Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU im Bundestag, über die Zukunft von CSU und CDU und die allgemeine Lage der Volksparteien. 

Herr Dobrindt, in der CDU hat das Rennen um die Merkel-Nachfolge begonnen. Wo bleibt die Erneuerung der CSU-Spitze?

Wir haben uns einen klaren Fahrplan gegeben: Erst lösen wir den Wählerauftrag ein und bilden eine stabile Regierung in Bayern, dann gehen wir in die tiefere Analyse des Wahlergebnisses und ziehen daraus die richtigen Schlüsse. Dabei werden wir neben inhaltlichen auch über personelle Fragen diskutieren.

Selbst aus der CDU wird jetzt der Ruf nach einem Rückzug von CSU-Chef Horst Seehofer laut…

Was soll „selbst aus der CDU“ denn für ein Argument sein? Wir geben der CDU keine Ratschläge zur Besetzung ihres Spitzenpersonals und erwarten umgekehrt auch das Gleiche.

Gehören die Ämter Ministerpräsident und CSU-Chef nicht besser in eine Hand?

Die CSU hat in der einen wie der anderen Konstellation bereits erfolgreich gearbeitet. Wichtig ist für uns immer eine Aufstellung, mit der wir unsere politischen Inhalte und die bayerischen Interessen auf allen Ebenen bestmöglich durchsetzen können. 

Auch Sie werden als möglicher Parteichef gehandelt. Ein Amt, das Sie reizen würde? Treten Sie an?

Netter Versuch. Der Vorsitz der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag ist ein Amt, das an Spannung nichts missen lässt.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, der frühere Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz oder Gesundheitsminister Jens Spahn – wer könnte die Union wieder aus dem Umfragetief führen?

Es bleibt dabei, dass wir der CDU keine Empfehlungen für ihr Spitzenpersonal geben. Ich gehe aber davon aus, dass alle Kandidaten versuchen werden, eine große Breite der Gesellschaft anzusprechen, indem sie die drei großen Wurzeln der Unionsparteien betonen: die christlich-soziale, die liberale und die bürgerlich-konservative. Spannend wird sicher, ob der eine oder andere Kandidat erkennen lässt, dass er eine der Wurzeln in der Vergangenheit für nicht ausreichend repräsentiert gesehen hat. Das heißt: Es geht bei dieser Entscheidung nicht nur um Köpfe, sondern auch um Inhalte und den richtigen Kurs, um den Gestaltungsanspruch für die bürgerliche Mehrheit in unserem Land klar zu formulieren und auch einzulösen.

Aber die von Ihnen geforderte konservative Revolution wäre doch am ehesten mit Friedrich Merz möglich, oder?

Ich habe in einem Debattenbeitrag einen gesellschaftlichen Prozess beschrieben. Fakt ist: Wir müssen die Vielfalt und Breite an Positionen in den Unionsparteien wieder mehr als Stärke begreifen und sie gemeinsam weiterentwickeln, anstatt zu versuchen, sie einzuschränken. Das ist eine zentrale Voraussetzung, um bei den Herausforderungen unserer Zeit zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu finden.

Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben die Parteien der Großen Koalition starke Verluste hinnehmen müssen. Welche Konsequenzen müssen CDU, CSU und SPD jetzt ziehen, um Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen? 

Die Wahlergebnisse zeigen die aktuelle Dilemma-Situation. Eine zu starke Verengung auf die sogenannte Mitte führt auf beiden Seiten links und rechts zu Wählerabwanderungen. Die Volksparteien müssen wieder stärker ihr jeweiliges politisches Spektrum ansprechen. Für die Unionsparteien heißt das, allen Wählern von der Mitte bis zur demokratisch Rechten eine politische Heimat zu bieten. Volksparteien stehen für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft. Dafür muss man bereit sein, klare Orientierung zu geben und darf nicht akzeptieren, dass Spaltungsbewegungen Rechtsaußen und Linksaußen weiter Zulauf bekommen.

Ist die Zeit der Volksparteien vorbei? Erleben wir jetzt auch in Deutschland eine Zersplitterung des Parteiensystems wie in anderen Ländern Europas?

Die Volksparteien haben das selber in der Hand. Volksparteien haben die Kraft, Spaltungen zu überwinden und auch Gegensätzliches zu verbinden. Der Grünen-Vorsitzende Habeck behauptet, Volksparteien stehen für einen „kleinen gemeinsamen Nenner“. Das ist grundfalsch. Im Gegenteil: Volksparteien stehen für den größtmöglichen gesellschaftlichen Ausgleich. Genau das ist heute durch die zunehmende Fragmentierung unserer Gesellschaften so wichtig wie schon lange nicht mehr – und gerade die Unionsparteien haben darin übrigens eine große Tradition: Konrad Adenauer hat Protestanten und Katholiken zusammengeführt, Ludwig Erhard Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Franz Josef Strauß Tradition und Fortschritt, Helmut Kohl Ost und West. Daran müssen wir anknüpfen.

Die Grünen sind die Partei der Stunde. Wie ist der Höhenflug der Partei zu erklären? 

Das aktuelle Hoch der Grünen ist auch im Nachholbedarf und der Schwäche anderer Parteien begründet. Vieles von dem, was bei den Grünen formuliert und gedacht wird – beispielsweise, wenn Herr Habeck in seinem Buch schreibt, dass er Vaterlandsliebe zum Kotzen findet und mit Deutschland nichts anfangen kann – passt nicht in den Konsens unserer Gesellschaft.  Diese grünen Widersprüche müssen benannt werden. Gleichzeitig müssen wir unseren Gestaltungsanspruch bei den ökologischen, gesellschaftspolitischen und den ethischen Fragestellungen wieder stärker herausstellen.

Was, wenn die Große Koalition auseinanderbricht – Neuwahlen oder ein Neuanlauf für ein Jamaika-Bündnis?

Ich will, dass diese Koalition funktioniert und gute Ergebnisse liefert. Die GroKo ist besser als ihr Ruf. Wir stärken Investitionen und schaffen Entlastungen, fördern Familien mit Kindergelderhöhung und Baukindergeld, stärken die Mütterrente und senken die Arbeitslosenversicherung. Wir haben einen Koalitionsvertrag bis 2021 vereinbart, den sollten wir erfüllen. Ich kann der SPD nur raten, das ständige Infragestellen der Koalition einzustellen. Flucht aus der Verantwortung wird nicht zu mehr Wählerzustimmung führen!
 

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