglich. Ein wichtiger Aspekt der Bildungszusammenarbeit ist daher auch die Intensivierung der Zusammenarbeit im Hochschulbereich. Neben der Stärkung von Hochschulbildung als Querschnittsbereich sollte auch eine Vernetzung der Hochschulen in und zwischen Entwicklungsländern stärker gefördert werden, um einen lebhaften Wissenstransfer innerhalb eines Landes oder einer Region zu gewährleisten. Auch die Gründung deutscher Universitäten in Entwicklungsländern sollte als strategische Option gezielt vorangetrieben werden.
Hochschulen übernehmen eine Verbindungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft und begleiten gesellschaftliche und politische Reformprozesse. Bei der Hochschul- und Wissenschaftskooperation können daher Synergieeffekte erzielt werden, wenn Brücken zu den anderen Sektoren der Entwicklungszusammenarbeit geschlagen werden. Mit dem Instrument Public-Private-Partnership – PPP – können die in Entwicklungsländern angesiedelten Verbände und Unternehmen dabei unterstützt werden, Ausbildungszentren und Hochschulen vor Ort zu initiieren und auszustatten. Die Einrichtung von grenzüberschreitenden Studiengängen mit möglicher Vernetzung zu regionalen Forschungsnetzwerken stellt ein geeignetes Instrument für die ressortübergreifende Förderung von Hochschulkooperationen in Schwellenländern dar, die es auszubauen gilt.
Die Förderung von Stipendiaten aus Entwicklungsländern und die Vertiefung der Wissenschaftskooperation zwischen den universitären Einrichtungen erhöhen das Bildungsniveau und festigen die Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten zum gegenseitigen Vorteil. Kooperationen deutscher Universitäten und Forschungsinstitute mit Partnern in Entwicklungsländern sind wegen des damit verbundenen Aufbaus von Kontakten zur wissenschaftlichen Lösung globaler Probleme – Klima, Gesundheit und andere – notwendig, aber auch von Vorteil für die deutsche Wirtschaft. Ein wichtiges Element der Kooperationen ist die Verstetigung der wissenschaftlichen und persönlichen Kontakte sowie des gegenseitigen Austauschs durch eine intensivierte Pflege der Alumni-Netzwerke.
Gleich, welche Bildungsstufe durchlaufen wurde, sollen die Menschen dadurch in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Einkommen zu erwirtschaften, damit erworbenes Wissen und Fähigkeiten dem jeweiligen Partnerland nachhaltig erhalten bleiben. Es gilt, die Abwanderung von qualifizierten Kräften mit ihrem Wissen – sogenannter Brain Drain – zu vermeiden. Dazu sind Anreize zu schaffen, qualifizierte Menschen dort zu beschäftigen, wo sie am nötigsten gebraucht werden: im eigenen Land.
Wir sollten uns bei der Entwicklungszusammenarbeit im Bildungsbereich auch der Akteure besinnen, die nicht im engeren Sinn Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sind. Wir müssen alle Potenziale ausloten, die Erfahrung der deutschen Auslandsschulen und der Goethe-Institute zur Stärkung der Bildungssysteme unserer Partner zu nutzen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass es auch einen Bereich gibt, wo wir die Bildung unserer Bürger, voranbringen müssen. Dies ist die entwicklungspolitische Bildung. Sie soll unseren Bürgern die Herausforderungen in den Entwicklungsländern und die Instrumente zur Bewältigung dieser Herausforderungen in der Einen Welt zur Sicherstellung von Frieden und Wohlstand verdeutlichen. Wir sollten gemeinsam mehr tun, den Zugang zu diesen Bildungsangeboten zu erweitern.