Interview im Deutschlandfunk

Der Stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich hält eine Koalitionseinigung zur Bahnreform auf Grundlage der aktuellen SPD-Vorschläge für möglich - wenn das Holding-Modell in seiner Grundstruktur aufrecht erhalten bleibt. "Über einen solchen Einstieg kann man reden", sagte der Bahnexperte der Unionsfraktion im Deutschlandfunk zu Meldungen, wonach die SPD-Spitze plant, privaten Investoren höchstens 24,9 Prozent der geplanten Holding für Fahrbetrieb und Logistik anzubieten.

Frage: Die Deutsche Bahn soll laut Koalitionsabsprache privatisiert werden. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. In der SPD gibt es massive Bedenken gegen die geplante Teilprivatisierung. Parteichef Kurt Beck sagte gestern nach einer fast fünfstündigen Sitzung am Abend im Berliner Willy-Brandt-Haus, es gebe nun doch einen gemeinsamen Vorschlag der Parteiführung. - Wenn es am Ende zu gar keiner Privatisierung käme, was wäre eigentlich daran so dramatisch? Oder anders gefragt: Wieso eigentlich Privatisierung?
 
Friedrich: Deswegen Privatisierung, weil wir mit dem ersten Schritt der Bahnreform vor 14 Jahren die Bundesbahn damals umgewandelt haben in eine Aktiengesellschaft, aber jetzt natürlich die Frage sich stellt: Muss eigentlich die Bahn, die inzwischen weltweit Güter und Personen fährt, Personenverkehr zum Beispiel in England, Güterverkehr zum Beispiel in den USA, muss das vom deutschen Steuerzahler finanziert und unterhalten werden? Und die Antwort ist nein. Man kann den Verkehr, der auf der Schiene in Deutschland und in der Welt stattfindet, im Wettbewerb betreiben. Dieser Wettbewerb findet bereits statt. Das können private Unternehmen machen. Was wichtig ist, dass die Infrastruktur, die Schienen, die Bahnhöfe, die Energieversorgung, in der Hand des Bundes bleiben. Und deswegen haben wir eine Lösung vorgeschlagen: auf der einen Seite Bundeseigentum der Infrastruktur, auf der anderen Seite eine Teilkapitalprivatisierung, also Beteiligung von Investoren an den Verkehrsgesellschaften, also an dem, was auf der Schiene passiert.
 
Frage: Herr Friedrich, um noch mal auf meine ursprüngliche Frage zu kommen. Wir brauchen also die Privatisierung, damit die Bahn Geld in die Kasse bekommt?
 
Friedrich: Richtig. Wir stellen uns vor, dass der Erlös aus dieser Privatisierung dann investiert wird in vollem Umfang in das deutsche Schienennetz, in die deutsche Infrastruktur, Bahnhöfe saniert werden, elektrifiziert wird, Lärmschutz betrieben wird, denn wir brauchen eine große Schienenoffensive in den nächsten Jahren.
 
Frage: Können Sie mir kurz erklären, wie das funktioniert. Sie wollen ja nur den Bahnbetrieb privatisieren. Die Schienen, das Netz, die Bahnhöfe sollen ja in Staatshand bleiben. Wie kann das Geld von privaten Investoren, das in den Betrieb investiert wird, dann den Bahnhöfen und dem Netz zugute kommen? Wie geht das?
 
Friedrich: Wenn wir die Betriebsgesellschaften, die Verkehrsgesellschaften teilprivatisieren, nehmen Sie an wir würden 50 Prozent verkaufen und das gäbe einen Erlös von geschätzt zehn, elf, zwölf Milliarden, dann steht das Geld dem Eigentümer zur Verfügung, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, um es zu investieren in das deutsche Schienennetz. Und das ist im Interesse der Zugfahrer, der Eisenbahnfahrer in Deutschland und der Steuerzahler.
 
Frage: Nun ist Privatisierung ja nicht mehr ganz so schick wie vor einigen Jahren. Oskar Lafontaine etwa sagt, Privatisierung führe eigentlich nur zur Abzockerei von vielen und zu Gewinnen von wenigen. Hat er da so Unrecht nach den Erfahrungen zum Beispiel mit der Energiewirtschaft?
 
Friedrich: Ich denke, man muss aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Aber es wäre ein großer Fehler zu sagen, Privatisierung ist grundsätzlich falsch, sondern ich denke, man muss sagen: Wo waren denn die Fehler in der Vergangenheit. War es ein Fehler, natürliche Monopole zu privatisieren? Da würde ich immer sagen ja, es ist ein Fehler. Das darf man nicht tun. Deswegen auch keine Infrastruktur verkaufen an Private. Aber generell ist Privatisierung mehr Effizienz, ist Wettbewerb auch mehr Qualität auf Dauer. Und nur wer sich in den Wettbewerb begibt, bleibt auch auf Dauer wettbewerbsfähig. Das gilt im Übrigen nicht nur für ein Unternehmen, sondern für eine ganze Volkswirtschaft.
 
Frage: Wie stellen Sie denn sicher, dass es Wettbewerb gibt?
 
Friedrich: Auch das ist ja ein wichtiges Anliegen des Modells. Wir haben heute bereits im Nahverkehr viele Unternehmen, private Unternehmen, die als Wettbewerber der DB Regio antreten. Wir haben das Gleiche im Güterverkehr. Dieser Wettbewerb hat dazu geführt, dass wir eine enorme Verlagerung auch von Gütern von der Straße auf die Schiene haben. Und dieser Wettbewerb wird auf Dauer auch im Personenfernverkehr stattfinden. Die Franzosen zum Beispiel sind entschlossen, auch Personenfernverkehr durch Deutschland zu betreiben. Dieser Wettbewerb um die Passagiere in Deutschland wird auch dazu führen, dass die Preise auf Dauer sinken, der Service besser wird und der Steuerzahler und Bahnfahrer für sein Geld mehr bekommt.
 
Frage: Das wollen wir noch mal ganz klar festhalten. Sie sagen: Wenn privatisiert wird, werden am Ende die Preise fürs Bahnfahren sinken?
 
Friedrich: Wir haben diese Erfahrung ja bei der Telekom gemacht. Wer wollte bestreiten, dass das Handy-Telefonieren heute ein Bruchteil von dem ist, was es vor der Privatisierung war. Insofern kann man sehen: Privatisierung da, wo Wettbewerb funktionieren kann, führt immer zu besseren Ergebnissen für den Verbraucher.
 
Frage: Und beim Strom funktioniert der Wettbewerb eben nicht?
 
Friedrich: Da, wo der Wettbewerb eingeschränkt ist, haben wir Probleme. Dort wo wir Monopole oder Oligopole haben, wo also wenige den Preis bestimmen dürfen, da haben wir ein Problem.
 
Frage: Herr Friedrich, rechnen Sie nicht damit, dass private Bahnbetreiber selten genutzte Strecken noch schneller stilllegen würden, als das heute schon die Bahn macht, dass also die flächendeckende Versorgung schwieriger würde?
 
Friedrich: Ich glaube, das ist ein grundlegender Irrtum, der heute weit verbreitet ist. Es ist ja heute nicht so, dass die DB entscheidet, wo sie mal gerade einen Zug fahren lassen will, sondern: Die Bahnprivatisierung vor 14 Jahren hat vorgesehen, dass die Länder Geld bekommen, und die Länder bestellen praktisch den Nahverkehr. Die bestimmen, wo welche Züge fahren, und schreiben diese Zugleistung aus. Bewerben kann sich jeder: die Deutsche Bahn AG oder ihre Wettbewerber. Und die tun das, weil sie dabei Geld verdienen. Das heißt also, es liegt allein in der Hand der Länder. Es liegt allein in der Hand derjenigen, die das in den Ländern zu vergeben haben, wo Züge fahren.
Das hat mit der Entscheidung der Deutschen Bahn AG nichts zu tun. Das gilt nicht für den Personenfernverkehr. Da wird eigenwirtschaftlich gefahren. Aber auch dort fährt die Bahn heute nur dort, wo sie Geld verdient, und nicht, wo sie Defizite macht.
 
Frage: Nun tut sich die SPD, ihr Koalitionspartner also, ja relativ schwer mit der Privatisierung der Bahn. Kurt Beck wollte ursprünglich den Nahverkehr aus der Privatisierung herausnehmen, also nur Güterverkehr und Fernverkehr privatisieren. Warum ist die Union dagegen? Die Kanzlerin hat sich eindeutig dagegen ausgesprochen.
 
Friedrich: Das ist natürlich ein völliger Unsinn, denn gerade im Nahverkehr wie gesagt findet ja funktionierender Wettbewerb schon statt. Und es gibt natürlich auch sogenannte Synergien zwischen Nah- und Fernverkehr. Das heißt, es werden Lokomotiven gemeinsam gewartet. Wenn sie das auseinanderreißen ohne Grund, sondern nur, um irgendeinem Parteiflügel zu gefallen, dann schädigen sie das Unternehmen, und dann haben sie natürlich auch einen niedrigeren Erlös für die Privatisierung. Und das ist überhaupt nicht einzusehen.
 
Frage: Nun sieht es ja auch so aus - wir müssen da vorsichtig sein, weil: Es ist nicht bestätigt -, dass die SPD von diesem Vorschlag ablässt. Stattdessen will sie den Bahnbetrieb nur zu einem Viertel privatisieren. Also an einer Transportgesellschaft könnten sich dann private Geldgeber mit 24,9 Prozent beteiligen. Das soll der neueste SPD-Vorschlag sein. Wenn es so wäre, ist das dann noch eine Privatisierung, die den Namen verdient?
 
Friedrich: Zunächst einmal: Wenn ich das richtig verstehe bedeutet das, dass das Holding-Modell in seiner Grundstruktur aufrecht erhalten bleibt, das wir für gut und richtig halten, Infrastruktur beim Bund, der Rest teilprivatisiert. Wir hatten uns ja darauf festgelegt zu sagen, 49,9 Prozent sollen verkauft werden.
 
Frage: Darf ich da mal ganz kurz zwischenfragen. Warum eigentlich? Warum nicht völlige Privatisierung?
 
Friedrich: Auch das könnte man machen, aber das war ein Zugeständnis an die Gewerkschaften, die gesagt haben, wir wollen ja den konzerninternen Arbeitsmarkt, wir wollen keine sofortige Trennung haben, sondern wir wollen dort die Gemeinsamkeit des Arbeitsmarktes im Konzern erhalten haben. Dieses Zugeständnis haben wir an die Gewerkschaft gemacht.
 
Frage: Jetzt würde das Zugeständnis also noch größer werden?
 
Friedrich: Nun kann man natürlich sagen, wir haben 49,9, warum nicht 24,9. Ich würde sagen, über einen solchen Einstieg kann man reden. Man kann sich dann anschauen, wie bewährt sich das Ganze, kann dann möglicherweise in einigen Jahren neu entscheiden. Vielleicht sind dann die Kritiker und Skeptiker überzeugt für weitere Privatisierungen. Wichtig ist allerdings oder wäre, wenn diese Lösung angedacht würde, dass wir uns nichts für weitere Privatisierungen in der Zukunft verbauen, und zweitens, dass wir nichts da irgendwie in Satzungen schreiben, was den Erlös der Privatisierung mindert, denn da geht es um das Geld der Steuerzahler, das ja indirekt in dem Unternehmen steckt und das wir ja für die Infrastrukturoffensive haben wollen.
 
Frage: Herr Friedrich, um da noch mal nachzufragen. Die Union hat also nichts dagegen, wenn man die Privatisierung am Anfang mit gebremstem Schaum sozusagen durchführte, also nur zu einem Viertel?
 
Friedrich: So würde ich das nicht sagen, käme auf die Ausgestaltung im Einzelfall an. Aber darüber ließe sich reden.
 
Frage: Nun war bislang in dem Holding-Modell vorgesehen, so ist es jedenfalls in den letzten Agenturberichten nachzulesen, dass der Staat versprechen soll, dass er über die bislang vorgesehene 49-prozentige Beteiligung privater Investoren nicht hinausgehen wolle. Da wären Sie gegen, gegen so eine Festlegung?
 
Friedrich: Natürlich kann man sich festlegen, dass diese Bundesregierung, die bis 2009 gewählt ist, eine weitere Privatisierung nicht vornimmt. Aber es kann natürlich nicht sein, dass wir ein für alle Mal künftige Generationen von Parlamenten festlegen und sagen, ihr dürft nie etwas Anderes machen. Es muss immer für neue Parlamente neue Optionen geben, und diese Optionen für die Zukunft müssen immer aufrecht erhalten bleiben. Aber für den Moment ja, nur eine Teilprivatisierung und keine volle Privatisierung.
 
Frage: Alles in allem, rechnen Sie damit, dass die Große Koalition die Privatisierung auf die Schiene bringt?
 
Friedrich: Ich will es hoffen, denn das wäre ein starkes Zeichen von Handlungsfähigkeit.
 
Die Fragen stellte Jochen Spengler
 
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