Redebeitrag zum 3. Bevölkerungschutzgesetz

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Ursprungsanliegen dieses dritten Bevölkerungsschutzgesetzes war die Grundlegung einer Impfstrategie – nochmals: keiner Impfpflicht! – und die Vervielfachung der Testmöglichkeiten. Das habe ich dieser Tage einem Journalisten erklärt. Die Antwort war: Uns interessiert mehr der Konflikt. – Draußen, vor dem Deutschen Bundestag, wird dieser Konflikt gerade lautstark von Demonstranten artikuliert. Warum das nur ohne Maske geht, erschließt sich mir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Für manche Beschwer habe ich an der Stelle aber Verständnis. Auch ich verspüre diesen Pandemieverdruss, auch meine Grundrechte werden eingeschränkt. Ich weiß aber, wofür, nämlich für meine, für unsere Gesundheit.

Historisch war es üblich, für Unglück, gegen das man sich nicht wehren konnte, einen Sündenbock zu suchen. Die Politik ganz allgemein bietet sich in modernen Zeiten offenbar dafür an. Doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, täuschen Sie sich nicht – das sage ich gerade in Richtung AfD –: Am Schluss wird da nicht differenziert werden.

Mir tut das Ganze als gutmeinender Volksvertreter in der Seele weh. Ich glaube aber, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass wir das alle aushalten müssen. Wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestags, tragen die Verantwortung: vom Tag eins, dem Tag, als wir die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt haben, bis zu diesem dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Deshalb richtet sich mein Appell an alle Mitglieder des Hohen Hauses: Man kann über alles diskutieren, über alles debattieren, stehlen Sie sich aber nicht aus der Verantwortung, widerstehen Sie dem Versuch, meine Damen und Herren, aus der Pandemie ein politisches Geschäft zu machen!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Schauen Sie hin, wie sich ein kleiner Teil der Demonstranten radikalisiert. Befeuern Sie das nicht mit fahrlässigen, unabgewogenen Argumentationen! Der Preis dafür ist zu hoch.

Der Wolf im Schafspelz sitzt wie immer ganz rechts.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der AfD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Oh!)

Ja, schauen Sie, die Grundrechte vorzuschieben, um damit das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu erschüttern, ist ein geradezu perverses Kalkül, und – das muss man doch einmal sagen – genau das tun Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der AfD)

Ich erwarte im Übrigen auch, dass sich alle Demokraten hier im Hause gegen den Begriff „Ermächtigungsgesetz“ verwahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich erwarte, dass Sie – auch Sie – sagen, dass dieser historische Bezug bodenlos ist. Und, wenn ich das noch anfügen darf: Uniformen, wie Sie sich hier ein bisschen andeuten, tun keinem Parlament gut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Nüßlein, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?

 

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Nein, Herr Präsident, ich gestatte keine Zwischenfrage aus der AfD. Das ist immer dasselbe: Die wollen ihren YouTube-Kanal füllen, und am Schluss geschieht das nur ausschnittsweise. – Oder glauben Sie im Ernst, dass die Art und Weise, wie der Bundesgesundheitsminister vorhin den AfD-Kollegen versenkt hat, auch auf YouTube gesendet wird?

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre einmal schön, dann hätten Sie an der Stelle auch einmal für einen Beitrag zur Wahrheit und Klarheit gesorgt. Das wäre eine gute Sache.

Der § 28a des Infektionsschutzgesetzes ist, meine Damen und Herren, das Gegenteil von dem, was Sie hier als Ermächtigungsgesetz beschreiben. Wir bestimmen 17 spezifische Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Wir legen fest, dass sich die Länder bei der Auswahl dieser Mittel an der Dynamik der Ausbreitung zu orientieren haben. Wir ziehen für besonders grundrechtssensible Verbote wie Verbote von Versammlungen, Gottesdiensten oder Besuchen im Seniorenheim klare Grenzen ein. Und, meine Damen und Herren, wir befristen die Eingriffe der Länder auf vier Wochen und verlangen klare Begründungen für Verlängerungen. Wo ist denn da eigentlich Ihre Beschwer?

Aber eines tun wir nicht, meine Damen und Herren, wir übernehmen nicht Regierungshandeln oder Zuständigkeiten der Länder. Der Deutsche Bundestag kontrolliert die Regierung, er ersetzt sie nicht. Wer sagt, wir schafften die Demokratie ab, der lügt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat sogar Georg Nüßlein einmal recht!)

Ich will auch noch einmal ganz deutlich sagen: Wir schaffen keinen Impfzwang. Wir sorgen dafür, dass eine Grundlage geschaffen wird, damit man am Schluss auch impfen kann; denn die Frage wird doch nicht heißen: Wer muss? Sondern: Wer darf und wann? Ich bitte die Menschen, sich das mal vor Augen zu führen.

Bei all dem, was wir momentan an Argumentation hören, wäre mir wichtig, dass sich die Menschen draußen selbst ein Bild machen, dass sie nicht alles glauben, was in den sozialen Medien verbreitet wird, und dass sie sich immer die Frage stellen: Cui bono? – Wem nutzt das? Damit wäre viel geholfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD)

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