Rede in der Debatte zu Organspenden

Jede Diskussion über die Organspende ist eine gesellschaftlich wichtige, menschlich notwendige und ethisch schwierige Debatte. Das Ziel muss sein, Vertrauen in die Organspende zu stärken und die Zahl der Organspenden zu erhöhen und gleichzeitig die Abläufe zu verbessern.

In Deutschland gilt die Zustimmungslösung in Form der Entscheidungslösung. Organspender ist derjenige, welcher freiwillig seine Zustimmung erklärt. Viele haben diese Freiwilligkeit im Organspendeausweis dokumentiert und künden damit von einer Haltung der Solidarität.

Die Widerspruchslösung möchte dies rechtlich anders organisieren. Die grundlegende Frage lautet: Wie sehr darf der Staat die Organspende einfordern, indem er die Bereitschaft von jedem von uns vermutet, falls nicht ausdrücklich widersprochen wird? Eine Beantwortung dieser Frage unter Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit verbietet sich. Die Antworten finden wir nur in den rechtlichen und ethischen Dimensionen von Selbstbestimmung, Freiheit und Würde des Menschen.

Was bedeutet es denn rechtlich, wenn jeder, der nicht widerspricht, als Organspender zu betrachten ist? Damit entfaltet Schweigen – anders als grundsätzlich in unserer Rechtsordnung festgelegt, bestimmte, und keiner würde widersprechen – auch tiefgreifende Folgen.

Kann und darf dies der freiheitliche, grundrechtsgebundene Staat verlangen und vor allem zumuten? Bei der Widerspruchslösung ist nicht irgendeine Information zu übermitteln.

Preiszugeben ist vielmehr die persönliche Haltung zur Spende der eigenen Organe zum Zeitpunkt des Todes. Kaum etwas berührt die eigenen Wertvorstellungen mehr als diese Überlegung. Es sind Grenzentscheidungen des menschlichen Lebens und damit unantastbare Gewissensentscheidungen. Daraus ergibt sich auch eine mögliche Antwort:

Es muss möglich sein, gerade keine Aussage tätigen zu wollen. Im absoluten Kernbereich der eigenen Persönlichkeit verbietet sich eine Pflicht zur Offenbarung dieser Frage. Wer sich nicht äußert, äußert sich nicht. Der Staat darf keine Folgen an eine unterbleibende Äußerung knüpfen, auch wenn die Motive ehrenhaft sein mögen. Ein ausbleibender Widerspruch kann daher niemanden ohne Weiteres zum Organspender machen.

Es kann zu Recht eingewandt werden, dass die Möglichkeit und Notwendigkeit des Widerspruchs bislang auch in den Fällen § 4 Absatz 1 des TPG bereits vorgesehen ist und damit der Rechtsordnung nicht fremd ist. Es macht eben einen Unterschied, ob in Ausnahmefällen ein Widerspruch formuliert werden kann oder ob der Widerspruch zur Regel wird. Auch die praktischen Folgen müssen wir uns vor Augen führen. Wie organisieren wir den Widerspruch? Wollen wir wirklich mit Aufwand eine Widerspruchsdatenbank aufbauen, die dann lediglich davon spricht, wer gerade nicht bereit zur Organspende ist? Und wer verhindert, dass an eine mögliche Widerspruchsdatenbank nicht irgendwann andere Rechtsfolgen geknüpft werden könnten? Vielleicht könnte eine Widerspruchslösung auch ohne Register auskommen. Dennoch müssten die Widersprüche zumindest rechtssicher dokumentiert werden.

Wäre es nicht besser, unsere Bemühungen zu nutzen, das Vertrauen in die Organspende zu stärken?

In Form der doppelten Widerspruchslösung, also wenn eine Möglichkeit der Angehörigen besteht, zu widersprechen, nimmt die Widerspruchslösung auch nicht den Druck von den Angehörigen, sondern belässt ihnen die notwendige schwierige Gewissensentscheidung.

Im Ergebnis ist festzuhalten: Die Einführung einer Widerspruchslösung mutet jedem eine Erklärung zu, wenn er nicht zur Organspende bereit ist. Das könnte sich angesichts des wichtigen gesellschaftlichen Ziels der Organspende im Rahmen des verfassungsmäßig Zulässigen bewegen. Aber wegen des tiefen Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht muss der Staat diesen Schritt nicht gehen.

Der Staat kann im Rahmen der bisherigen Lösung vieles leisten. Wir haben noch Spielräume bei der Verbesserung der Bedingungen und der Organisation für die Organtransplantation. Das ist eine Frage von Aufsicht, Vergütung, Vernetzung und Regulierung, aber eben auch von Aufklärungsarbeit.

Wir brauchen daneben auch weiterhin Vertrauen in Gewissheiten. Die Transplantationsmedizin muss über jeden Zweifel erhaben sein. Sei es bei der wiederkehrend diskutierten Frage nach der Bestimmung des Hirntods wie auch der rechtssicheren Information der Angehörigen.

Mit vielen Maßnahmen lässt sich unter Geltung der jetzigen Rechtslage die Situation der Organspende verbessern. Eine Widerspruchslösung ist daher aus rechtlichen und ethischen Gründen mit Skepsis zu betrachten.

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