Rede in der Aktuelle Stunde zur Aktuellen Entwicklung beim EU-Türkei-Abkommen

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst einmal, Herr Kollege Korte, muss ich Ihre Erwartung leider enttäuschen. Ich kann Ihnen leider nicht zugestehen, dass wir sagen: Es ist alles richtig, was der Herr Korte und die anderen von der Linksfraktion gesagt haben.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Wäre aber besser!)

Leider ist das Gegenteil der Fall.

(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich vor allem mit aller Deutlichkeit gegen Ihren Vorwurf verwahren, dass das Abkommen zwischen der EU und der Türkei ein schmutziger und dreckiger Deal wäre. Das trifft so nicht zu. Es ist bemerkenswert – mir würden noch andere Begriffe einfallen –, wenn ein Vertreter der Nachfolgepartei der SED sich jetzt als großer Vorkämpfer der Reisefreiheit geriert.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist sehr originell!)

Aber zum Thema, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei vom 18. März ist aus meiner Sicht deutlich besser, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Es ist deutlich besser als sein Ruf. Ich möchte es nicht überhöhen, aber aus meiner Sicht ist dieses Abkommen ein wichtiger Baustein in dem gesamten Instrumentenkasten zur Bekämpfung und Bewältigung, der jetzt in der Flüchtlingskrise zur Anwendung kommt.

Die Übertrittszahlen sind in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen. Während Mitte Februar noch 19 000 Flüchtlinge die griechischen Inseln erreicht haben, sind es heute nur noch wenige Hundert.

Ich gestehe durchaus zu, dass Präsident Erdogan kein einfacher Verhandlungspartner ist. Er ist auch kein einfacher Zeitgenosse, und es gibt viele Vorkommnisse in der Türkei, die in höchstem Maße kritikwürdig sind.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Mörder!)

Die Bundesregierung hält hier mit ihrer Kritik nicht zurück – um das klar zu sagen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Wenn es um Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit oder den Umgang mit Minderheiten – insbesondere mit der kurdischen Minderheit – geht, dann muss natürlich in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die türkische Regierung in fundamentaler Weise elementare Menschenrechte verletzt.

(Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sagt das Frau Merkel nicht?)

Aber – auch das gehört zur Wahrheit – für mich ist das noch kein Grund, nicht mit der Türkei zu verhandeln. Wir müssen uns auch mit der Türkei und mit anderen Ländern, die nicht westlichen Demokratien entsprechen, wie wir sie in Deutschland oder in Europa haben, auseinandersetzen und möglicherweise in dem einen oder anderen Fall Vereinbarungen treffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, aber welche? Das ist die Frage! Welche?)

Deshalb bin ich der Überzeugung, dass dieses Abkommen durchaus tragfähig ist und dass beide Seiten ein Interesse daran haben, dass dieses Abkommen erfolgreich umgesetzt wird. Es müsste jedem schon im Vorfeld des Abschlusses klar sein, dass auch die europäische Seite Zugeständnisse machen muss. Es ist bei jedem Abkommen so, dass man sich letztlich auf einen Kompromiss einigt und dass auch wir als Europäer gewisse Zugeständnisse machen müssen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht die Grundwerte aufgeben!)

Ich bin aber der festen Überzeugung, dass es auch insbesondere im Interesse der Türkei ist, dass dieses Abkommen erfolgreich umgesetzt wird. Die Türkei hat in den letzten Jahren außenpolitisch viel Porzellan zerschlagen. Das Verhältnis zu Israel ist auf dem Gefrierpunkt. Das Verhältnis zu Russland ist auf dem Nullpunkt angelangt. Das Verhältnis zu den USA ist deutlich angespannt.

Ich bin der festen Überzeugung, dass insbesondere Präsident Erdogan ein elementares Interesse daran haben muss, dass die Verbindungen zur Europäischen Union weiterhin einigermaßen akzeptabel und vertretbar sind. Deshalb habe ich die nachdrückliche Hoffnung, dass dieses Abkommen von beiden Seiten konstruktiv weiterverfolgt wird. Ich sage aber auch in aller Deutlichkeit dazu: Natürlich darf es keinen Rabatt geben. Es darf keine politischen Zugeständnisse geben, wenn es darum geht, dass die Türkei ihre Verpflichtungen erfüllt, um eines der Ziele, nämlich die Visafreiheit, zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage das auch deshalb ganz deutlich, weil die Europäische Union sich nicht nur mit der Türkei in Verhandlungen zur Ausreichung der Visafreiheit befindet, sondern beispielsweise auch mit der Ukraine und mit Georgien. Welche Signale würden denn jetzt gesetzt, wenn wir der Türkei Rabatt gewähren und sie aus der Verpflichtung entlassen, lückenlos alle 72 Voraussetzungen zu erfüllen, und andere Länder wie die Ukraine oder Georgien hier schon wesentlich weiter sind als die Türkei?

Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, die nächsten Wochen und Monate intensiv dazu zu nutzen, der Türkei klarzumachen, dass sie die Restanten, die offenkundig noch im Raum stehen, angehen und die vorhandenen Defizite beseitigen muss. Ich möchte nicht verhehlen, dass ich der Überzeugung bin, das wird der Türkei nicht leichtfallen, zumindest wenn der Zeitrahmen bis Mitte des Jahres eingehalten werden soll, wobei ich sehr interessiert zur Kenntnis genommen habe, dass selbst Präsident Erdogan gestern schon avisiert hat, dass er sich die Visafreiheit auch erst im Oktober vorstellen kann.

Ich glaube, es gibt hierzu gute und konstruktive Gespräche zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Ich bin der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, auch andere Maßnahmen weiterhin intensiv voranzutreiben, beispielsweise die Forderung des Bundesinnenministers auf Einführung eines Einreise-Ausreise-Systems an der EU-Außengrenze. Wir müssen lückenlos wissen, wer nach Europa einreist. Auch das ist ein wichtiger Bestandteil.

Ich möchte zum Schluss eines deutlich machen, weil immer wieder auf die Menschenrechte hingewiesen wird: Deutschland hat bislang schon 54 syrische Flüchtlinge aus der Türkei im Rahmen des Resettlement-Programms übernommen. Wir werden in der kommenden Woche weitere 110 syrische Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Ich würde mich freuen, wenn man sich nicht nur auf die Türkei einschießen würde, wenn es darum geht, Kritik zu üben, sondern durchaus öfter auch an die Solidarität der EU appellieren und vor allem immer wieder brandmarken würde, dass sich viele EU-Länder, was die Durchführung dieses Abkommens angeht, leider nach wie vor vornehm in die Büsche schlagen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

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