Rede zu effektivere und praxistauglichere Strafverfahren

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strafverfolgung ist ein wesentlicher Teil des rechtsstaatlichen Handelns. Wenn Straftaten begangen werden, dann ist der Staat den Opfern schuldig, dafür zu sorgen, dass die Täter ermittelt werden und dass spürbare Sanktionen verhängt werden. Das ergibt sich aus seinen Schutzpflichten, und dafür hat er auch das Gewaltmonopol. Dafür sorgen eine unabhängige Justiz und handlungsfähige Strafverfolgungsbehörden. Aber in der Praxis ist das nicht so einfach, sondern es gibt da offenbar auch Defizite.

Die Praxis zeigt, dass wir da teilweise an den Belastungsgrenzen angekommen sind. Taten werden nicht aufgeklärt. Gestern haben wir in der Anhörung zum Wohnungseinbruchsdiebstahl gehört, dass die Aufklärungsquote bei diesem Delikt unter 20 Prozent liegt. Gerichtsverfahren dauern lange. Es kommt vor, dass Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die sechsmonatige Frist nicht eingehalten werden kann. Es werden viel zu viele Verfahren eingestellt, bei denen es eigentlich gut gewesen wäre, eine Gerichtsverhandlung durchzuführen – damit sie einen bleibenden Eindruck bei dem Täter hinterlässt, damit das Opfer ihm in die Augen blicken kann, damit es einen Ausgleich geben kann. Auch unter Gesichtspunkten der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit wäre es besser, wenn nicht so viele Verfahren eingestellt würden.

Es wird kritisiert, dass Deals gemacht werden. Oft ist der Hintergrund, dass die Arbeitsbelastung zu hoch ist, dass sich abzeichnet, dass ein Verfahren rechtlich und auch tatsächlich sehr kompliziert wird. All das trägt natürlich nicht dazu bei, dass sich die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen in der Bevölkerung erhöht. Es trägt auch nicht zu mehr Gerechtigkeit bei.

Das Problem liegt in einer sehr hohen Arbeitsbelastung der Gerichte, der Ermittler, der Staatsanwälte und der Justizangestellten. Deshalb haben wir uns in Nordrhein-Westfalen für die neue Koalition vorgenommen, hier à la longue ganz deutlich aufzurüsten, sowohl, was die personelle Ausstattung angeht, als auch, was die technische Ausstattung angeht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

– Das ist schon mal einen Applaus wert; das finde ich auch.

Dabei zeigt der Vergleich, dass wir mit der Anzahl von 24 Richtern pro 100 000 Einwohner gar nicht so schlecht dastehen. Wir wissen auch, dass sich diese Zahlen nicht beliebig steigern lassen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite die Ressourcen verbessern; auf der anderen Seite wird es darauf ankommen, mit den knappen Ressourcen sorgsam umzugehen, diese Ressourcen sinnvoll und vor allem effizient einzusetzen. Das ist ein Beitrag zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr Vertrauen in den Rechtsstaat und auch zu mehr Gerechtigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist durchaus erkennbar, dass bei uns noch Potenzial vorhanden ist. Ein Vergleich: Das Landgericht Hamburg hatte einen Fall abzuurteilen, in dem es um Piraten ging, die am Horn von Afrika ein deutsches Schiff angegriffen hatten. Für das Verfahren waren 106 Hauptverhandlungstage angesetzt, die Kosten: 4,5 Millionen Euro. Bei einem vergleichbaren Fall in Frankreich dauerte die Hauptverhandlung drei Wochen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt doch sehr auf die Beweislage an, Frau Kollegin! Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!)

Da zeigt sich eine gewissen Unwucht und dass wir in diesem Bereich auf jeden Fall noch Potenzial haben; denn Frankreich wird man sicherlich nicht nachsagen können, dass dort der Rechtsstaat nichts gilt; ganz im Gegenteil. Wir haben deshalb schon im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir in den Strafverfahren, in den Jugendstrafverfahren, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze selbstverständlich, die Verfahren praxistauglicher ausgestalten wollen. Das ist der rote Faden, der sich durch die Regelungen zieht, die wir Ihnen heute zur Abstimmung vorlegen.

Es beginnt beim Ermittlungsverfahren. Wir schaffen – die Kollegin Bähr-Losse hat es schon dargestellt – damit eine sichere Rechtsgrundlage für Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchungen. Es ist einfach Unsinn, wenn die Ermittlungsbehörden bei ihrer Arbeit nicht die Möglichkeit haben, sich daran zu orientieren, wie Täter und Banden heutzutage agieren. Derzeit heißt es zu oft, dass wir dem Täter nicht auf die Spur kommen können. Mit Telekommunikation herkömmlicher Art bekommen wir eigentlich nur noch mit, wer gerade welche Pizza bestellt, wir erfahren aber nicht mehr, was die Bandenmitglieder verabreden, um ein Verbrechen oder einen Angriff zu begehen, möglicherweise sogar einen terroristischen Anschlag zu planen.

Es ist aus den genannten Gründen notwendig, dass wir für die Maßnahmen eine klare Rechtsgrundlage schaffen. Sie beinhalten zugegebenermaßen schon auch Eingriffe in die Grundrechte, aber sie sind an klare Voraussetzungen gebunden, nämlich dass Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer schweren Straftat ist. Ein paar Beispiele dafür, um welche Taten es gehen kann: Terrorismus, Geldwäsche, Abgeordnetenbestechung, Kinderpornografie, Mord, Bandendiebstahl. In solchen Fällen können die Maßnahmen wichtige und unverzichtbare Anhaltspunkte liefern, und dann sind sie auch verhältnismäßig, und dann sind sie auch gerechtfertigt. Es sind die hohen rechtlichen Hürden und auch die hohen technischen Hürden, die dafür sorgen, dass eine Maßnahme nie und nimmer zu einer Standardmaßnahme werden kann. Vielmehr handelt es sich um sehr gezielte Maßnahmen, die allenfalls in wenigen Einzelfällen zum Einsatz kommen.

Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass eine Maßnahme zu einer Standardmaßnahme werden könnte. Weder die rechtlichen Voraussetzungen lassen diesen Schluss zu, noch die Erfahrungen mit diesem Instrument im präventiven Bereich. Mit den Maßnahmen wird sehr restriktiv umgegangen, und genauso wird das – das ist meine feste Überzeugung – hier im Bereich der Ermittlungen, im Bereich der Strafverfolgung geschehen.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine falsche Überzeugung!)

Es wird außerdem Vereinfachungen im Ermittlungsverfahren geben. Auf den Richtervorbehalt bei der Blut­entnahme im Zusammenhang mit Verkehrsstraftaten kann guten Gewissens verzichtet werden, weil der telefonisch erreichte Richter im Zweifel ohnehin nur das bestätigen kann, was ihm der Polizeibeamte vor Ort schildert.

Wir schaffen die Pflicht von Zeugen, bei der Polizei zu erscheinen. Wir regeln die Erfassung von sogenannten DNA-Beinahetreffern, wo es Sinn macht. Wir hätten gerne auch noch die DNA-Analyse in Bezug auf Merkmale wie Augenfarbe oder Haarfarbe aufgenommen, aber dazu sah sich das Justizministerium leider nicht in der Lage.

In einem nächsten Schritt haben wir Beschleunigungen für den Gang des Verfahrens vorgesehen. Es gibt häufig den Fall, dass Befangenheitsanträge und Beweis­anträge eher taktisch gestellt werden. Das Gericht soll blamiert werden, als hilflos vorgeführt werden, indem man mal zuerst mit einem Befangenheitsantrag beginnt und den ganzen Zeitplan durcheinanderbringt.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die doch befangen sind, die Richter?)

Wir haben jetzt geregelt, dass wenigstens bis zur Verlesung der Anklageschrift erst einmal weitergemacht werden kann. Danach wird sich alles Weitere finden. Beides führt zu mehr Effizienz ohne substanzielle Eingriffe in die Rechte des Angeklagten oder Nachteile für die Wahrheitsfindung.

Der letzte Schritt. Bei den Sanktionen haben wir in Zukunft die Möglichkeit, ein Fahrverbot als Nebenstrafe festzusetzen; denn häufig ist es so, dass zum Beispiel eine Bewährungsstrafe doch nur als Freispruch zweiter Klasse empfunden wird. Hier brauchen wir eine zusätzliche Sanktion, die auch für den Täter spürbar ist – ohne die Nachteile einer Haftstrafe.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

So bin ich optimistisch, dass wir mit diesem Paket schon einiges erreichen, liebe Frau Präsidentin.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD])

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