Interview 06.06.2016
"Trennung der Unionsschwestern bringt keinen weiter"
Gerda Hasselfeldt
Gerda Hasselfeldt: "Trennung der Unionsschwestern bringt keinen weiter" © Henning Schacht - berlinpressphoto

Im Interview mit der "Welt" betont CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, dass Schuldzuweisungen nicht weiter bringen. Stattdessen sei die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen gut und wichtig.

Frau Hasselfeldt, Sie gehen im Kanzleramt ein und aus. CSU-Chef Horst Seehofer vermutet dort eine Verschwörung. Er meint, man wolle die CSU als historische Anomalie beseitigen. Wo stecken die Täter?

Ich habe diese Empfindung nicht und sehe persönlich auch keinerlei Anzeichen für eine solche Vermutung. Aber natürlich ist es in einer Koalition mit drei Parteien immer eine große Herausforderung, die eigene Position durchzusetzen. Das ist uns in vielen Bereichen gelungen.

Unstrittig ist, dass Horst Seehofer und Angela Merkel seit Monaten im Clinch liegen. Auch in der CSU haben einige die Sorge, dass sie gar nicht mehr zusammenkommen können.

Wir tun alle gut daran, dafür zu arbeiten, dass dies nicht eintritt. Da sind nicht nur die beiden Vorsitzenden gefordert. Da ist die ganze Truppe, die gesamte Union, gefordert. Wir arbeiten hart an der Lösung der Aufgaben. Allein diese Woche hat das Kabinett zum Beispiel ein Anti-Terror-Paket beschlossen, der Bundestag hat das Integrationsgesetz auf den Weg gebracht und die Koalitionsspitzen haben sich auf die Reform des EEG verständigt. Genau das erwarten unsere Wähler von uns. Inhaltliche Auseinandersetzung ist gut und wichtig. Wenn aber der Eindruck von dauerhaftem Streit besteht, ist das für alle schädlich.

Wolfgang Schäuble schob den Schwarzen Peter allein der CSU zu. Lassen Sie das auf sich sitzen?

Schuldzuweisungen – egal von welcher Seite – bringen uns nicht weiter. Ich will mich nicht daran beteiligen.

Die Kanzlerin hat für Aufregung gesorgt, indem sie den Satz von Franz Josef Strauß infrage gestellt hat, wonach es rechts von der Union keine Partei geben dürfe. Hat Sie Recht?

Ich bin überzeugt, dass der Satz von Strauß nach wie vor gilt. Für die CSU gehört er zur DNA. Der Satz alleine sagt nur noch nichts über den Inhalt unserer Politik aus. Wir müssen schon mehr liefern, als bloß zu betonen: Rechts von uns darf keiner sein. Strauß hat ja auch nie gesagt, dass der Satz für sich allein schon eine ganze Programmatik darstellt. Unsere Verpflichtung ist, das mit Leben zu füllen.

Welche Inhalte stehen hinter dem Satz?

Wir sind eine Partei, die den Patriotismus und die Heimatverbundenheit zu vertreten hat, die für innere und äußere Sicherheit, wirtschaftliche Prosperität und sozialen Ausgleich sorgen muss. Die Basis unserer Entscheidungen sind das christliche Menschenbild und die soziale Marktwirtschaft. Wir müssen das gemeinsame Europa verteidigen. Es ist ein großes Geschenk.

Hat sich die Kanzlerin mit ihrer Flüchtlingspolitik nicht ausreichend patriotisch gezeigt?

Man kann auf den Gedanken kommen, dass bei der Öffnung der Grenzen im September das christliche Menschenbild und die Humanität ein sehr starkes Gewicht hatte. Das war in der Situation verständlich. Danach hätte es allerdings ein klares Stopp-Signal gebraucht. Grundsätzlich halte ich aber nicht viel von Vergangenheitsbewältigung. Wir sollten alle mehr darüber reden, was wir in der Flüchtlingspolitik geschafft und was wir noch zu erledigen haben.

Heiner Geißler will gar die Trennung der Unionsschwestern als letzte Konsequenz des Streits. Was wäre eigentlich die Folge dieser Entscheidung?

Das bringt keinen weiter. Der Trennungsverlust wäre viel größer als der Gewinn. Wir würden uns dann erst recht viel zu sehr mit uns und unserem Wettbewerb beschäftigen. Das würde Kräfte binden, die wir für die politische Arbeit brauchen. Uns verbindet wesentlich mehr, als uns trennt. Darüber hinaus würde die CSU ihr Alleinstellungsmerkmal verlieren, die einzige Vertreterin bayerischer Interessen in Berlin und Europa zu sein. Dafür werden wir gewählt, das ist unser Markenzeichen. Eine Trennung würde die Union als Ganzes schwächen.

Soll die CSU Angela Merkel für den Fall, dass sie 2017 wieder als Kanzlerkandidatin antritt, rückhaltlos unterstützen?

Die Kanzlerschaft von Angela Merkel war seit 2005 eine erfolgreiche für dieses Land. Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel. Es ist nicht ihr alleiniges, aber wesentlich ihr Verdienst. Wenn wir nun in der Frage der Flüchtlingspolitik einen Dissens haben, dann ist das kein Grund, die erfolgreiche Arbeit der letzten elf Jahre unter den Tisch zu kehren. Wir tun gut daran, dies fortzusetzen.

Wie ist ihr persönliches Verhältnis zur Kanzlerin? Hat es Schaden genommen?

Ich mache meine politische Arbeit nicht davon abhängig, ob ich mit diesem oder jenem gut oder weniger gut kann. Ich habe mit allen ein gutes Arbeitsverhältnis, mit dem Parteivorsitzenden ebenso wie mit der Bundeskanzlerin. Das Verhältnis ist vertrauensvoll. Die Zusammenarbeit zwischen Politikern sollte unabhängig von ihrem persönlichen Verhältnis funktionieren. So professionell müssen wir sein.

Markus Söder hat gerade behauptet, die Union sei zu weit nach links gerutscht. Was heißt das konkret?

Ich halte die Diskussion um diese Einordnungen nicht für zielführend. Die Menschen fragen doch nicht, seid ihr mehr rechts oder links, sondern sie fragen: Seht ihr, wie es uns geht? Was tut ihr für unsere Sicherheit, was für die Zukunft unserer Kinder? Unser gutes Leben im Alter? Das sind die zentralen Fragen, die wir zu beantworten haben, nicht ob wir mehr rechts oder links stehen. Mir ist wichtig, die unterschiedlichen Talente und Eigenschaften der Menschen wahrzunehmen und zu fördern, den sozial Schwachen zu helfen, die Leistungsbereiten zu befähigen, sich einzubringen, für ein gerechtes und humanes Miteinander in einer Gesellschaft zu streiten.

Mehr Ehe, weniger alternative Lebensformen, fordert da Edmund Stoiber.

Für mich ist die Ehe ein wichtiger Teil unserer Gesellschaftsordnung und trägt zu ihrer Stabilisierung bei. Das heißt aber nicht, dass andere Lebensformen weniger Wert wären. Ausschlaggebend ist der Mensch. Die Entscheidung jedes einzelnen, wie er sein Zusammenleben gestalten will, sollte nicht nur toleriert, sondern wertgeschätzt werden. Dazu gehört politisches Handeln, gerade auch einer Partei wie der CSU. Und das hat nach meinem Verständnis nichts mit rechts oder links zu tun.

Sie treten 2017 nicht mehr an. Es hieß Horst Seehofer hätte sie zum Rückzug gezwungen.

Es mag einige geben, die ein Interesse daran haben, diesen Eindruck zu erwecken. Das ist allerdings völliger Quatsch. Ich habe schon zu Beginn der Legislaturperiode für mich entschieden, dass dies meine letzte sein wird. Mit 67 Jahren und nach 30 Jahren Parlamentstätigkeit, muss ich mich für den Ruhestand nicht mehr rechtfertigen. Es hat nichts mit der aktuellen Situation zu tun, es ist eine rein persönliche Entscheidung.

Ein Medium spekulierte, sie könnten im Falle eines Neins von Joachim Gauck für das Amt der Bundespräsidentin zur Verfügung stehen. Reizvoll?

Ich halte nichts von derartigen Spekulationen und beteilige mich auch nicht daran. 

Haben wir die Flüchtlingskrise mittlerweile überwunden?

Wir dürfen die Problematik nicht nur an den Zahlen messen. Wir haben derzeit eine gewisse Entspannung, aber die ist nicht nachhaltig. Über Italien kommen neue Flüchtlinge, das Abkommen mit der Türkei ist ständig in der Diskussion, die EU-Außengrenzen sind nach wie vor durchlässig, eine europaweite Verteilung der Menschen ist in weiter Ferne. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.

Ende des Jahres könnten bis zu einer halben Million Menschen ausreisepflichtig sein. Doch die Abschiebepraxis funktioniert nicht. Was muss geschehen?

Wer nicht anerkannt ist, muss konsequent zurückgeführt werden. Das ist Aufgabe der Länder und soll es auch bleiben. Sie müssen ihre Verantwortung aber auch wahrnehmen. Die inkonsequente Rückführungspraxis mancher rot-grüner Länder ist unverantwortlich. Die Länder können nicht immer auf die Einhaltung föderaler Prinzipien pochen und gleichzeitig ihre föderalen Pflichten vernachlässigen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel nennt das Integrationsgesetz ein Einwanderungsgesetz 1.0.

Diese Bezeichnung ist eine Verdummung der Bevölkerung. Mit Einwanderungspolitik hat das überhaupt nichts zu tun. Es ist ein Gesetz, das zum Ausdruck bringt, dass Integration nicht nur eine Bringschuld des Staates ist, sondern auch desjenigen, der zu uns kommt.

Ist ein Einwanderungsgesetz eine Sache für die nächste Legislaturperiode?

Ich sehe keine Notwendigkeit für ein Einwanderungsgesetz. Wir haben ein sehr gutes, modernes Einwanderungsrecht, eines der besten der Welt, sagt die OECD – auch wenn mancher es für etwas unübersichtlich halten mag. Die Möglichkeiten müssen nur genutzt werden.

Der Bundestag hat am Donnerstag eine Resolution zum Völkermord gegen die Armenier in der Türkei vor hundert Jahren beschlossen. Präsident Erdogan droht mit der Aufkündigung des Flüchtlingsdeals. Wie sollte die Reaktion ausfallen?

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Diese Resolution dient dazu, an die historische Verantwortung zu appellieren, auch unsere eigene Verantwortung. Versöhnung kann es nur geben, wenn man zur eigenen Geschichte steht, zur Wahrheit. Dies ist die richtige Botschaft auch an die Türkei.