Rede zur Vorratsdatenspeicherung

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist die Frage der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger keine Scheindiskussion. Vielmehr nehmen wir die Probleme ernst.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Wenn man die Probleme ernst nimmt, dann verwechselt man keine Begrifflichkeiten und spielt nicht mit der Sprache und mit der Angst – das habe ich letzte Woche ausgeführt –, wie Sie es heute wieder tun.

Wenn Sie die Überwachung durch die NSA – die empörend ist und gegen die wir uns wenden –

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Tun Sie was dagegen! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie denn?)

im gleichen Atemzug mit der Vorratsdatenspeicherung nennen, dann vermischen Sie wider besseres Wissen zwei Dinge, die nicht zusammengehören.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beides sind anlassbezogene Massenspeicherungen!)

Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es nicht darum, die Bevölkerung zu überwachen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Nein, nein! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?)

Wer das sagt, liegt falsch. Es geht darum, dass in unserem Staat die Daten, die bei den Internetprovidern und den Telefongesellschaften ohnehin gespeichert sind, durch richterlichen Beschluss in begrenztem Umfang zur Aufklärung von Straftaten gegen Leib und Leben und andere wichtige Rechtsgüter in unserem Staat genutzt werden dürfen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Wie zum Beispiel bei den Mautgebühren!)

Da wir gerade über Begriffe sprechen: „Vorratsdatenspeicherung“ ist nicht der richtige Begriff.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den benutzen Sie doch! Das ist doch Ihr Begriff!)

Wir sollten lieber von einer privaten Vorsorgespeicherung sprechen, darüber, dass die Strafverfolgungsbehörden damit, mit wenigen Ausnahmen, die gleiche Handhabe wie die Feinde unserer Freiheit haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umetikettierung! – Jan Korte [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann! Oje!)

Lassen Sie mich folgendes Beispiel anführen. In Augsburg geschah vor knapp fünf Jahren ein grausamer Mord. Ein Familienvater wurde in seiner eigenen Wohnung hinterrücks mit über 30 Messerstichen getötet. Die Kriminalpolizei tappte längere Zeit im Dunkeln. Erst durch die Funkzellenanalyse, die Auswertung der Verbindungsdaten der Handys rund um die Tatwohnung,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die hat der Richter angeordnet!)

konnte geklärt werden, dass es sich um ein Mordkomplott handelte, hinter dem ein Bekannter der Familie und die geschiedene Ehefrau steckten. Nur durch die Vorratsdatenspeicherung konnte der Mord aufgeklärt werden.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn? Die gibt es doch gar nicht! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Die gibt es doch gar nicht! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben doch keine, oder?)

Ich sage Ihnen offen und ehrlich:

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, bitte!)

Die Speicherung der Daten bringt dem kleinen Jungen seinen Vater nicht zurück. Die Tat konnte dadurch auch nicht verhindert werden. Aber der Strafanspruch des Rechtsstaates bei schwersten Vergehen gegen Leib und Leben konnte in dem Zusammenhang gewährleistet werden. Bei schwersten Straftaten sind wir verpflichtet, die Mittel des Rechtsstaates effektiv einzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)

Das Gleiche gilt für den Bereich der Kinderpornografie. Wir haben uns in dieser Woche in diesem Hohen Haus über Strafbarkeitslücken unterhalten.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)

Wir haben gemeinsam unserer Empörung darüber Ausdruck verliehen, dass es Menschen gibt, die sich diese widerwärtigen Bilder herunterladen, mit ihnen Handel treiben und so einen fortgesetzten Missbrauch von Kindern begehen. Der Rechtsstaat braucht hier die Möglichkeit, auf die entsprechenden Daten zurückzugreifen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Hat er die jetzt nicht, oder was?)

Wir nehmen die Bürgerrechte und die Freiheitsrechte sehr ernst. Aber

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was?)

es geht auch um die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Die kann durch das dreimonatige Speichern von Verbindungsdaten, ohne dass der Inhalt kontrolliert wird, gewährleistet werden.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Christian Ströbele?

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Ja; das beginnt gut in dieser Wahlperiode.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Freuen Sie sich; es geht so weiter.

(Heiterkeit)

Herr Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke, Herr Kollege; meine Zwischenfrage hilft hoffentlich bei der Wahrheitsfindung. – Ich möchte auf das eben von Ihnen genannte Beispiel eingehen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wenn das stimmt, was in der Zeitung steht, dann standen den Strafverfolgungsbehörden offensichtlich auch ohne Vorratsdatenspeicherung Daten aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 zur Verfügung; denn sonst gäbe es die ganze Aufregung über das laufende Strafverfahren nicht.

Wofür brauchen Sie da noch die Vorratsdatenspeicherung? Die Daten sind doch bei den Providern und bei den Firmen, die diese schrecklichen Sachen verkaufen, vorrätig und werden da auch bleiben, weil die Firmen sie brauchen, um damit Geschäfte zu machen.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Völlig uneinheitlich!)

Wofür also brauchen Sie noch die Vorratsdatenspeicherung? Können Sie mir das erklären?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Kollege, wären diese Bilder auf einem deutschen Server, bei einer deutschen Firma gewesen, hätten wir den Fall vielleicht gar nicht aufklären können. Es handelt sich um Daten einer kanadischen Firma, die durch eine Aktion der kanadischen Polizei gefunden worden sind.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie sich noch einmal schlaumachen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Die haben doch durchsucht!)

Wir können die Aufklärung von Straftaten doch nicht von dem Zufall abhängig machen, ob der Provider die Daten nach sieben Tagen, nach zehn Tagen oder nach drei Monaten löscht.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist das Problem!)

Wir brauchen eine einheitliche Regelung zur effektiven Bekämpfung schwerer Straftaten. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thema verfehlt!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts ernst nehmen. Lassen Sie uns gemeinsam eine verfassungsfeste Ausgestaltung einer Vorsorgespeicherung von privaten Daten angehen. Lassen Sie uns den Rahmen definieren, in dem die Strafverfolgungsbehörden darauf zugreifen können und in welchem der Datenschutz gewährleistet wird. Ich denke, das können wir in diesem Hause gemeinsam schaffen. Wir wollen die Bürger vor Kriminalität, vor Gewalt schützen. Wir wollen die Feinde unserer Freiheit mit diesem Mittel verfolgen, um sie bestrafen zu können, und wir wollen die Freiheit der Bürger schützen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

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