CSU-Landesgruppenvorsitzender Alexander Dobrindt erläutert im Interview mit der Berliner Morgenpost/ Funke Mediengruppe die gemeinsamen Beschlüsse von CDU und CSU und stellt klar, dass die CSU nur in eine Koalition eintritt, die sicherstellt, dass unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland nicht mehr möglich ist.

Berliner Morgenpost: Nach zähen Verhandlungen haben sich die Unionsparteien auf eine gemeinsame Linie für die Koalitionsgespräche mit FDP und Grünen verständigt. Die Kernforderung der CSU, eine Obergrenze für Flüchtlinge, ist darin allerdings nicht enthalten. Sind Sie als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet, Herr Dobrindt?

Alexander Dobrindt: Nein, wie kommen Sie darauf? Ich betone seit Langem: Die Obergrenze ist deutlich komplexer als die Verengung auf ein Wort. Sie hat einen thematischen Unterbau, der eine Begrenzung der Flüchtlinge auf maximal 200.000 ermöglicht. Den haben wir jetzt zwischen CSU und CDU vereinbart. Dazu zählen die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten, die Begrenzung des Familiennachzugs – und vor allem die Einrichtung von Entscheidungs- und Rückführungszentren in ganz Deutschland.

Jeder Flüchtling, der hierherkommt, muss sich in diesen Transitzonen aufhalten, bis sein Antrag geprüft ist. Bei Ablehnung wird er direkt zurückgeführt. Mit unserem Regelwerk der Migration können wir garantieren, dass eine Situation wie 2015 nicht mehr eintritt.

Die Grünen müssen akzeptieren, dass ihre Chance darin besteht, einer bürgerlichen Regierung von CDU, CSU und FDP beizutreten

Die 200.000 sind keine Obergrenze, sondern ein flexibler Richtwert.

Dobrindt: Klarer Widerspruch! Die Zahl von 200.000 Flüchtlingen im Jahr ist die maximale Zahl. Sie wird nicht überschritten. Unser Interesse muss sein, dass wir deutlich darunter bleiben. Wenn es besondere Herausforderungen gibt wie eine abnehmende wirtschaftliche Konjunktur und damit die Integrationsfähigkeit unseres Landes sinkt, hat der Bundestag die Möglichkeit, diese Grenze zu senken. Dadurch finden auch Debatten über Zuwanderung wieder da statt, wo sie hingehören, nämlich im Deutschen Bundestag.

Das Parlament kann die Grenze auch erhöhen.

Dobrindt: Denken Sie an eine Situation wie auf dem Balkan in den neunziger Jahren. Wenn Krieg in unserer Nachbarschaft ausbricht, kann zeitweise zusätzliche Hilfe notwendig sein. Dann kann der Bundestag auch darauf reagieren.

Wenn der festgelegte Wert erreicht ist – weisen Sie dann alle weiteren Flüchtlinge zurück?

Dobrindt: Die Diskussion, was passiert mit dem einen Flüchtling, der die Obergrenze überschreitet, ist rein theoretisch. Wenn das Regelwerk angewendet wird, werden garantiert weniger als 200.000 Flüchtlinge im Jahr kommen, beziehungsweise aus den Entscheidungs- und Rückführungszentren direkt zurückgeführt. Übrigens werden Flüchtlinge auch in die Länder überführt, die eigentlich zuständig sind – beispielsweise die EU-Länder, bei denen sie als erstes aufgeschlagen sind. Wir wollen, dass die Zahlen dauerhaft massiv gesenkt werden. Bis vor Kurzem hätte es kaum jemand für möglich gehalten, dass sich die Unionsparteien auf diese Forderung der CSU verständigen.

Wie lange hält der Frieden zwischen den Parteichefs Merkel und Seehofer?

Dobrindt: Ich habe das Gefühl, dass bei der CDU nach der Bundestagswahl ein Erkenntnisprozess eingesetzt hat. Der Wähler hat uns einen klaren Auftrag erteilt. Ganz oben steht: die offenen Fragen bei der Zuwanderung zu lösen. Unser gemeinsames Regelwerk leistet das. Wenn grüne Politiker jetzt diese Vereinbarungen kritisieren, lehnen sie in Wahrheit doch die Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland ab. Unsere Beschlüsse werden ein wesentlicher Bestandteil des Koalitionsvertrags sein. Wir gehen nur in eine Koalition, die sicherstellt, dass unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland nicht mehr möglich ist.

Der Einrichtung von Transitzonen – oder Entscheidungszentren, wie Sie inzwischen sagen – werden die Grünen kaum zustimmen. Ist diese Forderung für die CSU unverhandelbar?

Dobrindt : Entscheidungs- und Rückführungszentren sind zwingend notwendig. Ich kenne das grüne Wahlprogramm. Dieser Wahlkampf hat gezeigt, dass uns wesentlich mehr trennt als verbindet. Eine Schnittmenge zwischen den Wahlprogrammen der Grünen und der Unionsparteien ist fast nicht vorhanden. Wer einfache und schnelle Koalitionsverhandlungen erwartet, täuscht sich grundlegend. Das wird ein mehr als schwieriger Weg. Ob am Ende ein positives Ergebnis steht, ist absolut offen. Im Augenblick sind wir weit weg davon.

Jamaika – wollen Sie das überhaupt?

Dobrindt : Wir führen die Gespräche mit FDP und Grünen mit aller Ernsthaftigkeit. Das ist der Wählerauftrag. Aber die Grünen müssen akzeptieren, dass ihre Chance darin besteht, einer bürgerlichen Regierung von CDU, CSU und FDP beizutreten. Wir werden keine linken Spinnereien dulden.

"Die Grünen sind keine Partei, sondern der politische Arm von Krawallmachern, Steinwerfern und Brandstiftern." Kennen Sie das Zitat?

Dobrindt : Das habe ich vor ein paar Jahren selbst gesagt.

Sehen Sie das immer noch so?

Dobrindt : Ich möchte die möglicherweise bevorstehenden Koalitionsverhandlungen nicht mit einem solchen Zitat belasten. Aber ich will nicht bestreiten, dass die Grünen und ich eine sportliche Beziehung pflegen, die eher an Wrestling als an Paartanz erinnert.

Die CSU legt Wert auf Volksentscheide und Mitgliederbefragungen. Lassen Sie die Basis auch über einen Koalitionsvertrag abstimmen?

Dobrindt : Ein Koalitionsvertrag für Jamaika müsste mindestens von einem CSU-Parteitag legitimiert werden.

Mindestens?

Dobrindt : Ja. Auch eine Mitgliederbefragung ist nicht ausgeschlossen. Das hängt vom Koalitionsvertrag ab.

Sind Neuwahlen eine Alternative zu Jamaika?

Dobrindt : Neuwahlen sind keine Lösung. Aber wir erleben leider ein völlig verantwortungsloses Verhalten der SPD. Diese Verantwortungsverweigerung aus parteitaktischen Gründen ist für die SPD unwürdig. Die neue Ideologie der SPD lautet wohl: erst der Kandidat, dann die Partei und dann das Land. Das Wahlergebnis ist in der Tat kompliziert. Aber es gibt eine gemeinsame Aufgabe, die alle Parteien einen könnte: Wir müssen verhindern, dass eine Partei am rechten Rand wie die AfD zur Dauereinrichtung im Bundestag wird.

Als Reaktion auf die 32,9 Prozent bei der Bundestagswahl fordert die CSU in einem Strategiepapier eine "bürgerlich-konservative Erneuerung" der Union, einen Kurs Mitte-rechts. Wollen Sie zurückdrehen, was Merkel in 17 Jahren als CDU-Vorsitzende erreicht hat?

Dobrindt: Die CSU ist eine Mitte-rechts-Partei. Wir verstehen unseren Auftrag so, das gesamte politische Spektrum von der Mitte bis zur demokratischen Rechten abzubilden. Die Union braucht keinen Rechtsruck. Aber wir müssen sicherstellen, dass sich bürgerlich-konservative Wähler weiter von uns vertreten fühlen.

Reichen dazu die Beschlüsse zur Zuwanderung?

Dobrindt: Unser Regelwerk der Migration vereinbart die Aufgaben bei der Flüchtlingspolitik. Andere Themen wie die Zukunft Europas und die Sicherheit im umfassenden Sinne, also auch die soziale Sicherheit, haben eine genauso große Bedeutung.

Was konkret erwarten Sie von der CDU?

Dobrindt: Wir haben gemeinsam als Schwesterparteien Aufgaben zu erledigen, damit der politische Raum für andere nicht größer wird.

Kann die Union die AfD kleinhalten, indem sie ihr ähnlicher wird?

Dobrindt : Nein. Die AfD hat mit uns nichts gemein. Unsere Aufgabe ist, die von Franz Josef Strauß erhobene Feststellung wieder zu erfüllen: Rechts neben der Union darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.

Soll die CDU mehr Franz Josef Strauß wagen?

Dobrindt: Es geht um mehr CSU wagen. Es geht um Leitkultur, um Heimat, um Werte. Wir müssen den Ängsten in der Bevölkerung begegnen. Die Union muss zeigen, dass sie für den Erhalt der kulturellen Errungenschaften in Deutschland einsteht. Das Modell der CSU ist in der Bevölkerung gefragt. Die CSU kann als erfolgreiche Volkspartei nach wie vor als Vorbild dienen.

Horst Seehofer sieht sich in der CSU ersten Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Kann er sich als Ministerpräsident und Parteichef halten?

Dobrindt: Horst Seehofer hat mein Vertrauen. Er hat in den Verhandlungen mit der CDU über die Zuwanderung gezeigt, welche Verhandlungskraft er hat. Wir stehen in Berlin vor der größten Herausforderung seit Jahrzehnten. Diese Herausforderung werden wir mit Horst Seehofer abarbeiten."

(Quelle: Berliner Morgenpost/ Funke Mediengruppe)

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