Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger zur Suizidhilfe am 6.7.2023:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 

Wie wichtig es ist, den tatsächlichen autonomen Willen einer vermeintlich suizidwilligen Person festzustellen, bevor ihm das todbringende Medikament verschrieben wird, veranschaulicht das Beispiel des US- Amerikaners Kevin Hines. Den jungen Mann, der an einer bipolaren Störung und schweren Depressionen leidet, hatte plötzlich ein starkes Gefühl ergriffen, jetzt sterben zu wollen. Er sprang von der Golden Gate Bridge in San Francisco – und überlebte, im Gegensatz zu den anderen 99 Prozent der gesprungenen Personen. Er selbst erzählt, dass er noch im freien Fall tief bereut habe, gesprungen zu sein.

Drei Jahre lang war Kevin Hines nach seinem Suizidversuch in Krankenhäusern und einer geschlossenen Psychiatrie. Dort heilten nicht nur die gebrochenen Wirbel und Beckenknochen; er fand auch einen Weg, sich mit Medikamenten und einem regelmäßigen Tagesablauf zu stabilisieren. Er hat sich mit seiner Krankheit intensiv auseinandergesetzt und setzt sich selbst zum Ziel, anderen Menschen mit ähnlichen Problemen und Symptomen zu helfen. Seither engagiert sich Kevin Hines im Bereich der Suizidprävention. Wäre Kevin Hines von einem Sterbehilfeverein das schnelle, schmerzfreie Ende in harmonischer Atmosphäre mit einer Pille angeboten worden, hätte er dies in dieser Ausnahmesituation vielleicht angenommen.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Menschen, die sich selbst das Leben nehmen wollen, entscheiden sich meist nicht frei. Sie sind in einer Ausnahmesituation. Mindestens 90 Prozent der Menschen, die an einem Suizid versterben, haben nach Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe eine psychische Erkrankung. 80 bis 90 Prozent der Menschen, die kurzfristig für sich beschließen, Suizid begehen zu wollen, werten das im Nachhinein als Fehlentscheidung und vollziehen den Suizid dann doch nicht.
Wenn man an den assistierten Suizid denkt, dann denkt man meistens an alte, leidende Personen, die am Ende ihres Lebens keine Schmerzen mehr erleiden wollen. Aber darum geht es hier heute nicht.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das beschlossen hat, dass jeder Mensch den Zugang zu einem assistierten Suizid haben muss, ist es derzeit möglich, dass auch Menschen, die jung und gesund sind, einen assistierten Suizid in Anspruch nehmen. Das entspricht, ehrlich gesagt, nicht meinem Weltbild. Aber wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nun mal zu akzeptieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute eine Lösung finden für den aktuell ungeregelten Zustand.

Ich arbeite neben meinem Mandat noch als Hausarzt und betreue in dieser Funktion auch Altenheime. Wenn ich dort mit dem Pflegepersonal in Kontakt komme, dann sprechen mich viele relativ fassungslos darauf an, dass Sterbehilfevereine in diesen Einrichtungen tätig sind und Menschen dort durchaus auch ansprechen mit der Frage „Wollen Sie Ihren Angehörigen nicht mehr weiter zur Last fallen?“. Diese Menschen wollten nie jemandem zur Last fallen. Dass diese Menschen einem solchen Druck ausgesetzt sind, dass diese Sterbehilfevereine auf diese Menschen sozusagen losgelassen werden und es keine Regularien gibt, diese Menschen vor diesem Druck zu schützen, das ist untragbar. Deswegen brauchen wir eine Lösung.

Ich unterstütze den Gesetzentwurf von Castellucci/ Heveling, weil er den assistierten Suizid zwar möglich macht, ihn aber nicht fördert. Wir brauchen ein klar geregeltes Schutzkonzept. Deswegen finde ich es wichtig, dass es klar geregelte Wartezeiten gibt. Wie in dem eben genannten Beispiel ausgeführt, ist der Suizidwunsch oft ein sehr volatiler Gedanke. Das kann ich auch aus meiner ärztlichen Tätigkeit berichten. Deswegen ist es richtig, dass ab dem ersten Beratungsgespräch bis zum Ende, dem assistierten Suizid, eine gewisse Zeit vergeht, um die Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches zu überprüfen. Deswegen ist es richtig, dass es Wartezeiten gibt. Deswegen ist es richtig, gewisse Hürden einzuziehen, bevor der assistierte Suizid in Anspruch genommen werden kann.

Und: Ich halte es auch für wichtig, dass man psychiatrische Gespräche einzieht und notwendig macht. Es ist notwendig, psychisch kranke Menschen auch vor dem Druck zu schützen. Es ist auch notwendig, diesen Menschen zu helfen. Es kann doch nicht sein, dass diesen Menschen, die vielfältig unerkannt unter uns leben – Corona hat es doch gezeigt: immer mehr Menschen leiden an psychischen Erkrankungen –, nicht geholfen wird. In einer Zeit, in der man teilweise drei Monate auf einen Psychotherapieplatz warten muss, kann es doch nicht sein, dass der assistierte Suizid schneller möglich ist, als ein Therapieplatz zur Verfügung steht. Deswegen brauchen wir diese psychiatrischen Gespräche.

Der Gesetzentwurf der anderen Gruppe ist in meinen Augen viel zu freizügig. Er bietet kein Schutzkonzept. Deswegen ist er abzulehnen.

Ich denke, wir müssen heute hier eine Regelung finden, um die Rahmenbedingungen klarzuziehen. Wir müssen das Leben schützen, den assistierten Suizid möglich machen und ein klar geregeltes Schutzkonzept bieten, um Missbrauch zu verhindern. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung für unseren Gesetzentwurf.

Vielen Dank.
 

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