02.07.2020
Fritz Güntzler: Wir brauchen eine lückenlose Aufklärung der Sachverhalte
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Redebeitrag zum Fall Wirecard

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Enron, FlowTex, Comroad, jetzt Wirecard – alles Bilanzskandale, die den Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit beschäftigt haben. Aber die Besonderheit dieses Falles ist, dass es zum ersten Mal ein DAX-Unternehmen im sogenannten Premiumsegment der Deutschen Börse betrifft. Ein solcher Fall ist für mich – Lothar Binding hat es eben auch schon gesagt – eigentlich unvorstellbar. Es handelt sich um ein Unternehmen mit 6 000 Mitarbeitern an 26 Standorten, ein vermeintliches Vorzeigetechnologieunternehmen mit Sitz in Deutschland. Wir waren alle ein wenig stolz, ein solches Unternehmen vorweisen zu können. Aber wir sehen, was daraus geworden ist: Im September 2018 ist es in den DAX aufgenommen worden – und nun diese Situation, die dazu führt, dass das Vertrauen in die Kapitalmärkte schwerstens erschüttert ist.

Von daher – das haben, glaube ich, alle Redner hier in der Aktuellen Stunde heute herausgestellt – brauchen wir eine lückenlose Aufklärung der Sachverhalte, die dazu geführt haben, dass es zu dieser Insolvenz und zu den Verlusten bei den Anlegern gekommen ist. Ich bin da beim Kollegen Binding: Wir stehen da ganz am Anfang. Der Titel der Aktuellen Stunde heißt: „Versagen von Aufsicht und Wirtschaftsprüfung aufklären“. Da ist ja schon eine Unterstellung enthalten. Dass das nicht toll ist, was da ans Tageslicht gekommen ist, ist klar. Aber was dazu geführt hat, müssen und können wir erst dann analysieren, wenn wir genau wissen, was los ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Derzeit wissen wir ja gar nicht, wo die 1,9 Milliarden Euro sind, ob die überhaupt existiert haben. Ist nicht vielleicht sogar Wirecard der Betrogene? Ich glaube das eher nicht, aber theoretisch denkbar wäre eine solche Konstellation auch.

Von daher sollten wir die sorgfältige Aufklärung abwarten. Diese sollte möglichst zügig erfolgen. Da erwarte ich von der Bundesregierung in Gänze, aber insbesondere vom BMF, dass dies zügig geschieht. Ansonsten haben wir parlamentarische Mittel – ein paar sind hier heute schon genannt worden –, die wir nutzen könnten, um dann weiter voranzugehen.

Eines kommt mir in der Debatte eigentlich zu kurz: Wir reden viel über die Polizei, die den Einbrecher nicht gefangen hat, aber nicht über denjenigen, der den Einbruch vorgenommen hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Verantwortung für das Unternehmen, dafür dass es keine Unterschlagung und kein Fraud in den Unternehmen gibt,

(Zuruf des Abg. Johannes Schraps [SPD])

tragen zunächst die Organe der Gesellschaft. Das ist hier der Vorstand, aber insbesondere auch der Aufsichtsrat. Über den Aufsichtsrat der Wirecard ist bis jetzt kaum gesprochen worden.

Es gibt ja den Deutschen Corporate Governance Kodex, an den sich jede deutsche Aktiengesellschaft zu halten hat. Da sind Dinge aufgeführt, die bei Wirecard alle nicht gemacht worden sind. Abschluss vorlegen nach  90 Tagen: nie erfüllt worden. Die hatten bis vor fünf Jahren einen Aufsichtsrat mit drei Mitgliedern. Die hatten keinen Prüfungsausschuss. Jetzt haben sie fünf Mitglieder im Aufsichtsrat. Ein Unternehmen dieser Größenordnung mit fünf Aufsichtsräten alleine zu überwachen, halte ich für sehr schwierig. Von daher hätte man vielleicht schon viel früher auch bei diesen Punkten hinsehen sollen.

Ein Punkt ist auch, dass man selbstkritisch guckt, ob man alles richtig gemacht hat. Über das zweistufige Prüfverfahren der BaFin ist ja gesprochen worden. Ich bin da ganz beim Kollegen Schäffler: Ich finde, die BaFin macht sich da einen ziemlich schlanken Fuß, einfach zu sagen: Wir hätten keine Möglichkeit gehabt. – Ein Blick ins Gesetz hilft dabei: Nach § 108 Wertpapierhandelsgesetz – das hat Kollege Schäffler eben schon mal ausgeführt – hätte die BaFin als Wertpapieraufsicht zugreifen können.

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Das ist richtig!)

Sie hat es nicht getan. Wenn man davon ausgeht, dass die DPR zu lange geprüft hat – dazu kann ich gleich vielleicht noch was sagen –, dann hätte man die Möglichkeit gehabt. Aber man kann sich jetzt nicht einfach rausreden und sagen: Wir hatten gar keine Möglichkeit.

(Frank Schäffler [FDP]: So ist es!)

Die zweite Baustelle – Stichwort: Finanzholding – ist auch ein interessantes Thema. Aber da frage ich mich:

Warum hat die BaFin den Gesetzgeber nicht kontaktiert

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und uns mal gesagt: „Das ist ein Problem; gestaltet die Regelung so, dass es eine Finanzholding wird“?

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Verschwiegenheit!)

Immer hinterher zu kommen, warum sie was nicht hat machen können, halte ich für schwierig. Von daher muss die BaFin beobachtet werden und müssen genau die Reformen, die hier angesprochen wurden, durchgesetzt werden.

Zur DPR. Dazu kann man viel sagen. Es kommt mir vor, als wenn es hier ein Bauernopfer gegeben hat, so schnell, wie man diesen Vertrag gekündigt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für mich ist auffällig: nicht mit sofortiger Wirkung, sondern mit Wirkung zum 31. September 2021. – Also die sollen, obwohl sie so schlecht sind, trotzdem noch weiterarbeiten. Das halte ich für verfehlt.

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Die war nicht zuständig! – Frank Schäffler [FDP]: Was ist denn in der Zwischenzeit?)

Ich glaube, dass die DPR in ihrem Rahmen richtige Arbeit gemacht hat. Das Problem ist: Wir haben ihr die falschen Instrumente gegeben. Sie kann ja überhaupt keine Zwangsmaßnahmen ergreifen. Sie ist auf die Kooperation der Unternehmen angewiesen. Von daher ist vielleicht die Lösung – die DPR als privatrechtlicher Verein ohne diese Instrumente – nicht die richtige; darüber können wir ja reden. Aber jetzt denjenigen, dem man keine Werkzeuge zum Handeln gibt, zum Schuldigen zu erklären, halte ich doch für sehr problematisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])

Abschließend vielleicht noch ein Wort zu den Wirtschaftsprüfern. Man ist als Berufskollege natürlich sehr betroffen, wenn so was passiert. Man sieht ja schon, dass es da ein paar Schwierigkeiten gab. Ich empfehle mal, den Bestätigungsvermerk zum Konzernabschluss 2018 zu lesen. Dort sind die Dinge schon als umfassender Prüfungssachverhalt geschildert; aber anscheinend hat man daraus keine Konsequenzen gezogen. Das muss man sich noch mal ein bisschen näher angucken.

Aber das wird sich auch die APAS angucken. Wir haben ja extra eine staatliche Stelle geschaffen, die die Wirtschaftsprüfer bei diesen kapitalmarktorientierten Unternehmen beaufsichtigen soll. Da ist natürlich spannend, was die gemacht haben.

Das Problem, das wir in all diesen Bereichen haben, ist: Alle sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. – Von daher ist es gar nicht so einfach mit der Aufklärung; denn die DPR kann nichts sagen, die APAS kann nichts sagen, EY kann nichts sagen. Da haben wir ein größeres Problem.

Eine letzte Bemerkung zu der Haftungsfrage. Die Haftung ist nicht bei 4 Millionen Euro gedeckelt; ich höre das immer wieder. Im HGB ist geregelt: Das gilt nur bei Fahrlässigkeit. – Wenn das wirklich zu einem Fall führt, glaube ich nicht, dass nur Fahrlässigkeit vorliegt, und dann ist die 4-Millionen-Grenze weg. Dann hätte EY  ein anderes Problem. Ich hoffe mal für die Kollegen, dass dem nicht so ist.

Jetzt danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich hoffe, dass wir gemeinsam an dem Fall kräftig arbeiten werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Schäffler [FDP])