Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (EpiLage-Fortgeltungsgesetz)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so: Als wir uns vor knapp einem Jahr das erste Mal mit den rechtlichen Grundlagen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie beschäftigt haben, da ging es um Gesetze und Verordnungen mit Fristen bis Ende Juni, bis September, bis zum Jahresende, manchmal auch bis zum 31. März 2021. Das ist ein wesentlicher Grund, warum wir heute hier zu diesem Thema zusammenkommen. Diese Fristen haben wir gesetzt in Zeiten, in denen wir uns, glaube ich, nicht haben vorstellen können, dass wir ein knappes Jahr später noch mitten in dieser Pandemie drinstecken, dass wir 60 000 Tote später sind und mit großen Herausforderungen gesundheitlicher, gesellschaftlicher, sozialer, aber auch ökonomischer Art befasst sind.

Deshalb ist es notwendig, sich immer wieder auch mit den rechtlichen Grundlagen zu befassen. Ich will das ganz offen sagen: Ich habe sehr aufmerksam auch den Rednerinnen und Rednern der Oppositionsfraktionen zugehört.

(Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Gute Idee!)

Ich habe auch da viel Kluges gehört,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

nicht nur, aber da war auch Kluges dabei. Deswegen will ich an dieser Stelle einfach sagen: Sie sollten nie unterstellen, auch an dieser Stelle nicht, dass die Regierungsfraktionen oder auch die Bundesregierung nicht bereit wären, aus Situationen und Entwicklungen zu lernen und die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Das tun wir. Das haben wir in den vergangenen Gesetzgebungsprozessen bewiesen, als es beispielsweise um das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz ging. Das werden wir auch in diesem Verfahren wieder beweisen. Ich sage Ihnen ausdrücklich zu: Wir sind daran interessiert, auch mit den Oppositionsfraktionen gemeinsam zu erörtern, wie wir es schaffen können, für diese Maßnahmen eine möglichst breite Mehrheit hier im Parlament zu haben. Das ist unser Ziel.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Frei, die Kollegin Lötzsch würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Frage zulassen. – Der Minister ergreift ja nicht das Wort, also muss ich mich an Sie wenden, aber das mache ich natürlich auch sehr gerne.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie aus den Fehlern lernen wollen und Verbesserungen anstreben. Nun habe ich eine ganz konkrete Frage: Wie schätzen Sie es ein – darüber wird auch heute wieder in der „Tagesschau“ berichtet –, dass die Reihenfolge bei der Impfpriorisierung häufig verletzt wurde mit der kleinen Ausrede: Da sind ja Impfdosen übrig geblieben. – Aber man weiß von vielen Fällen, in denen sich schon vor Beginn der Impfungen Landräte, Bürgermeister usw. haben impfen lassen, wo dann einfach gesagt wurde: Na ja, da ist was übrig geblieben, lasst uns mal schnell impfen.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Bei euch vielleicht!)

Wir haben am Mittwoch im Ausschuss mit dem Minister darüber gesprochen, und der hat gesagt: Da hat man keine rechtliche Handhabe, um das, ich sage mal, zu bestrafen, oder wie auch immer. – Ist das aus Ihrer Sicht ein Feld, auf dem man zu Veränderungen kommen müsste? Wenn ja, welche Veränderungen würden Sie vorschlagen? Wenn nein, warum nicht?

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Frau Kollegin Lötzsch, das ist ein ganz wesentlicher Punkt, warum wir darauf achten müssen, dass wir hier im Parlament die wesentlichen Fragen, die grundrechtsrelevant sind, selbst entscheiden und darüber hinaus der Bundesregierung bzw. in diesem Fall dem Bundesminister durch Verordnungsermächtigung die Möglichkeit geben, spezifisch auf die Herausforderungen zu reagieren. Wir tun das im Übrigen auch mit dem Gesetzentwurf, der heute eingebracht wird. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, dass auf dieser Grundlage ausbuchstabiert werden kann, wie die Impfziele und die Impfpriorisierungen ganz konkret umgesetzt werden.

Den Fall, den Sie beschreiben, finde ich bedauerlich; das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich finde das nicht nur bedauerlich, sondern das ist dort, wo es einen Missbrauch gibt, auch in höchstem Maße unsolidarisch und natürlich maximal unklug. Das kann man nicht anders formulieren. Das gilt insbesondere dann, wenn diejenigen, die an Regeln mitarbeiten, sie selber zu ihren eigenen Gunsten brechen. Das ist absolut indiskutabel.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass wir neben diesen Grundsätzen auch Flexibilität brauchen, um sicherzustellen, dass nicht am Ende eines Tages Impfdosen ungenutzt in der Ecke stehen bleiben. Deshalb kommt es darauf an, dass man durchaus auch definiert, wie man in solchen Fällen vorgeht. Ich denke da beispielsweise an Polizistinnen und Polizisten, die im Streifendienst sind, die jederzeit erreichbar sind, die im Feuer stehen und unmittelbar konfrontiert sind mit Situationen, in denen sie Kontakten nicht ausweichen können.

(Zuruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dort müssen wir mehr tun, schneller impfen. Das ist eine Möglichkeit, damit umzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will mich im Weiteren auf die grundsätzlichen juristischen Bemerkungen konzentrieren, weil wir nachher noch sehr gute Redner haben, die die übrigen Aspekte dieses Gesetzentwurfs beleuchten können.

Ich kann beispielsweise nicht verstehen, warum man hier bemängelt, dass die Evaluierungsvorschrift, die wir ins Gesetz reinnehmen, nicht stark genug und dass sie zu langwierig sei. Warum denn eigentlich? Tun Sie doch nicht so, als ob die Bundesregierung, die Bundestagsfraktionen – die Regierungs- wie die Oppositionsfraktionen – nicht permanent auch wissenschaftlichen Rat einholten, und zwar nicht nur von Virologen und Epidemiologen, sondern natürlich interdisziplinär.

Was kann falsch daran sein, dass wir neben der jederzeitigen Kontrolle und Überarbeitung dessen, was wir tun, auch längerfristig, also in den nächsten zwölf Monaten, externen wissenschaftlichen Rat einholen? Dazu muss sich die Bundesregierung verhalten, und dazu muss sich auch dieses Parlament verhalten. Das ist doch ganz selbstverständlich.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Rottmann vom Bündnis 90/Die Grünen würde auch gerne eine Zwischenfrage stellen.

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Sehr gerne, Herr Präsident.

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sagen: Es ist doch gut, dass wir evaluieren. – Ich habe eine einzige Frage. Wir haben die ganze Zeit darüber geredet, dass die Inzidenzwerte dazu dienen, die Nachverfolgbarkeit von Kontakten in den Gesundheitsämtern zu ermöglichen. Der Wert, ab dem die Nachverfolgbarkeit nicht mehr funktioniert, ändert sich aber ständig. Warum brauchen wir jetzt eine Studie? Warum können wir nicht nach einem Jahr erklären: „Wie sind die Kapazitäten in den deutschen Gesundheitsämtern? Wie viele Kontakte können die ab welcher Inzidenz nachverfolgen?“, und darauf einen Stufenplan aufsetzen? Warum ist das nach einem Jahr nicht möglich? Das ist niemandem zu erklären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Frau Kollegin Dr. Rottmann, zunächst einmal ist es so, dass wir in den vergangenen Monaten vieles dafür unternommen haben, dass die Kompetenzen und Möglichkeiten im staatlichen Gesundheitswesen verbessert werden und dass eine Nachverfolgung unter besseren Umständen gewährleistet werden kann.

Zum zweiten Punkt: Wo liegt die Schwierigkeit? Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass wir es nicht nur mit einem Virus zu tun haben, sondern zunehmend auch mit Mutationen, die über eine höhere Infektiosität verfügen, die wir am Ende nicht einschätzen können. Da stehen wir vor der großen Gefahr, dass diese Mutanten auch in Deutschland – so wie wir es in anderen Ländern schon erlebt haben – die Oberhand gewinnen können.

Zur dritten Frage, die Sie gestellt haben, Frau Dr. Rottmann: Warum kann man nicht auf diesen Inzidenzen aufbauend einen Stufen- oder Perspektivplan entwickeln? Dazu muss man sagen, dass wir das im Grunde genommen im § 28a des Infektionsschutzgesetzes bereits getan haben.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es! Lesen hilft!)

Wir haben darin als Parlament klar definiert, ab welchen Inzidenzen und möglicherweise anhand welcher zusätzlicher Indikationen welche Maßnahmen durch die Bundesregierung und die Landesregierungen möglich sind. Das haben wir gemacht.

Ich will nicht ausschließen, Frau Dr. Rottmann, dass wir im parlamentarischen Verfahren auch dazu kommen, das noch etwas näher auszubuchstabieren. Sie haben mit Ihrem Anliegen ja recht, dass wir für die Menschen Perspektiven und eine Nachvollziehbarkeit brauchen. Das ist richtig und notwendig,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen wir jetzt machen!)

und deswegen können wir uns über solche Fragen auch im parlamentarischen Verfahren unterhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen wir aber jetzt machen! Sie sehen doch die Klagen alle!)

– Frau Kollegin Haßelmann, natürlich tun wir das alles jetzt. Wir spielen doch nicht auf Zeit. Ganz im Gegenteil: Wir sind daran interessiert, dass die Dinge gut gelöst werden. Und da sind wir – ich habe es schon gesagt – auch an Zusammenarbeit interessiert.

Ich will noch kurz zwei Aspekte erwähnen. Der eine ist: Wir nehmen die doppelten und dreifachen Netze aus dem Gesetz raus. Wir haben Vorschriften im Infektionsschutzgesetz, die ausschließlich auf die Covid-19-Pandemie anzuwenden sind. Insofern brauchen wir zusätzliche Fristen wie beispielsweise im § 5 nicht, weil wir alles auf die Grundlage der Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite stützen. Das haben wir am 25. März gemacht, und das haben wir am 18. November gemacht.

Wir sagen jetzt, dass diese Regelungen auslaufen, wenn der Bundestag nicht innerhalb von drei Monaten die Fortgeltung der epidemischen Lage beschließt. Das heißt: maximal drei Monate. Das kann natürlich auch kürzer sein, und es ist auch überhaupt kein Problem. Sie haben ja vollkommen recht. Wir haben in der letzten Sitzungswoche zehn Debatten zu Covid-19 gehabt,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Acht Stunden!)

und wir haben in dieser Woche 13 Debatten zu Covid-19 gehabt.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sieben Stunden!)

Wir können das jedes Mal feststellen. Das ist keine große Leistung für unser Haus; das kriegen wir hin.

Lassen Sie mich zuletzt noch auf das Thema der Impfziele und der Impfprioritäten eingehen. Ich finde es total erstaunlich, wie hier der Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit seinen Interviewäußerungen bemüht wird, die wir absolut teilen, die wir beherzigen und die wir mit diesem Gesetzentwurf umsetzen. Natürlich: Artikel 80 des Grundgesetzes verlangt von uns, dass wir die wesentlichen Grundentscheidungen hier im Parlament treffen. Das tun wir. Wir haben es schon getan in § 20i des SGB V, und wir übersetzen das jetzt mit einer Zwillingsvorschrift in den § 20 Absatz 2a des Infektionsschutzgesetzes. Damit schaffen wir den stabilen rechtlichen Rahmen, in dem die Regierung ausformulierte und ausbuchstabierte weitere Maßnahmen treffen kann.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Sehr gut!)

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