I. Zur Situation:
Zwischen der Verbreitung der deutschen Sprache als Muttersprache in Europa und ihrer Verwendung in der EU klafft eine deutliche Lücke. Allein in den EU-Mitgliedstaaten sprechen rund 91 Millionen Menschen Deutsch als Muttersprache (Englisch: 62 Millionen; Französisch: 58 Millionen). Faktisch spielt die deutsche Sprache in der EU jedoch nur eine untergeordnete Rolle, obwohl Deutsch neben Englisch und Französisch eine der drei Verfahrenssprachen der EU ist:
- Bei der Übersetzung von Vorlagen der Kommission ins Deutsche ist seit einiger Zeit eine Abnahme festzustellen. Auch sind nur rund drei Prozent der Schreiben, die die EU-Kommission jährlich an die Mitgliedsstaaten verschickt, auf Deutsch verfasst.
- Ähnliches gilt für Folgenabschätzungen: von diesen wird meist nur eine Zusammenfassung in allen Sprachen vorgelegt, während die wesentlich umfangreicheren Einzelangaben ausschließlich auf Englisch verfügbar sind.
- Die rund 240.000 Ausschreibungen der EU werden fast ausschließlich auf Englisch und Französisch verfasst.
- Das Vergabehandbuch Europe-Aid, das die Grundlage für die Teilnahme an Ausschreibungen im Rahmen der Außenhilfeprogramme bildet, liegt nach wie vor nicht auf Deutsch vor, dagegen neben Englisch und Französisch auch auf Portugiesisch und Spanisch.
- Das Internetangebot der Kommission – etwa zu den wichtigen Bereichen Forschung, Kultur und zu Beihilfen – liegt in vielen Fällen nur einsprachig und nicht auf Deutsch vor. Im Rahmen der „Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte“ konnten Projektanträge nur auf Englisch, Französisch und Spanisch eingereicht werden.
II. Die Benachteiligung der deutschen Sprache in der EU schadet deutschen Interessen
Wir fordern eine gezielte Stärkung der deutschen Sprache in der EU aus den folgenden Gründen:
a) Dem Subsidiaritätsprinzip gerecht werden
Der Vertrag von Lissabon spricht den nationalen Parlamenten eine wichtige Rolle bei der Prüfung europäischer Rechtsetzungsvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip hin zu. Der Deutsche Bundestag kann seiner Mitverantwortung nur gerecht werden, wenn alle prüfungsrelevanten Dokumente rechtzeitig und umfassend auf Deutsch vorliegen. Bereits heute gibt es zahlreiche EU-Dokumente, die aufgrund ihrer fehlenden Übersetzung ins Deutsche nicht im Deutschen Bundestag behandelt werden können. Dieser Missstand ist nicht länger hinnehmbar.
b) Wettbewerbsnachteile für den Mittelstand vermeiden
Die Tatsache, dass Ausschreibungen und Angebote nicht auf Deutsch vorliegen, bedeutet einen enormen Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen. Dies gilt besonders für kleine und mittlere Unternehmen, die in der Regel nicht über die Ressourcen verfügen, um EU-Unterlagen ins Deutsche übersetzen zu lassen.
c) Brückenfunktion der deutschen Sprache bewahren
In vielen mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten ist Deutsch die zweite Fremdsprache. Die kulturelle Verankerung der deutschen Sprache in diesen Ländern blickt auf eine lange Tradition zurück. Diese Brückenfunktion der deutschen Sprache muss auch mit der zunehmend engeren Anbindung Mittel- und Osteuropas an die EU erhalten bleiben.
d) Bürgernähe zeigen
Die unzureichende Möglichkeit, sich in ihrer Muttersprache über europäische Politik zu informieren und an dieser mitzuwirken, schwächt die Akzeptanz der EU bei deutschen Muttersprachlern und stellt ein unnötiges Hindernis für größere politische Einflussnahme deutschsprachiger EU-Bürger dar. Dies konterkariert die Ziele des von der Kommission im Jahr 2005 beschlossenen und im April 2008 neu aufgelegten „Plan D“, der den Dialog mit den EU-Bürgern stärken und das Wissen um die Arbeit der EU in den Mitgliedstaaten – unter anderem durch transparentere Vermittlung der EU-Politik - vertiefen soll.
III. Die CSU-Landesgruppe fordert: Gezielte Aufwertung der deutschen Sprache in der EU
Die CSU-Landesgruppe begrüßt nachdrücklich, dass Kommissionspräsident Barroso die Bedeutung der deutschen Sprache erkannt hat und sich diese in kurzer Zeit angeeignet hat. Die Landesgruppe wertet es weiterhin als ermutigendes Zeichen, dass auch mehrere Kommissare aus den neuen Mitgliedstaaten von der deutschen Sprache Gebrauch machen. Sie hält es aus den genannten Gründen gleichwohl für unverzichtbar, dass folgende sieben Forderungen zur Stärkung der deutschen Sprache in der EU zeitnah realisiert werden:
- Alle deutschsprachigen Akteure in den EU-Institutionen – Rat, Kommission, Europäisches Parlament – sollen im Rahmen ihrer Tätigkeit Deutsch als vorwiegende Arbeitssprache verwenden. Dies gilt insbesondere für herausgehobene Vertreter in der EU, wie das deutsche Mitglied in der EU-Kommission, der als Anwalt der deutschen Sprache innerhalb der EU wirken soll.
- Die EU-Institutionen sollen sicherstellen, dass sämtliche Unterlagen für Ausschreibungen und Vergaben zeitgleich zur englischen und französischen Fassung auf Deutsch vorliegen und deutschen Unternehmen – insbesondere dem Mittelstand – nicht länger Wettbewerbsnachteile durch fehlende Übersetzungen entstehen. Dies stellt eine massive Verletzung der Prinzipien der Wettbewerbsgleichheit und des offenen Marktzugangs dar.
- Die EU-Institutionen sollen dafür sorgen, dass für den Deutschen Bundestag beratungsrelevante Vorlagen in einem angemessenen zeitlichen Rahmen und in vollem Umfang auf Deutsch vorliegen. Die Übersetzungsstrategie der EU ist dahingehend zu überarbeiten, dass neben formalen auch politische Kriterien zur Entscheidung über die Übersetzung von Dokumenten herangezogen werden.
- Im Zusammenwirken mit den Ländern soll bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland zur Europäischen Union eine Anlaufstelle für deutschsprachige Bedienstete der EU-Institutionen geschaffen werden. An diese Stelle können sich Bedienstete im Falle von Diskriminierungen aufgrund der deutschen Sprache durch ihre Dienststelle wenden. Die ständige Vertretung setzt sich im Falle derartiger Diskriminierungen bei den Dienststellen für die betroffenen deutschsprachigen Bediensteten ein. Sie erstattet mindestens einmal jährlich gegenüber dem Deutschen Bundestag Bericht.
- Die Bundesregierung wird ersucht, im Benehmen mit den Ländern aktiv für eine weitere Verbreitung der deutschen Sprache unter den Bediensteten der EU-Institutionen zu werben. Hierzu können kostengünstige Sprachkurse und ein attraktives kulturelles Programm durch das Goethe-Institut sowie Sprachpatenschaften mit in Brüssel ansässigen Vertretern des Auswärtigen Dienstes und der Länder wichtige Anreize schaffen.
- Die Förderung der deutschen Sprache in der EU soll bereits bei jungen und zukünftigen Bediensteten der EU-Institutionen einsetzen. Die Bundesregierung wird ersucht, nach dem Vorbild der „Alliance Francaise“ kostenlose Sprachkurse für Entsandte Nationale Experten (END) und Stagiaires aus anderen EU-Mitgliedstaaten anzubieten. Ziel soll es sein, für Deutsch als junge und moderne Sprache zu werben und so ihre Stellung in der EU langfristig zu verbessern.
- Die politischen Bemühungen um eine Stärkung der deutschen Sprache in der EU müssen solange fortgesetzt werden, bis ihre rechtliche Gleichstellung mit dem Englischen und dem Französischen sich auch in der politischen Praxis durch das Vorhandensein eines echten Dreisprachenregimes widerspiegelt.