
Rede zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung
11.a) Erste Beratung Abg. Dr. Carola Reimann, Detlef Parr, Frank Spieth und weiterer Abg.
Zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung
- Drs 16/11515 -
Zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung
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11.c) Beratung Antrag Abg Jens Spahn, Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faust und weiterer Abg
Ausstiegsorientierte Drogenpolitik fortführen - Künftige Optionen durch ein neues Modellprojekt zur heroingestützten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger evaluieren
- Drs 16/12238 -
Ausstiegsorientierte Drogenpolitik fortführen - Künftige Optionen durch ein neues Modellprojekt zur heroingestützten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger evaluieren
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Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dieser Rede ist es schwer, sachlich zu bleiben. Ich werde mich trotzdem darum bemühen, auch wenn Sie diese Sachlichkeit haben vermissen lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Was?)
In Deutschland leben zurzeit schätzungsweise 140 000 Opiatabhängige. Das sind 140 000 Menschen, die nicht mehr von der Droge loskommen und daher unserer Hilfe bedürfen. Von den 140 000 Abhängigen befinden sich 60 000 in Behandlung, 90 Prozent davon in Substitutionsprogrammen. Das ist kein schlechter Wert, wenn man das mit der Versorgungslage bei anderen Abhängigkeiten vergleicht. Studien belegen zum Beispiel, dass nur 5 bis 10 Prozent der Alkoholabhängigen behandelt werden.
1998 vereinbarte die rot-grüne Bundesregierung im Koalitionsvertrag einen Modellversuch zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger. Dadurch sollte überprüft werden, ob sich der Gesundheitszustand der Patienten verbessert, wenn ihnen Heroin statt Methadon verabreicht wird. Auch die Auswirkung der Heroinsubstitution auf den Konsum von Straßenheroin war Untersuchungsgegenstand.
Im vorliegenden Gesetzentwurf der Gruppe um die Kollegen Reimann, Parr und andere sowie im Gesetzentwurf des Bundesrates wird nun gefordert, im Zuge dieses Modellprojekts die Diamorphinbehandlung in die Regelversorgung zu überführen. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat sich mit Beschluss vom 26. November 2007 aus guten Gründen dagegen ausgesprochen. Stattdessen haben wir vorgeschlagen, die Heroinbehandlung im Rahmen eines neuen Modellvorhabens mit dem Ziel weiterzuführen, die offenen Fragen zu klären. Viele Fachleute unterstützen uns in dieser Haltung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die SPD und das Bundesgesundheitsministerium haben unseren Vorschlag aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt.
(Elke Ferner [SPD]: Ich hätte Ihnen mehr Verstand zugetraut!)
Für die Entscheidung der Union waren schwerwiegende fachliche Argumente gegen die Heroinsubstitution ausschlaggebend.
(Elke Ferner [SPD]: Das wäre ja etwas Neues, Frau Eichhorn!)
Diese wurden von Sachverständigen der Wissenschaft, der Ärzte und der Krankenversicherungen – Sie waren selbst dabei – im September 2007 in einer Anhörung im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht. Für viele Experten lassen die Ergebnisse der Studie keinen sicheren Schluss auf eine Überlegenheit von Heroin gegenüber Methadon bei Schwerstabhängigen zu. Bei der Verbesserung des Gesundheitszustandes der Patienten und dem Rückgang des illegalen Drogenkonsums ergaben sich zwar statistisch signifikante Unterschiede zugunsten der Heroinsubstitution; diese sind jedoch so gering, dass sie nach Meinung der Experten
(Detlef Parr [FDP]: Welcher Experten? – Frank Spieth [DIE LINKE]: Das sieht der Bundesrat ja offenkundig ganz anders!)
für die Praxis kaum von Bedeutung sind und eine erhebliche Zunahme der Heroinsubstitution zulasten der Methadonsubstitution nicht rechtfertigen.
(Zuruf der Abg. Sabine Bätzing [SPD])
– Ich komme darauf noch zu sprechen.
Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund einer unterschiedlichen Erwartungshaltung bei den Patienten. Erfahrene Substitutionsärzte weisen darauf hin, dass Patienten oft bereits in Erwartung der Behandlung von einem besseren Gesundheitszustand berichten, wenn Behandlungsmethode und Behandlungsziel ihren Wünschen entsprechen.
Vergessen werden darf auch nicht, dass die starke Giftwirkung des Heroins zu einer erheblichen Komplikationsrate führt, die es bei Methadon nicht gibt. Atemdepressionen sind die häufigste Todesursache bei Opiatsüchtigen. Sie traten im Modellprojekt bei 23 Heroinpatienten und nur bei einem Patienten der Methadongruppe auf. Krampfanfälle gab es bei 63 Heroin-, aber nur bei einem Methadonpatienten. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Auch der Beikonsum illegaler Drogen wie Kokain hat sich im Vergleich zur Methadonsubstitution nicht wesentlich verändert. So stellt sich die Frage, warum jeder dritte Heroinpatient weiterhin illegal Drogen konsumierte, obwohl ihm Heroin legal zur Verfügung gestellt wurde. Dies geschieht – zugespitzt gesagt – ganz nach dem Motto: Eine Ration vom Staat und eine Ration vom Dealer.
(Detlef Parr [FDP]: Wo bleibt denn da die Sachlichkeit? – Weiterer Zuruf von der SPD: Unerhört!)
– Herr Parr, da Sie ständig unsachlich waren, darf auch ich einmal einen etwas emotionaleren Satz sagen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Detlef Parr [FDP]: Dann dürfen Sie uns nicht angreifen! Wenn Sie unsachlich sind, darf ich mir das auch erlauben!)
Damit bleibt – entgegen den Behauptungen der Vertreter des Modellprojektes – trotz Heroinsubstitution ein großer Teil der Patienten in der Drogenszene.
Darüber hinaus sind weitere Aspekte ungeklärt. Fachleute weisen darauf hin, dass die Kriterien für die Aufnahme der Diamorphinbehandlung zu ungenau sind. Die meisten der heute in Behandlung befindlichen Methadonpatienten würden die vorgegebenen Kriterien zur Heroinbehandlung erfüllen.
Die Zahlen gehen weit auseinander. Wer sich für die Heroinsubstitution ausspricht, redet die Zahl möglichst klein. In der Anhörung dagegen haben die Krankenkassen – Sie haben es selbst gehört – von einer Zahl von bis zu 80 000 Personen gesprochen.
(Lachen der Abg. Sabine Bätzing [SPD])
Damit bestünde nicht nur die Gefahr einer unsachgemäßen Ausweitung der Behandlung mit Heroin, sondern auch die Kosten für die Krankenkassen würden in eine für die Beitragszahler nicht zumutbare Größenordnung steigen.
(Frank Spieth [DIE LINKE]: Umgekehrt wird ein Schuh draus!)
Eine Heroinbehandlung kostet dreimal so viel wie eine Behandlung mit Methadon. Die Möglichkeiten, die weitaus günstigere Methadonbehandlung auszubauen, sind längst nicht ausgeschöpft.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist schwer zu ertragen!)
So werden in der Schweiz zwei Drittel der Heroinabhängigen mit Methadon behandelt, bei uns nur ein Drittel bis zur Hälfte. Das ist Tatsache.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Eichhorn.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Sofort. – Deswegen fordern wir in unserem Antrag eine klare Definition der Aufnahmekriterien, damit die Behandlung mit Diamorphin tatsächlich nur als Ultima Ratio durchgeführt wird. – Bitte sehr.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Nouripour würde gerne eine Zwischenfrage stellen. – Bitte schön.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Kollegin, wären Sie bereit, mit mir in meinen Wahlkreis nach Frankfurt zu kommen und ein Gespräch mit der Dezernentin für Gesundheit in der Stadt, Frau Rottmann,
(Elke Ferner [SPD]: Nein!)
und vor allem mit der Oberbürgermeisterin der Stadt, Frau Petra Roth – meines Wissens
(Frank Spieth [DIE LINKE]: CDU!)
CDU-Mitglied –, zu suchen, um sich darüber zu erkundigen, ob das, was Sie hier berichten, irgendetwas mit der Realität zu tun hat?
(Detlef Parr [FDP]: Gute Frage!)
Wären Sie, wenn es zwischen Ihrer Rede und der Situation vor Ort tatsächlich eine Differenz geben sollte, bereit, sich überzeugen zu lassen, dass wir vor Ort tatsächlich andere Argumente gelten lassen müssen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, dass ich meine Arbeit so verstehe, dass ich mich vor Ort, dort, wo die Praxis die Tagesordnung bestimmt, immer informiere. So habe ich mich zum Beispiel in München, wo ein Heroinsubstitutionsmodellprojekt betrieben wird, erkundigt und mit den Abhängigen gesprochen. Ich habe aber auch erfolgreiche Einrichtungen zur Methadonsubstitution besucht.
(Detlef Parr [FDP]: Sicher gibt es die!)
Ich habe festgestellt – das ist klar –: Derjenige, der Heroin bekommt, will es weiterhin haben. Ich habe auch festgestellt, Herr Kollege, dass diejenigen, die vom Heroin losgekommen sind und es geschafft haben, wieder ein eigenständiges Leben zu führen, darüber todfroh waren.
(Frank Spieth [DIE LINKE]: „Todfroh“!)
Ich gestehe Ihnen zu, dass mich das sehr bewegt hat.
(Mechthild Rawert [SPD]: Fahren Sie nun nach Frankfurt?)
Ich habe die Entscheidung meiner Fraktion nicht auf die leichte Schulter genommen. Es geht darum, den Menschen zu helfen, ein Leben ohne Heroin führen zu können; die meisten wollen das auch. Das können wir auch durch eine gute Methadonbehandlung erreichen. Hier sind viele Möglichkeiten noch nicht vollständig ausgeschöpft.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Carola Reimann [SPD]: Unglaublich! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Dagegen ist doch keiner!)
Oberstes Ziel jeder Drogentherapie ist und bleibt – das ist nicht nur die Auffassung unserer Fraktion – der Ausstieg aus dem Drogenkonsum. Jeder Heroinabhängige wird Ihnen, wenn sie ihn fragen, bestätigen, dass er von der Droge loskommen will. Nach § 5 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung dient die Substitutionsbehandlung dem Ziel der schrittweisen Wiederherstellung der Abstinenz einschließlich der Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustands.
Durch die Diamorphinvergabe im Rahmen des Modellprojekts konnten nur 8 Prozent der teilnehmenden Drogenabhängigen in eine Abstinenztherapie überführt werden. Daher fordern wir, dass eine neue Studie durchgeführt wird, in der es auch um die Frage geht, inwieweit sich die Gabe von Diamorphin mit dem Ziel des Ausstiegs aus der Sucht vereinbaren lässt.
Im vorliegenden Gesetzentwurf der Gruppe um Frau Reimann wird behauptet, es gebe zur Diamorphinbehandlung keine Alternative. Dies sehen viele Experten und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion anders. Viele Sachverständige vertreten die Meinung, dass mit psychosozialer Betreuung bei der Methadonsubstitution ähnlich gute Erfolge erzielt werden können wie mit der Heroinsubstitution; davon habe ich mich vor Ort überzeugt. Daher fordern wir den Ausbau der Methadonbehandlung und der psychosozialen Betreuung, und zwar im gleichen Umfang, wie sie im Rahmen der Studie bei der heroingestützten Behandlung erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, für übereilte Entscheidungen besteht keine Veranlassung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage, diesmal von Frau Caspers-Merk.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Bitte.
Marion Caspers-Merk (SPD):
Liebe Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Rahmen des Modellprojekts, das eine klare Überlegenheit im Hinblick auf die Überlebensrate
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Falsch!)
und im Hinblick auf die gesundheitliche Struktur der Abhängigen zum Ergebnis hatte,
(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Auch falsch!)
je zur Hälfte klassische Methadonsubstitution und Diamorphinsubstitution durchgeführt wurde
(Detlef Parr [FDP]: So ist es!)
und dass in beiden Fällen dieselbe psychosoziale Behandlung stattgefunden hat,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
sodass Ihre Forderung, die Methadonbehandlung mit einer verbesserten psychosozialen Behandlung zu kombinieren, unsinnig ist?
Das Interessante ist doch, dass es sich um eine klinische Studie handelt, bei der die gleichen Randbedingungen vorherrschten und die so angelegt war, dass wir, falls es sich hier um die Zulassung eines Medikaments gehandelt hätte, ein solches nach unseren Regelungen hätten zulassen müssen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Das stimmt doch gar nicht!)
Das war einer der Gründe, warum diese Studie zu diesen Ergebnissen führte. Das können auch Sie nicht kleinreden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Das ist doch umstritten! Die Experten haben doch unterschiedliche Meinungen!)
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Frau Abgeordnete, natürlich weiß ich, dass die Methadon- und die Heroinsubstitution unter gleichen Bedingungen durchgeführt wurden. Wie ich bereits dargelegt habe, waren die Unterschiede aber nicht so groß, dass es gerechtfertigt wäre, die Diamorphinbehandlung in die Regelversorgung zu überführen;
(Sabine Bätzing [SPD]: Wissen Sie auch, warum diese Ergebnisse herausgekommen sind?)
das ist der erste Aspekt. Hier setzen wir an.
Der zweite Punkt, den ich betonen will, ist, dass bei der Methadonsubstitution in der heutigen Praxis in den meisten Fällen keine psychosoziale Betreuung stattfindet. Aus diesem Grunde kommen viele Betroffene in eine schwierige Lage. In diesem Fall verlangen sie eine Heroinsubstitution, obwohl ihnen schon vorher mit einer guten Methadonbehandlung hätte geholfen werden können.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für übereilte Entscheidungen besteht keine Veranlassung. Auch ohne Mitfinanzierung durch den Bund ist die Versorgung der bisherigen Heroinpatienten durch die Städte gesichert; auch das Bundesgesundheitsministerium hat dies bestätigt.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das Ministerium ist gar nicht vertreten!)
Die Patienten werden seit dem 1. Januar 2007 und auch weiterhin auf der Basis einer Ausnahmeerlaubnis mit Diamorphin behandelt. Kein einziger Patient musste auf seine Behandlung verzichten.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Karlsruhe, Köln und Frankfurt haben sogar Genehmigungen für die Aufnahme neuer Patienten erhalten. Deswegen ist es ungeheuerlich, wenn gesagt wird, dass aus christlicher und moralischer Perspektive die Haltung der Union nicht vertretbar sei.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Wir wollen in erster Linie den Ausstieg aus der Droge. Das ist die beste Hilfe für die Heroinsüchtigen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
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