Michaela Noll: Wir brauchen mehr Organspenden
©

Rede in der Debatte zu Organspenden

Wir beschäftigen uns heute mit einem sehr wichtigen Thema, einem Thema, das für viele Menschen sogar überlebenswichtig ist: der Organspende.

Die Anzahl der postmortalen Organspenden ist in Deutschland seit dem Jahr 2010 um mehr als 30 Prozent zurückgegangen. Die Organspenden sind damit auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Täglich sterben drei Menschen in Deutschland, weil sie ein Organ nicht rechtzeitig bekommen haben. Zahlen, die mich angesichts immer besser werdender technischer und medizinischer Möglichkeiten der Organentnahme sehr traurig stimmen.

Angesichts dieses eklatanten Rückgangs der Organspenden ist eine grundlegende Debatte über eine mögliche Neuregelung des Entscheidungsverfahrens dringend geboten. Ich bin sehr froh, dass wir heute mit dieser dreistündigen Debatte den ersten Aufschlag machen und Sichtweisen und Argumente austauschen. Und bei aller Unterschiedlichkeit der Argumente – in einem Punkt werden wir uns einig sein: Wir brauchen mehr Organspenden!

Jede Organspende rettet Menschenleben, lindert Leiden, verbessert die Lebensqualität. Es ist also höchste Zeit, dass wir uns Gedanken darum machen, wie wir die Spenderzahlen wieder erhöhen können.

Auf dem Tisch liegen zwei Vorschläge, um dieses Ziel zu erreichen: die doppelte Widerspruchslösung, bei der zunächst jeder als Organspender gilt, es sei denn, er oder Angehörige widersprechen ausdrücklich. Die andere Lösung sieht vor, grundsätzlich an der bestehenden Regelung festzuhalten, die die aktive Zustimmung jedes Einzelnen erfordert.

Würden Sie mich heute fragen, welche Lösung ich bevorzuge, so würde ich sagen: die Entscheidungslösung. Ich möchte, dass die Menschen sich ganz bewusst dazu bereit erklären, ihre Organe zu spenden. Eine so persönliche, über den Tod hinausgehende Entscheidung kann in meinen Augen nicht mit einem „Wer sich nicht äußert, stimmt zu“, nicht durch bloßes Schweigen getroffen werden. Denn das würde auch bedeuten, dass jemand gegen seinen Willen zum Organspender werden könnte, nur weil er sich zu Lebzeiten nicht dezidiert dagegen ausgesprochen hat.

Zunächst sollten wir den Ursachen für den Rückgang der Organspenden auf den Grund gehen. Zum einen liegt es sicher an den organisatorischen Abläufen in den Klinken. Das hat eine Studie des Uniklinikums Schleswig-Holstein ergeben und wurde mir kürzlich auch von einem Transplantationsmediziner bestätigt. Deshalb wird es entscheidend sein, die Prozesse, die mit einer Organspende zusammenhängen, zu optimieren.

Gleichzeitig muss aber auch die Spendenbereitschaft erhöht werden. Über 80 Prozent der Deutschen stehen einer Organspende positiv gegenüber. Die grundsätzliche Bereitschaft ist also da. Aber warum haben dann nicht 80 Prozent der Menschen einen Organspendeausweis, sondern nur 36 Prozent?

Zum einen liegt es sicher daran, dass wir Menschen uns ungern mit dem Thema beschäftigen – aus Angst oder weil wir es schlicht verdrängen. Wer gesund ist, denkt nicht gerne an Krankheit oder Tod. Die meisten von uns können sich gar nicht vorstellen, jemals in eine Situation zu kommen, in der sie auf eine Organspende angewiesen sind oder in der sie als Organspender infrage kommen.

Zudem spüre ich in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern mitunter eine große Verunsicherung. Für sie sind zu viele Fragen offen. Sie haben nur eine ungefähre Vorstellung vom „Hirntod“ und ob dieser zweifelsfrei festgestellt werden kann. Sie haben Angst davor, dass ihnen ihre Organe entnommen werden, wenn sie „noch gar nicht richtig tot sind“, oder davor, dass die Ärzte sie früh sterben lassen, wenn sie einen Organspendeausweis haben. Hier ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit erforderlich. Nur wenn wir Ängste nehmen und Fakten klar benennen, werden sich die Menschen bereit erklären, ihre Organe zu spenden.

Eine bewusste Entscheidung setzt voraus, dass man sich Gedanken zu einem Thema macht. Deshalb ist es gut, dass wir heute ausgiebig über die Organspende sprechen. Ich hoffe, dass es viele Menschen dazu veranlasst, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Nur dann kann man selbstbestimmt entscheiden, was im Fall der Fälle mit seinem eigenen Körper geschehen soll. Das schulden wir auch unseren Angehörigen, die wir nach Möglichkeit nicht mit dieser schwierigen Entscheidung alleine lassen sollten – zumal diese in einer emotionalen Ausnahmesituation zu treffen wäre.

Gedanken sollten sich auch Urlauber machen, die im Sommer gerne nach Spanien, Portugal, Österreich oder in die Türkei reisen. Hier wie auch in vielen weiteren Ländern gilt die Widerspruchslösung – und zwar auch für deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die sich in dem jeweiligen Land aufhalten. Ich würde deshalb jedem Reisenden ans Herz legen, einen Organspendeausweis in der Landessprache auszufüllen und stets mit sich zu tragen, damit die ganz persönliche Entscheidung, keine Organe spenden zu wollen, auch im Ausland Beachtung findet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum jetzigen Zeitpunkt überzeugt mich die Widerspruchslösung nicht. Für mein Dafürhalten ist es immer noch besser, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und sich dann gegebenenfalls auch dagegen zu entscheiden, als sich seine Entscheidung durch bloßes Schweigen aus der Hand nehmen zu lassen. Aber wir stehen am Anfang der Debatte. Ich werde dieser aufmerksam folgen, mir die Argumente beider Seiten anhören und dann meine endgültige Entscheidung treffen.

Das Wichtigste ist nun, offen und ehrlich das Für und Wider beider Lösungsvorschläge zu diskutieren und die Bürgerinnen und Bürger einzuladen, diesen Prozess zu begleiten.

Diskussion schafft Bewusstsein. Und ich hoffe, dass diese Diskussion auch dazu beitragen wird, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was eine Organspende ist: ein Akt der Mitmenschlichkeit, ein Ausdruck gelebter Solidarität. Ich persönlich würde mir noch sehr viel mehr Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft wünschen.

Vielen Dank.