Redeauszug des Bundestagsabgeordneten Thomas Silberhorn in der Bundestagsdebatte zur Nationalen Sicherheitsstrategie vom 15.6.2023:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eineinhalb Jahre hat die Bundesregierung an dieser Nationalen Sicherheitsstrategie gebastelt. Man fragt sich unweigerlich, welche schwierigen Probleme Sie denn so lange gewälzt haben und zu welchen wegweisenden Antworten Sie gefunden haben. Aber dieses Papier enthält nicht allzu viel Neues.

Immerhin bekennt sich die Bundesregierung zur nuklearen Abschreckung und zum deutschen Beitrag dazu, nämlich im Rahmen der nuklearen Teilhabe Trägerflugzeuge für Nuklearwaffen ohne Unterbrechung bereitzustellen.

Nukleare Teilhabe darf nicht infrage gestellt werden

Das begrüße ich ausdrücklich; denn es war die SPD, die die nukleare Teilhabe viele Jahre lang infrage gestellt hat. Und es sind die Grünen, die die nukleare Teilhabe stets offen abgelehnt haben. Für diese Klärung ist die Nationale Sicherheitsstrategie der richtige Ort, weil hier eine Zustimmung weder der SPD-Bundestagsfraktion noch der Grünen-Bundestagsfraktion notwendig ist, meine Damen und Herren.

Wichtig ist auch, dass der Ausbau von militärischen Fähigkeiten zum Schutz vor Bedrohungen aus dem Cyberraum und aus dem Weltraum jetzt erstmals in einem Grundlagendokument aufgeführt wird. Das war im Weißbuch zur Sicherheitspolitik aus dem Jahr 2016 ja noch nicht möglich.

Aber all diese Aspekte sind längst bekannt; Ihre Strategie ist eine Beschreibung des Status quo. Stattdessen wären einige neue Ideen nötig gewesen, um die vom Bundeskanzler ausgerufene Zeitenwende auch in die Praxis umsetzen zu können. Welche Konsequenzen hat denn der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine für unsere Sicherheitsstrategie? Wie gehen wir mit den imperialistischen Bestrebungen Chinas um? Welche Lehren ziehen wir aus der Coronapandemie oder der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal? Diese Fragen erfordern neue Antworten, und zwar am Anfang einer Sicherheitsstrategie – bei der Bestimmung der strategischen Ziele – und am Ende einer Sicherheitsstrategie, bei der Umsetzung zur Erreichung dieser Ziele. Bei diesen beiden Kernaufgaben wird Ihr Dokument dem Titel und dem Anspruch einer Nationalen Sicherheitsregie leider nicht gerecht.

Ich will zwei Beispiele zu den Zielen unserer Sicherheitspolitik anführen. 

In Ihrem Papier heißt es: Die Bundesregierung strebt die Stärkung der europäischen Verteidigungs- und Handlungsfähigkeiten in Komplementarität zur NATO an.  

Das ist nicht falsch. Aber reicht das wirklich weiterhin aus? Setzen wir darauf, dass die USA, wie jetzt für die Ukraine, auch künftig mehr militärische Unterstützung in Europa leisten als alle Europäer zusammen?

Ich halte es für notwendig, dass wir unser Ziel europäischer Handlungsfähigkeit deutlich klarer fassen. Wir müssen doch an uns selbst den Anspruch stellen, unsere Verteidigung mit konventionellen Mitteln in Deutschland und Europa künftig aus eigener Kraft sicherzustellen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ein zweites Beispiel. Die Bundesregierung tritt weiter für Multilateralismus und eine freie internationale Ordnung auf Grundlage der UN-Charta ein. Das teilen wir hoffentlich alle. Aber was tut denn die Bundesregierung, wenn gegen diese Ordnung verstoßen wird? Wenn wir die regelbasierte internationale Ordnung erhalten wollen, dann müssen wir grundsätzlich bereit sein, den Bruch von Regeln zu sanktionieren und den Opfern völkerrechtswidriger Aggression beizustehen. Und wenn wir wollen, dass es mehr Demokraten und weniger Diktatoren auf dieser Welt gibt, dann müssen wir auch mit Staaten zusammenarbeiten, die nicht alle unsere sozialen Standards, unsere Menschenrechts- und unsere Umweltstandards teilen, anstatt sie in die offenen Arme von Autokraten zu treiben. Deshalb begrüße ich, dass Bundesminister Pistorius vergangene Woche mit Indien eine engere Kooperation auch bei Rüstungsvorhaben vereinbart hat, um Indiens militärische Abhängigkeiten von China und Russland zu reduzieren. Aber warum das sinnvoll ist, das hätte in einer Nationalen Sicherheitsstrategie durchaus einen Satz der Begründung verdient.

Meine Damen und Herren, für die Umsetzung einer Nationalen Sicherheitsstrategie in operative Praxis braucht es eine institutionelle Grundlage. Krisenmanagement erfordert Führung aus einer Hand; das gilt für die Koordinierung innerhalb der Bundesregierung, aber auch für die Koordinierung mit Ländern und Kommunen. An dieser Stelle enthält Ihre Nationale Strategie nichts. Außen steht jetzt der stolze Titel „Integrierte Sicherheit für Deutschland“, und innen ist diese Integration trotz eineinhalb Jahren Kompetenzgerangel schon an Bundeskanzler und Außenministerin gescheitert.

Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um Ressortabstimmung. Es geht darum, dass in einer Krisenlage ein einheitliches Lagebild erstellt wird, klare Handlungsaufträge erteilt werden und zur Ausführung dieser Aufträge die Koordinierung im Bund und mit Ländern und Kommunen gewährleistet werden kann. Diese Aufgabe kann sinnvollerweise nur beim Bundeskanzleramt angesiedelt sein.

Im Krisenfall wird die Richtlinienkompetenz zur Regel. – Ich darf mit einem Satz schließen, Frau Präsidentin. – Deshalb braucht das Bundeskanzleramt einen Nationalen Sicherheitsrat samt Arbeitsstab, der ressortübergreifend Lagebilder zusammenführt – – und Handlungsempfehlungen für das Bundeskanzleramt und das Kabinett erarbeitet.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

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