01.10.2020
Dr. Georg Nüßlein: Lieferketten bei kritischen Medikamenten wieder zurück nach Europa holen
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Redebeitrag zum Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Es war ja vorhersehbar – ich habe es an dieser Stelle schon mal gesagt –: Die AfD hat zum Thema Corona von Anfang an zwei Sprechzettel gehabt. Gemeinsam an diesen beiden Sprechzetteln ist: „Wir haben es besser gewusst.“ Das steht da ganz oben. – Dann kommt, je nachdem, wie es gelaufen ist, ob gut oder schlecht, die Geißelung der Regierung, man hätte zu wenig gemacht oder man hätte zu viel gemacht.

(Peter Boehringer [AfD]: Schauen Sie mal in den Spiegel! – Weitere Zurufe von der AfD)

– Hören Sie zu. Schreien Sie doch nicht. Hören Sie zu. Sie lernen was dabei; aber es wird nichts helfen.

(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])

– Ich habe es an der Stelle schon mal gesagt. Genauso machen Sie das. Wenn Sie sich heute Frau Malsack-Winkemann angehört haben, dann werden Sie gemerkt haben, dass ich recht habe. Sie haben zwei Sprechzettel. Ich weiß nicht, ob Sie den zweiten Sprechzettel zu früh gezogen haben, auf dem steht: Es ist glimpflich verlaufen; darum war das alles Panik.

(Dr. Roland Hartwig [AfD]: Sie sind nicht auf einem aktuellen Stand! Sie müssen mal unsere Programme lesen! – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Programme? – Weiterer Gegenruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie wollten im März den Bundestag zusperren!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Überwiegend hat jetzt der Kollege Nüßlein das Wort.

(Stephan Brandner [AfD]: Dann soll er reden!)

 

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Ich würde gerne überwiegend dazu reden. – Ich habe die Rede von Frau Malsack-Winkemann verfolgt.

(Dr. Axel Gehrke [AfD]: Reden Sie doch mal!)

– Hören Sie mal: Sie spricht von Toten und von schnell mutierenden Viren und sagt, das ist alles nicht so schlimm. Ich meine, das Ganze muss man erst mal nachvollziehen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie ziehen das Thema hier in den Schmutz und tun so, als ob das alles gar keines wäre, und Sie erleben doch das Gegenteil. Man kann natürlich darüber diskutieren: Warum ist dieses Land so glimpflich durch die Krise gekommen? Darüber kann man eine sinnvolle und gute Diskussion führen. Ich rege an dieser Stelle ausdrücklich an, dass wir uns mit dieser Thematik ganz ausführlich beschäftigen sollten. Die Antwort auf diese wichtige Frage können wir alle miteinander noch nicht fundiert geben. Was wir aber sehen, ist, dass das ganze Thema, dass sich dieser Schock, der sich da entwickelt hat, auf unsere Wirtschaft auswirkt, dass er Geld kostet.

Wir haben gerade in voller Breite über die Frage diskutiert: Wer bezahlt was? Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus mehrheitlich darüber einig, dass man die Krankenversicherungsbeiträge stabilisieren muss. Ich glaube, wir sind uns einig, dass es dazu eines Steuerzuschusses bedarf.

(Stephan Brandner [AfD]: Aber wer bezahlt das denn?)

Über die Höhe könnten wir auch diskutieren.

(Stephan Brandner [AfD]: Wer bezahlt das denn?)

Wir hätten uns auch mehr gewünscht. Das ist am Bundesfinanzminister gescheitert. Deshalb gibt es nichts anderes, als letztendlich die Finanzreserve der Kassen entsprechend zu belasten, und zwar mit 8 Milliarden Euro.

Meine Damen und Herren, eines stimmt übrigens auch: Das ist nicht das Geld der Krankenkassen, sondern das sind Beitragsgelder.

(Stephan Brandner [AfD]: Ach was?)

Deshalb macht es Sinn, sie zur Gesundheitsfinanzierung heranzuziehen. Das ist vollständig schlüssig. Uns muss es darum gehen, aufzupassen, dass wir nicht die Kassen unnötig belasten, die gut gewirtschaftet haben, dass wir das also auch unter diesem Aspekt richtig machen. Ich glaube, auch da sind wir auf dem richtigen Weg.

Was die Lehren aus Corona angeht, haben wir einen Punkt ganz nach vorne gesetzt: Das ist das Thema „Digitalisierung im Gesundheitswesen“. „Mister App“, Jens Spahn, hat in einer besonderen Weise schon sehr, sehr früh in diese Richtung gewirkt. Wir haben das notwendige Geld zur Verfügung gestellt. Aber leider – das muss man auch mal deutlich sagen – bedarf es in diesem Land einer Pandemie, um die Widerstände der Beteiligten erheblich zu reduzieren.

Das Thema Telemedizin ist, erst seitdem es ein Ansteckungsrisiko gibt, in diesen Kreisen akzeptierter. Das ärgert mich – das sage ich Ihnen ganz offen –, weil ich glaube, dass damit eine Menge Möglichkeiten verbunden sind: bei der Thematik der Dezentralisierung, bei der Diagnostik, bei der Heranziehung von Zentren, auch in den Bereichen der ländlichen Versorgung, die ich persönlich für wichtig halte.

Meine Vorrednerin hat kritisiert, dass wir die Krankenhausreform noch nicht ganz so weit getrieben haben, wie wir das alle miteinander gern gemacht hätten. Das stimmt. Ich sage Ihnen aber: Auch da ist die Lehre aus Corona eine wichtige: Es gilt, die flächendeckende – auch die ländliche – Versorgung nicht zu verachten und das Thema nicht nur unter dem Gesichtspunkt angeblich überflüssiger Krankenhausbetten zu diskutieren. Das halte ich für ganz entscheidend.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass das etwas ist, was wir entsprechend weitertragen müssen.

Am Rande möchte ich darauf hinweisen, dass mich der fehlende Überblick der Länder über intensivmedizinische Beatmungskapazitäten schon etwas überrascht hat; das muss ich ganz ehrlich sagen. Wenn man diesen Überblick nicht hat, dann frage ich mich, wie Krankenhausplanung tatsächlich funktionieren soll. Trotzdem glaube ich, dass wir bei einer Reform, die wir vermutlich nicht mehr in dieser Legislatur angehen können, durchaus die Frage beantworten müssen, wie wir das Thema Grundversorgung neu adressieren und – das ist das Schwierigste – wie wir die Schnittstelle „ambulant/stationär“ neu definieren.

Es wurde das Problem, das wir mit der Schutzkleidung hatten, angesprochen. Das stimmt, meine Damen und Herren. Wir haben daraus die Konsequenzen gezogen und sagen: Wir wollen Produktion nach Deutschland zurückholen. Ich gehöre zu denen, die sagen: Auch bei kritischen Medikamenten müssen wir Lieferketten wieder zurück nach Europa holen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das ist ein wichtiges Thema. Über die Ausschreibung der Rabattverträge können wir auch dafür Sorge tragen, dass die, die solche Lieferketten nachweisen können, die Chance auf einen entsprechenden Zuschlag haben. Wenn man diesen frühzeitig in Aussicht stellt, meine Damen und Herren, dann finden sich solche Kapazitäten auch wieder in Europa ein.

Ich will eines vermeiden: dass wir irgendwann mal dastehen und feststellen: Jetzt sind wir in einer schwierigen Situation. Asien beliefert uns nicht. Die Medikamentenversorgung in Deutschland bricht zusammen. – Deshalb ist das ein Thema, das auf die Agenda gehört, spätestens in der nächsten Koalition, spätestens in der nächsten Regierung. Vielleicht klappt es auch schon jetzt. Wenn ich mir den Applaus der SPD-Kolleginnen und ‑Kollegen anschaue, dann macht es mich zuversichtlich, dass wir da frühzeitig noch etwas tun können.

Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)