Rede in der Debatte zu Organspenden

Organspende hat für jeden von uns eine andere Bedeutung. Für mich hat Organspende Gesichter, wie die Mitglieder des Vereins „Organtransplantierte“ für Ostfriesland. Seine Vorsitzende Barbara Backer kenne ich seit mehr als 20 Jahren. Sie hat überlebt, weil ihr eine Leber geschenkt wurde. Sie hat überlebt, weil sie Glück hatte – anders als ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Denn wir haben einen Mangel an Spenderorganen.

Die Zahl ist uns allen bekannt. In Deutschland warten mehr als 10 000 Menschen auf ein Organ. Jeden Tag sterben deshalb drei Menschen. Diese Zahl klingt abstrakt. Aber es sind Einzelschicksale. Dahinter stehen Menschen mit Familien, Liebsten, Freunden. Menschen, die verzweifelt warten und hoffen – bis zum letzten Moment. Wie Egon Lücht. Er war 63 Jahre alt, leidenschaftlicher Großvater, engagierte sich für den Heimatverein und backte für sein Leben gern. Er hätte so gerne weitergelebt. Aber sein Herz war krank. Er hoffte bis zum Schluss auf einen Spender, den er aber nicht mehr fand. Egon Lücht starb im letzten Monat.

Er ist kein Einzelfall. Doch so bekommen die Zahlen ein Gesicht. Denn es gibt so viele, die vergeblich warten. Deshalb engagiere ich mich für den Verein „Organtransplantierte Ostfriesland“ als Schirmherrin. Der Verein kümmert sich um Transplantierte, Angehörige und Wartepatienten – ehrenamtlich. Doch bei aller Aufklärung, bei aller Information: Der Mangel an Organen bleibt.

Die Gründe sind vielfältig. Es mangelt an Routine in den entnehmenden Krankenhäusern. Potenzielle Spender werden nicht angesprochen und erkannt. Es erfolgt keine Meldung an die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die die Koordination der Spenden übernimmt. Die Transplantationsbeauftragten der Krankenhäuser werden oft nicht freigestellt. Damit können sie ihrer wichtigsten Aufgabe nicht nachkommen: der Begleitung von potenziellen Spendern und deren Angehörigen. Entnahmekrankenhäuser können nicht kostendeckend arbeiten.

Deshalb ist es gut, dass unser Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, um genau diese Mängel zu beheben. Mehr Geld für die Entnahmekrankenhäuser, mehr Zeit und Rechte für Transplantationsbeauftragte. Dies ist übrigens auch das Signal: Transplantationsmedizin soll eine Zukunft in Deutschland haben.

Aber es braucht mehr. Und das ist für mich die erweiterte Widerspruchslösung. In Deutschland werden pro Jahr Abermillionen Organspendeausweise ausgegeben. Jeder Krankenversicherte erhält mit Vollendung des 16. Lebensjahrs ein Exemplar. Sie liegen überall aus. Doch diese werden häufig nicht ausgefüllt. Oft wird es aufgeschoben oder vergessen, der Blankoausweis schlummert in der Schublade. Im Fall des Todes fehlt damit häufig eine letztwillige Verfügung. Die Angehörigen sind in der Regel überfordert oder von Schmerz und Trauer gelähmt. Sie sind nicht ansprechbar, nicht bereit oder fähig, eine Entscheidung für den Hirntoten zu fällen oder dessen Wünsche zu äußern. Ihnen, uns hilft die doppelte Widerspruchslösung.

Denn es mangelt an Spendern, nicht an der grundsätzlichen Spendebereitschaft. Nach einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen 81 Prozent der Menschen einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber. Aber nur 36 Prozent haben einen Organspendeausweis. Die grundsätzliche Bereitschaft ist offensichtlich da. Nur wird das Thema verdrängt, vertagt, vergessen.

Die doppelte Widerspruchslösung bietet dafür eine Lösung. Sie ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Baustein. Jede/r gilt als Spender, solange er/sie oder die Angehörigen nicht widersprechen. Für mich wird dadurch das Selbstbestimmungsrecht nicht verletzt – im Gegenteil. Denn niemand wird zur Spende gezwungen. Wer nicht mitmachen will, muss sich nur zu Wort melden. Ein einfaches Nein reicht. Aber jeder muss sich mit der Frage beschäftigen.

Am Ende gewinnen dabei alle: jeder von uns, der entscheiden kann, Angehörige, die nicht entscheiden müssen, und Schwerstkranke, die wieder eine Chance haben. Deshalb unterstütze ich die doppelte Widerspruchslösung.

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