Rede zum Nato-Gipfel am 8./9. Juli 2016 in Warschau

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gipfel in Warschau fällt in eine wahrlich turbulente Zeit. Die Herausforderungen, darunter das Verhältnis zu Russland sowie der Krisengürtel, der vom Nahen Osten bis nach Nordafrika reicht, sind gewaltig. Daneben schaffen der internationale Terrorismus, der mitten unter uns wütet, wie wir mit Blick auf den furchtbaren Anschlag in Istanbul vor wenigen Tagen einmal mehr erleben mussten, die Verbreitung ballistischer Raketen und die Bedrohung durch Cyberangriffe eine neue, komplexe Unsicherheit, in der konkrete Gegenmaßnahmen immer schwerer zu finden sind.

Kurz: Die NATO befindet sich in der schwierigsten Phase seit dem Ende des Kalten Krieges. Genau aus diesem Grund muss eine zentrale Botschaft in Warschau sein, dass wir weiterhin gemeinsam auf diese Veränderungen reagieren. Das wichtigste Signal nach außen muss unsere Geschlossenheit sein. In Zeiten wie diesen, in denen wir große sicherheitspolitische Aufgaben in Angriff nehmen, müssen Allianz und Partnerschaften wachsen, an Rückgrat gewinnen – zum einen aus den pragmatischen Gründen, aus der simplen Logik, dass man gemeinsam mehr erreicht als allein, zum anderen aufgrund der schlichten Erkenntnis, dass der Rückzug, die Einigelung, der Ausruf „Das geht mich nichts an“ oder „Wir können das auch alleine“ in der heutigen Welt, bei den aktuellen Bedrohungen nicht mehr möglich sind.

Das Votum der Briten für den Austritt aus der EU erscheint vor diesem Hintergrund besonders gravierend. Aber auch wenn es eine tiefe Zäsur darstellt, ist es nicht das Ende Europas und erst recht nicht das Ende unserer sicherheitspolitischen Beziehungen zu Großbritannien. Wir werden weiterhin sehr eng mit den Engländern zusammenarbeiten, gerade im Rahmen der NATO.

Auch bei uns und in den anderen europäischen Ländern gibt es Stimmen, die sagen: Die Kosten einer Allianz wie der NATO sind höher als ihr Nutzen. – Teilweise wird die Idee der transatlantischen Partnerschaft rundheraus abgelehnt. Ängste vor einer zu großen Dominanz der USA oder klassischer Antiamerikanismus sind treibende Kräfte der NATO-Kritiker. Die inhaltliche und sprachliche Nähe von Frau Wagenknecht und der Linken auf der einen Seite und von Herrn Höcke, AfD, auf der anderen Seite

(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Unverschämtheit! – Zurufe von der LINKEN: Oh, oh!)

finde ich in diesem Zusammenhang besonders bemerkenswert und wirklich entlarvend.

(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie schieben die Flüchtlinge ab! Sie halten die Flüchtlinge ab! Sie machen die Politik! Rechte Politik machen Sie!)

Dem möchte ich entgegensetzen: Die NATO ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis, durch das sich die Mitgliedsländer gegenseitig stützen; sie ist auch eine Wertegemeinschaft freier Staaten. Gemeint ist damit, dass wir geeint sind in unseren demokratischen Prinzipien und dass freie Rede und offene Diskussion die Basis aller Bündnisbeschlüsse sind. Hier muss, wenn nötig, auch Kritik geäußert werden. So ist beispielsweise das Verhindern eines Besuchs deutscher Abgeordneter bei unseren Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Incirlik, in einem NATO-Partnerland, indiskutabel und muss bei der NATO entsprechend angesprochen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Diskussionen über die Prioritätensetzung angesichts gleichzeitiger Unsicherheiten im Osten und im Süden waren sehr lehrreich. Wie soll die NATO reagieren, wenn die Bedrohungsempfindungen der Mitglieder divergieren? Welche unterschiedlichen Antworten sind möglich, wenn sie zeitgleich gegeben werden müssen? Mit der schnellen Einigung auf die Mission in der Ägäis – übrigens ein Beispiel dafür, dass Frau von der Leyen die Dinge sehr gut im Griff hat, lieber Herr Hofreiter – sowie auf die Unterstützung Jordaniens hat die NATO gezeigt, dass sie keinesfalls auf den Osten fixiert ist, sondern auch im Süden entschlossen reagiert. Islamistischer Terror, bei dem Gewalt zum Selbstzweck geworden ist, aber auch Staatszerfall und Flüchtlingskrise fordern uns an der Südflanke in besonderem Maße. Eine ausschließlich militärische Antwort greift zu kurz. Weitere Anpassungen unserer Instrumente zur Stabilisierung der Region und eine enge Abstimmung mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union werden notwendig sein.

Mit Blick auf russische Realitäten und die Sorgen unserer Bündnispartner im Osten möchte ich auf eine Tatsache hinweisen, die in der Mitte oder im Süden Europas gelegentlich in Vergessenheit gerät: Entfernung spielt eine Rolle. So trennt der Fluss Narva nicht nur Russland und Estland, sondern ist heute auch Trennungslinie zwischen Russland und der NATO. Außerdem befindet sich hier seit dem 1. Mai 2004 eine östliche Außengrenze der Europäischen Union. Glaubt man Experten, dann kann Russland in nur 60 Stunden das Baltikum überrennen. Selbst wenn ein solches Vorgehen hochgradig irrational wäre, muss man diese Fähigkeiten beachten und das Bedrohungsgefühl in Litauen, in Lettland, in Estland oder in Polen gerade mit Blick auf die Geschichte ernst nehmen. Das hat der Kollege Hofreiter ja sehr gut dargestellt.

Ich möchte betonen: Vier ständige, rotierende Kampfbataillone im Osten des Bündnisgebietes sind dringend notwendig und stehen als begrenzte Militärpräsenz im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte. 4 000 Soldaten sind wirklich kein Grund für Moskau, sich bedroht oder eingekreist zu fühlen. Sollte das wirklich so sein, wird das dem sonstigen militärischen Selbstbewusstsein der Russischen Föderation nicht gerecht. Bei all den Diskussionen der letzten Tage sollte eines klar sein – Generalsekretär Stoltenberg betont dies zu Recht immer wieder –: Die NATO sucht keine Konfrontation mit Russland. Die NATO reagiert auf russisches Handeln mit Maß, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber reagieren müssen wir, um glaubhaft zu demonstrieren, dass Bündnissolidarität weiterhin oberste Priorität hat. Natürlich müssen dabei die Abschreckungsanstrengungen mit Augenmaß erfolgen. Leider hat Russland in der Vergangenheit klassische Instrumente der Konfliktverhütung ignoriert, wie die Absage eines Treffens des NATO-Russland-Rates noch vor dem Warschauer Gipfel zeigt.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zudem auf eines hinweisen: Die NATO veröffentlicht auf ihrer Website alle Informationen zu ihren geplanten und vergleichsweise bescheidenen Manövern. Sie hält sich damit strikt an das Wiener Dokument der OSZE zur Beobachtung und Kontrolle von Manövern. Nicht so Russland: Übungen ohne Vorwarnungen in Grenznähe, sogenannte Snap Drills, häufen sich. 2016 wurden bereits acht unerwartete russische Übungen mit massivem Truppeneinsatz durchgeführt. Solche Provokationen können zu fatalen Fehlkalkulationen führen. Wir brauchen eine umfassende Transparenz der Manöver, um das Eskalationspotenzial so weit wie möglich kleinzuhalten. Gesprächskanäle und Möglichkeiten zur Kooperation gilt es immer aufrechtzuerhalten. Es ist wichtig, dass wir nicht ausschließlich übereinander reden, sondern auch miteinander.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Florian Hahn (CDU/CSU):

Wenn der Kreml Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit zeigt, dann steht die Tür weit offen. Bis dahin muss aber das Signal sein, dass wir geschlossen hinter den verteidigungspolitischen Maßnahmen der NATO stehen. Eine Doppelstrategie aus Abschreckung und ausgestreckter Hand hat sich schon in der Vergangenheit bewährt.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Florian Hahn (CDU/CSU):

Deutschland hat 60 Jahre lang von der NATO profitiert. Das Bündnis war ein Garant für Frieden, Freiheit, Sicherheit und territoriale Integrität. Gerade in Berlin erinnern sich viele an den Sinn und Zweck faktischer militärischer Präsenz der NATO-Verbündeten. Das sollten wir uns immer wieder vor Augen halten.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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