Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär in der Bundestagsdebatte zur Antisemitismusbekämpfung in Bildung, Kultur und Wissenschaft, 20.3.2024:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 

Ich möchte zu Beginn dieser Aktuellen Stunde einer ganz starken Stimme in Deutschland von Herzen zum Geburtstag gratulieren, und zwar hat heute der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, seinen 70. Geburtstag. Ich finde es sehr traurig, dass wir an seinem 70. Geburtstag in dem Land, in das er mit zwei Jahren mit seinen Eltern gekommen ist – 1954 in Haifa geboren; 1956 sind seine Eltern wieder hierhin übergesiedelt –, eine Aktuelle Stunde zum Thema Antisemitismus brauchen, und zwar eine negative Aktuelle Stunde. Dennoch, lieber Herr Schuster, wenn Sie uns heute hier zuschauen: Von Herzen alles Gute zu Ihrem 70. Geburtstag!

Es macht mich erneut fassungslos und traurig, dass wir wieder einmal über Antisemitismus sprechen müssen. Ich glaube, wir würden uns alle wünschen, dass das nicht notwendig wäre. Aber Fakt ist: Jüdinnen und Juden haben Angst, Angst in unserem Land. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Das „Nie wieder!“, diese Botschaft, muss bestehen bleiben. Dennoch gibt es entsprechende Auswüchse, und ich bin fest davon überzeugt, dass es ganz viele Möglichkeiten gibt, wie auch wir darauf reagieren können, dass es nicht weiterhin zu diesen Auswüchsen kommt. Genau deshalb ist es auch richtig, dass wir uns immer noch unserer historischen Verantwortung stellen und dass wir uns im Rahmen dieser Aktuellen Stunde erneut damit auseinandersetzen.

Wir haben in diesem Land leider Gottes einen Antisemitismusskandal, der den nächsten jagt. Das war vor dem 7. Oktober so, und das ist nach dem 7. Oktober so – und deshalb umso schlimmer. Zuletzt gab es einen Vorfall bei der Berlinale. Filmemacher haben bei der Abschlussgala Israel in die Nähe von Nazideutschland gerückt. Das blieb unter einem ganz großen Applaus erst mal unwidersprochen. Unter anderem hat die Staatsministerin für Kultur und Medien zwei ganze Tage gebraucht, bis sie sich dazu geäußert hat. Zwei Tage Schweigen! Da sagen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Es braucht diesbezüglich natürlich Erklärungen.

Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben sofort danach um Aufklärung der Vorkommnisse gebeten. Wir hatten zwei sitzungsfreie Wochen. In der heutigen Zeit muss es mit den technischen Möglichkeiten möglich sein, innerhalb von zwei sitzungsfreien Wochen auch eine Sondersitzung des Kulturausschusses hinzubekommen. Das ist nicht geschehen. Das Thema ist auch jetzt immer weiter nach hinten gerückt worden. Diese Verzögerungstaktik – ich sage es Ihnen ganz offen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Ampel – ist natürlich nicht hinnehmbar. Dafür ist das Thema viel zu ernst. Und ich verstehe nicht, warum Sie es immer weiter in den April hinausgezogen haben.

Es geht natürlich auch darum: Wem geben wir in unserem Land beispielsweise Kulturfördermittel? Wie werden eigentlich Festivals finanziert? Wir hatten die Skandale nicht nur bei der Berlinale. Aber unter anderem ist es auch so gewesen, dass der israelische Schauspieler David Cunio, der seit dem 7. Oktober von der Hamas als Geisel gehalten wird, auf der Berlinale nicht erwähnt wurde; sein Name wurde im Vorfeld von den Verantwortlichen regelrecht gecancelt.

Das sind alles keine Einzelfälle. Wir haben heute noch keine ordentliche Aufarbeitung der documenta.

Jetzt wartet man schon wieder darauf, wann die nächste documenta eigentlich losgeht. Ich höre dann immer die Ausflüchte: Alles ganz schwierig, denn Hessen hat neu gewählt. – Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ampel: Es geht nicht, dass wir jetzt schon wieder sehenden Auges in den nächsten Antisemitismusskandal schlittern werden, weil Sie die Augen davor schließen und weil Sie auch nicht bereit sind, mit uns in einer angemessenen Art und Weise über gemeinsame Anträge zu verhandeln. Auch deswegen haben wir diese Aktuelle Stunde angesetzt: um Ihnen noch mal die Dringlichkeit unserer Anliegen vor Augen zu führen.

Wir bitten Sie wirklich: Machen Sie die Aufarbeitung nicht so schleppend! Machen Sie nicht andauernd den gleichen Fehler, indem Sie sagen: Dauert noch, dauert noch, dauert noch! – Wir können dieses Dauern nicht mehr ertragen. Oder Sie beantworten unsere Anfragen gar nicht mit Verweisen auf irgendwelche angeblichen inhaltlichen Sicherheitsbedenken, die Sie nicht mitteilen können. Wir haben eine Geheimschutzstelle. Da können Abgeordnete hingehen. Das waren bislang alles Ausflüchte. Deswegen sage ich Ihnen: Wir reichen Ihnen die Hand. Wir fordern Sie zum Handeln auf. Wir sagen: Keine Bundesmittel mehr an Kultureinrichtungen, die Antisemitismus eine Bühne bieten! Ansonsten müssen diese Fördermittel zurückgezahlt werden, damit Judenfeindlichkeit und Israelfeindlichkeit in Deutschland im Allgemeinen und im Besonderen in Bildungseinrichtungen, in Kultureinrichtungen, in unserer gesamten Gesellschaft keinen Platz haben.

Wir bitten Sie dringend noch mal, gemeinsam mit uns einen Antrag anzugehen, sich ganz klar zu bekennen, auch was das Thema BDS angeht. Dann stehen wir zur Verfügung. Ansonsten müssten wir es alleine machen, was wir sehr bedauern würden. Sie haben jetzt auf jeden Fall noch eine letzte Chance.

Ganz herzlichen Dank.
 

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