Rede zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.

Mit diesen Worten hat der ehemalige Bundespräsident Gauck uns den Weg zu einer verantwortungsvollen Flüchtlingspolitik gewiesen. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahren, weil unser Herz weit ist, die Augen nicht verschlossen vor den Menschen, die Zuflucht in unserem Land gesucht haben, und wir haben Zuflucht in einer sehr großzügigen Weise gewährt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Weil wir wissen, dass unsere Möglichkeiten endlich sind, wissen wir aber auch, dass man die Aufnahmefähigkeit und Integrationsbereitschaft eines Landes und einer Gesellschaft nicht überfordern darf.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dem wird der Gesetzentwurf, den wir heute in diesem Parlament verabschieden werden, gerecht. CDU/CSU und SPD haben sich in einer schwierigen Phase einer schwierigen Aufgabe gemeinsam gestellt. Keine Partei hat es sich einfach gemacht, und auch keine beteiligte Person hat es sich einfach gemacht, weil wir wissen, dass es im Rahmen der Flüchtlingspolitik um den Umgang mit dem Schicksal von Menschen geht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Harbarth, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Sitte?

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU):

Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage der Kollegin Sitte.

Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):

Danke, Herr Harbarth. – Angesichts des Verhandlungsergebnisses zitiere ich einmal zwei Vertreter zwei verschiedener Parteien und schließe daran meine Frage an.

Martin Schulz hat gesagt – ich zitiere wörtlich –:

Die SPD hat über die im Sondierungsergebnis hinaus vereinbarten 1 000 Angehörigen pro Monat eine deutlich weiter gehende Härtefallregelung … durchgesetzt.

Dagegen Alexander Dobrindt – ich zitiere wieder –:

Mit der Neuregelung wird der Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte endgültig abgeschafft. … Neue Härtefallregelungen, die ein Mehr an Zuwanderung bedeutet hätten, gibt es nicht.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Stimmt auch!)

Nun frage ich Sie als Vertreter der Union: Wie ist es denn nun? Wo finde ich eine konkrete, klare Regelung in diesem Gesetz? Wo kann ich es nachlesen?

(Stephan Thomae [FDP]: Ich habe es auch vergeblich gesucht!)

Wenn es nicht in diesem Gesetz steht, dann ist doch daraus zu schließen, dass es wieder nur eine Ankündigung ist, dass so eine Regelung kommen kann, aber nicht kommen muss. Auf jeden Fall ist das nicht verlässlich.

Wieso glauben Sie angesichts dieser unterschiedlichen Interpretationen, dass Ihnen die Leute – sowohl die in der SPD, die darüber entscheiden sollen, ob es diese Koalition geben soll, als auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land – glauben, dass Sie das gebacken bekommen?

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU):

Frau Kollegin Sitte, Sie haben mich gefragt, wo in diesem Gesetzentwurf die Regelungen stehen, die einerseits die Bereitschaft enthalten, Menschen in einer schwierigen Situation aus humanitären Gesichtspunkten Zuflucht zu gewähren, und die andererseits der Integrationsfähigkeit unseres Landes Rechnung tragen. Ich will es Ihnen gerne erläutern.

Wir haben vor dem Hintergrund unserer Überzeugung, dass Zuwanderung auch zahlenmäßig begrenzt werden muss, vorgesehen, dass es einen Maximalkorridor von 180 000 bis 220 000 Menschen pro Jahr gibt. Wir haben geregelt, dass es ab dem 1. August 2018 einen humanitär motivierten Zuzug von 1 000 Menschen pro Monat zu subsidiär Schutzberechtigten geben wird.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was hat das mit der Frage zu tun?)

Die Kriterien, die im Einzelnen Anwendung finden, werden wir in einem weiteren Gesetz definieren, mit dem der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen befasst sein wird.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

Für uns ist klar – so haben wir das mit den Sozialdemokraten vereinbart –, dass der Familiennachzug nur gewährt wird, wenn es sich um Ehen handelt, die vor der Flucht geschlossen wurden, wenn keine schwerwiegenden Straftaten begangen wurden und wenn es sich nicht um Gefährder handelt. Der Nachzug wird nur dann gestattet, wenn eine Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist. Diese Kriterien werden wir in den Gesprächen mit Leben erfüllen. Wir haben in den vergangenen Tagen gezeigt, dass wir auch in einer Phase, in der es noch keine neugewählte Regierung gibt, unserer Verantwortung für dieses Land gerecht werden. In diesem Geiste werden wir miteinander die Kriterien in den kommenden Wochen in diesem Parlament verabschieden und auch gerne mit Ihnen diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Harbarth, jetzt hat sich noch die Kollegin Frau Dr. Rottmann, Bündnis 90/Die Grünen, zu einer Zwischenfrage gemeldet.

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU):

Sehr gerne.

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Sie beziehen sich immer auf die Integrationsfähigkeit dieses Landes. Eine Frage, die mich schon länger beschäftigt, ist: Mit welchen Vertretern von Kommunen haben Sie eigentlich gesprochen, außer mit dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Herrn Landsberg von der CDU? Ich habe gestern Abend mit Stadträten aus Aschaffenburg gesprochen. Die haben vor diesem Sondierungsergebnis Angst, und zwar aus zwei Gründen.

Punkt eins. Sie haben die Flüchtlinge bisher dezentral untergebracht, professionell betreut. Sie drohen ihnen an, sie wieder in Gemeinschaftsunterkünfte zu stecken. Davor haben die Kommunen Angst.

Punkt zwei. Sie haben eine gut funktionierende Infrastruktur. Sie haben ehrenamtliche Helfer. Sie haben professionelle Helfer; 30 für ganz Aschaffenburg. Die Struktur ist vorhanden, sie ist aufnahmefähig. Mir wurde gestern gesagt: 60 000 Kinder nach Deutschland zu holen, ist für die Kommunen überhaupt kein Problem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU):

Sie haben mich gefragt, mit welchen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern ich gesprochen habe. Ich kann Ihnen zunächst einmal sagen – jenseits der Gespräche mit Vertretern von Verbänden –: mit Bürgermeistern und Oberbürgermeistern meines Wahlkreises.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nennen Sie einmal den Wahlkreis!)

Ich gehöre diesem Bundestag seit gut acht Jahren als direktgewählter Abgeordneter an, für den es sehr naheliegend ist, dass er nicht nur mit Funktionären spricht, sondern auch mit den Bürgermeistern und den Oberbürgermeistern seines Wahlkreises.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wahlkreis sagen!)

Ich sage Ihnen: Ich kenne keinen einzigen Oberbürgermeister oder Bürgermeister, der in den letzten Wochen auf mich zugekommen ist und gesagt hat: Die Integrationsprobleme in meiner Kommune lassen sich dadurch lösen, dass mehr Menschen kommen. – Ich bin aber von vielen Oberbürgermeistern und Bürgermeistern um Gespräche gebeten worden.

(Zuruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben mir gesagt: Trotz besten Willens, Flüchtlinge in unsere Gesellschaft zu integrieren, sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir sagen müssen: Unsere Kapazitäten sind endlich. – Das ist die Realität in diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Für uns ist es wichtig, dass wir die Bereitschaft, Menschen, die Schutz benötigen, in unserem Land Zuflucht zu gewähren, langfristig erhalten. Wir sind überzeugt: Die Bereitschaft, notleidende Menschen in unserem Land aufzunehmen, kann langfristig nur erhalten bleiben, wenn alle, die diese Bereitschaft zeigen, nicht überfordert werden. Ich finde es schade, dass von Teilen dieses Parlaments versucht wird, die große humanitäre Leistung, die dieses Land in den vergangenen Jahren erbracht hat, kleinzureden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben in diesem Land in den vergangenen Jahren mehr Menschen, die in Not geraten sind, aufgenommen als der Rest Europas zusammen. Ich glaube, da sollten wir in puncto humanitäre Bereitschaft und humanitäres Wohlwollen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind nicht der Auffassung, dass Integration am besten funktioniert, wenn möglichst viele Menschen in unser Land kommen, sondern wir sind der Überzeugung, dass Integration dann am besten funktioniert,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Familien zusammengeführt werden!)

wenn wir uns auf diejenigen konzentrieren, die eine langfristige Bleibeperspektive in unserem Land haben, und schauen, dass wir diese Menschen in puncto Sprache, Arbeitsleben und Gesellschaft in unser Land integrieren. Das funktioniert eben nicht,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn sie getrennt sind!)

wenn wir einen unkontrollierten Zugang bzw. eine unkontrollierte Zuwanderung in unser Land haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir mit dem Familiennachzug auch nicht!)

Deshalb sage ich Ihnen: Ich möchte Sie herzlich bitten, dass wir in einer schwierigen Zeit den Gesetzentwurf zu einem schwierigen Thema, den wir dem Deutschen Bundestag vorgelegt haben, heute verabschieden. Es ist unsere Überzeugung, dass wir damit die Weichen richtig stellen, auch für eine Gesellschaft, die in fünf und in zehn Jahren ebenfalls die Akzeptanz aufbringt, Menschen aufzunehmen, die tatsächlich in Not geraten sind. Dafür ist es erforderlich, dass wir diese Gesellschaft heute nicht überfordern. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

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